Sonntag, Oktober 6

Experten und Politiker befürchten, dass die Schweiz bei der Beschaffung von seltenen Erden und anderen Rohstoffen in Rückstand gerät. Der Bund wiegelt ab: Die Schweiz sei nur am Rande betroffen.

China erlässt immer neue Beschränkungen für den Export von Rohstoffen. Vor einigen Monaten kündete das Land Ausfuhrbeschränkungen für Germanium, Gallium sowie Grafit an, die zum Beispiel in der Computerchip-Industrie zum Einsatz kommen.

Mitte August fügte das Land Exportkontrollen für Antimon hinzu. Das Halbmetall wird nicht nur für die Herstellung von Solaranlagen und Batterien verwendet, sondern auch für militärische Anwendungen wie Atomwaffen oder Nachtsichtgeräte. China beruft sich bei den Beschränkungen auf die Wahrung nationaler Interessen.

In der westlichen Welt entstehen angesichts dieser Entwicklungen zunehmend Befürchtungen um die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen. «Doch in der Schweiz steht das Thema noch zu wenig auf der Agenda», kritisiert Alessandra Hool, Geschäftsführerin der Stiftung Entwicklungsfonds «Seltene Metalle». Die Stiftung beschäftigt sich seit Anfang der 1950er Jahre mit der Bedeutung von Rohstoffen für den Industriestandort Schweiz und arbeitet auch für die EU.

Schweiz verhält sich «fahrlässig»

Die Schweiz sei im Vergleich zu anderen Industrieländern deutlich im Rückstand, meint Hool warnend. Die EU hat bereits analysiert, welche Schäden drohen, wenn in bestimmten Sektoren die Rohstoffe ausbleiben. Ende 2023 beschloss sie zudem das Gesetz für kritische Rohstoffe. Dieses konzentriert sich auf Rohmaterialien, die in strategisch wichtigen Sektoren unerlässlich sind. Dazu gehören die erneuerbaren Energien, die Digitalisierung, die Luft- und Raumfahrt sowie die Verteidigung.

Die EU will mit dem Gesetz dafür sorgen, dass der Kontinent weniger stark von einzelnen Lieferländern abhängig ist. Zudem soll die Substitution von besonders kritischen Rohstoffen geprüft und das Recycling gestärkt werden, damit wertvolle Rohstoffe möglichst in Europa bleiben.

Auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter sorgt sich, dass die Schweiz den Anschluss verliert. «Die Schweiz ist ein Land mit hoher Innovationskraft und grossem technischem Wissen. Doch beim Thema Rohstoffe verhält sie sich fahrlässig», sagt sie. Schneider-Schneiter ist auch Präsidentin der Handelskammer beider Basel und Vorstandsmitglied des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse.

Bisher hat der Bundesrat argumentiert, die Sicherung der Rohstoffe sei Sache der Privatwirtschaft und dank funktionierenden Handelsbeziehungen unproblematisch, wie Schneider-Schneiter erklärt. «Doch inzwischen hat sich die geopolitische Situation völlig verändert.» Es gebe ein immer stärker werdendes Blockdenken, sowohl wirtschafts- als auch sicherheitspolitisch.

Dabei gehe es längst nicht nur um das vieldiskutierte China. Es bestehe auch eine Abhängigkeit von den USA. «Dennoch sehen wir uns als glückliche Insel und sind uns nicht bewusst, wie abhängig wir von anderen Ländern sind», gibt sie warnend zu bedenken.

Fehlende Übersicht

Laut der Rohstoffexpertin Hool fehlt es der Schweiz an einer Übersicht über die Folgen, die Probleme bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen haben können. Etwa im Fall, wenn Rohstofflieferungen in die USA oder nach Europa eingeschränkt würden. Die EU hingegen habe solche Fälle im Rahmen ihrer Planung bereits durchgespielt.

Laut Hool «wäre es darum sinnvoll, wenn die Schweiz möglichst bald die Risiken analysiert, die Verwerfungen an den Rohstoffmärkten für sie zur Folge haben». In einem zweiten Schritt müssten Gegenmassnahmen geprüft werden – etwa, inwieweit sich durch eine Partnerschaft mit der EU Gefahren minimieren liessen.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wird demnächst einen aktuellen Bericht über die Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen vorlegen. Dieser geht auf ein Postulat von Schneider-Schneiter zurück. Der Bericht solle noch im laufenden Jahr publiziert werden, bestätigt die Seco-Sprecherin Françoise Tschanz. Laut Tschanz verfolgt der Bund die Situation aufmerksam. Und sie bestätigt: «Die strategische Bedeutung des Rohstoffsektors hat in der Schweiz – wie auch global – zugenommen.»

Allerdings ist die Schweiz bei den meisten Rohstoffen nur indirekt von den Entwicklungen betroffen, wie Tschanz erklärt. Denn sie importiert zum grössten Teil sogenannte Vorprodukte – also Waren, die kritische Rohstoffe enthalten und danach weiterverarbeitet werden.

In einem kürzlich publizierten Bericht zum Thema Handelsabhängigkeiten habe der Bund auch die Situation bei den Rohstoffen analysiert – und kam insgesamt zu einem beruhigenden Schluss: «Die Schweizer Unternehmen sind diversifiziert aufgestellt», fasst Tschanz die Resultate zusammen. Zudem seien sie auf Krisen vorbereitet und würden zum Beispiel Lager mit heiklen Materialien anlegen.

Neue Erhebung kaum machbar

Die vom Entwicklungsfonds «Seltene Metalle» geforderte, tiefergehende Erhebung ist laut Tschanz kaum machbar. Eine solche Untersuchung würde für die betroffenen Unternehmen einen enormen Aufwand bedeuten. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Ergebnisse Rückschlüsse auf einzelne Firmen zulassen – und damit im schlimmsten Fall Geschäftsgeheimnisse ans Licht der Öffentlichkeit geraten.

Die Haltung des Bundes bleibt darum trotz zunehmenden geopolitischen Spannungen unverändert: «Es ist in erster Linie die Aufgabe der Unternehmen, ihre Lieferketten sicherzustellen und Lieferanten zu diversifizieren», sagt Tschanz. Der Bund unterstütze die Unternehmen dabei im Rahmen seiner Möglichkeiten: etwa durch das Abschliessen von Freihandelsabkommen, den Abbau von Industriezöllen, die Weiterentwicklung des Zugangs zum Binnenmarkt und generell durch die Zusammenarbeit mit der EU.

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