Mittwoch, Januar 8

Pünktlich zum ersten Todestag erscheint die Dokumentation «Beckenbauer. Der letzte Kaiser». Der Film beleuchtet die Überfigur des deutschen Fussballs noch einmal neu – und überzeugt dank den Zwischentönen.

Das Intro setzt sofort den Ton, doch eigentlich sind es zwei Intros und zwei Töne. Das erste Intro wird von Udo Jürgens gesungen. In seinem Lied von 1975 geht es um den Libero Franz Beckenbauer und dessen Leichtigkeit, aber auch um Schwere, die Beckenbauer ebenfalls kannte, das Publikum mit seiner spielerischen Art aber oft vergessen liess. Die Bilder des Intros tun das auch, gezeigt werden Ausschnitte aus dem WM-Final 1974 gegen die Niederlande, wie Beckenbauer mit seiner ganz eigenen Eleganz den Ball über den Rasen des Münchner Olympiastadions führt. Und dann ist da Beckenbauers feines Lächeln, während er den Pokal nach dem gewonnenen Final hochhebt.

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Das zweite Intro folgt nach einem Schnitt, woraufhin die Dokumentation «Beckenbauer. Der letzte Kaiser» mit dessen Stimme aus dem Off beginnt. «Der Ball ist die Vollkommenheit des Rades», sagt Beckenbauer, «ich weiss nicht, ob das verständlich ist, aber unser Sonnensystem ist rund, die Erde ist rund, der Mond ist rund, die Planeten sind rund. Also sagen wir mal: Diese Form ist göttlich. Deswegen ist der Fussball so entstanden.» Dann lacht er.

Es ist eine typisches Beckenbauer-Zitat gleich zu Beginn des Films. Und selbst wenn das Publikum ihn gar nicht hören, sondern bloss seine Worte lesen würde, hätte es Beckenbauers Stimme, dessen Habitus und Sound mit dem rollenden R und der Nonchalance schon im Kopf und sein Gesicht vor Augen.

Eine Wiederbegegnung mit der Überfigur des deutschen Fussballs

Die Dokumentation, die pünktlich zum ersten Todestag Beckenbauers am 7. Januar 2025 erscheint, ist eine Wiederbegegnung mit der Überfigur des deutschen Fussballs, die die meiste Zeit ihres Lebens omnipräsent gewirkt, sich in den letzten Jahren aber zurückgezogen hatte.

Um die öffentliche und die private Figur Beckenbauer geht es in Torsten Körners Film, den Arte am Dienstag ab 20 Uhr 15 in der internationalen Fassung als Dreiteiler zeigt. Zusätzlich ist die Dokumentation am 12. Januar um 16 Uhr 30 im ZDF zu sehen. Und schon jetzt in der ZDF-Mediathek zu finden.

Der Film zeichnet Beckenbauers Leben nach, seine Stationen als Fussballer und als Mensch. Das geschieht unter Beizug von Weggefährten, etwa des Bruders Walter Beckenbauer, Günter Netzers und Günther Jauchs. Beckenbauer stand Jahrzehnte lang in der Öffentlichkeit, man könnte meinen, über ihn wisse jeder bereits Bescheid. Doch die Dokumentation schafft es, auch weniger Bekanntes zu beleuchten. Das gelingt ihr, idem sie Beckenbauer in den historischen Kontext einordnet und den gesellschaftlichen Rahmen seiner Weltkarriere erklärt.

So sehen die Zuschauerinnen und Zuschauer, wie Beckenbauer aufwuchs, wie er mit seiner Neuinterpretation des Spiels faszinierte und die Position des Liberos überhaupt erst schuf. Wie er zur ersten Werbefigur des Fussballs wurde und als Spieler des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft zum Weltstar avancierte. Wie er als Spieler und als DFB-Teamchef den WM-Titel errang. Und als OK-Chef mit einer beispiellosen Werbetour rund um den Globus die WM 2006 gefühlt alleine nach Deutschland holte.

Die Doku hilft, die Brüche in Beckenbauers Leben besser zu verstehen

Eine Stärke des Films sind die Zwischentöne. Die sind etwa dann unüberhörbar, als es um den Tod von Beckenbauers Sohn Stephan im Jahr 2015 geht. Oder wenn Beckenbauer sagt, was die bereits damals hohen Löhne mit einer Mannschaft machen. Damit entzaubert er jene Naivität, die er im Lied «Gute Freunde kann niemand trennen» einst besungen hat.

Vor dem Hintergrund, dass Beckenbauer keinesfalls leichtgläubig war, sind auch die Ungereimtheiten und Brüche in dessen Leben zu verstehen, allen voran die 2015 vom «Spiegel» aufgebrachten und bis heute nicht vollständig aufgeklärten Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Vergabe 2006.

Der Film versucht den mutmasslichen Stimmenkauf auch mit Beckenbauers bayerischer Vita zu erklären und verdeutlicht, weshalb diese Affäre das Image der vermeintlichen Lichtgestalt mit solch einer Wucht erschütterte, obwohl die mutmasslichen Vorgänge niemanden hätten überraschen dürfen. Beckenbauer sei immer der Kaiser gewesen, dem scheinbar alles gelingt. Damit sei er zum «Opfer seines eigenes Bildes geworden», wie es der Schauspieler Matthias Brandt im Film ausdrückt, «dieses Gustav-Gans-Hafte, das der sehr lange hatte, das konnte man sich gar nicht vorstellen, dass das weg sein sollte. Es war fast so, als ob der nicht mehr existiert.»

Fast am Ende des Films «Beckenbauer – Der letzte Kaiser» ist wieder Beckenbauers Stimme aus dem Off zu hören. Nun spricht er über die Furchtlosigkeit vor dem eigenen Tod und den Glauben an die Wiedergeburt. Dann formuliert Beckenbauer einen Satz, der zu seinem ersten Todestag fast wie ein tröstlicher Gruss klingt: «Der Tod ist das Leben.» Auch das gehört zum Bild Beckenbauers, der im vergangenen Januar mit 78 Jahren gestorben ist.

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