Mittwoch, April 2

Linke wettern gegen das «Bleifuss-Denken» der Bürgerlichen. Ihre Klima-Allianz versagt im Kantonsrat. Was sich jetzt konkret ändert.

Um zu illustrieren, welch historische Dimensionen der Entscheid des Zürcher Kantonsparlaments hat, griff Daniel Sommer weit zurück in die Geschichte. Der EVP-Kantonsrat erzählte vom Jahr 1871, als die französische Bourbaki-Armee in die Schweiz flüchtete. 1871 war es auch, als sich die Stadt Zürich erstmals ein Gesetz zum Strassenwesen gab. Damals hielt sie fest, dass sie «das Strassenwesen nach eigenem Ermessen ordnen» wolle.

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Nun, 154 Jahre später, soll die Stadt dieses Privileg nicht mehr haben. Der Kantonsrat hat sich am Montag mit einer hauchdünnen Mehrheit hinter die sogenannte Mobilitätsinitiative von SVP und FDP gestellt.

Damit wird nun im kantonalen Strassengesetz festgehalten: Für die Geschwindigkeitsregeln auf Staatsstrassen und Strassen mit überkommunaler Bedeutung ist allein der Kanton zuständig. Eine Übertragung dieser Zuständigkeit auf die Städte Zürich und Winterthur – wie das bis anhin der Fall war – ist «ausgeschlossen».

Die Initiative ist eine klare Reaktion auf die Verkehrspolitik der rot-grünen Grossstädte, die zuletzt immer häufiger Tempo 30 angeordnet haben, auch auf zentralen Verkehrsachsen. Neu sollen solche Temporeduktionen «nur in Ausnahmefällen» und lediglich «über kurze Strecken» verfügt werden können. Eine flächendeckende Tempo-30-Zone, wie sich das manche linke Politiker für die Stadt Zürich erträumen, ist damit vom Tisch.

Das Fehlen der EVP-Männer

Der Entscheid im Kantonsrat fiel denkbar knapp aus. Die Initiative kam mit 88 zu 87 Stimmen durch. Neben SVP, FDP, EDU unterstützte sie auch die Mitte-Fraktion. Das alleine hätte aber noch nicht für eine Mehrheit gereicht. Nur weil zwei EVP-Kantonsräte der Schlussabstimmung fernblieben, konnten die Bürgerlichen jubeln. Die Abwesenden waren das Zünglein an der Waage.

Das Fehlen der EVP-Männer sorgte auf linker Seite für Verstimmung. «Solche Aktionen schaden unserer Klima-Allianz», sagte Thomas Forrer, Fraktionschef der Grünen. «Die Zusammenarbeit wird in Zukunft schwieriger.»

Zur sogenannten Klima-Allianz hatten sich im Zuge der «grünen Welle» einst SP, Grüne, AL, GLP und EVP zusammengeschlossen, um umweltpolitische Anliegen im Rat voranzubringen. Diese Allianz scheint nun zu bröckeln – zumal es sich bei den beiden abwesenden EVPlern nicht um «No-Names» handelte. Es waren der Parteipräsident Donato Scognamiglio und der Fraktionschef Markus Schaaf. In der evangelischen Kleinpartei dürfte es nach dem Entscheid vom Montag Klärungsbedarf geben.

Sieg für Carmen Walker Späh

Das Ja zur Initiative ist auch ein Sieg der freisinnigen Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh. Sie und der Gesamtregierungsrat hatten sich im Voraus für die Vorlage ausgesprochen. «Eine effiziente, zuverlässige Infrastruktur ist zentral für einen Wirtschaftsstandort», sagte Walker Späh im Rat. Die kantonale Verfassung gebiete es, für ein «leistungsfähiges Strassennetz und ein rasches Vorwärtskommen für alle» zu sorgen.

Tempo 30 führe zu «Verlustzeiten», namentlich im öffentlichen Verkehr und bei den Blaulichtorganisationen. Eine Qualitätseinbusse in diesen Bereichen gelte es zu verhindern.

Von einem Eingriff in die Gemeindeautonomie, wie das die linken Parteien kritisierten, könne nicht die Rede sein. Bis anhin sei die Kompetenz zur Signalisation lediglich an die Städte Zürich und Winterthur «delegiert» worden. «Es besteht jedoch kein Anrecht auf Delegation», hielt Walker Späh fest. Mit der Initiative habe man nun eine einheitliche Regelung, die für das gesamte Kantonsgebiet gelte.

Linke prüfen Referendum

Die Linke inklusive GLP haben am Montag direkt das Kantonsratsreferendum gegen die Gesetzesänderung ergriffen. Am Ende wird damit das Stimmvolk final über den Tempo-30-Streit entscheiden.

Im Rat argumentierten sie vor allem mit zwei Punkten: Sicherheit und Lärmschutz. Felix Hoesch (SP, Zürich) meinte: «Tempo 30 ist ein grosser Gewinn für alle.» Mit einer flächendeckenden Temporeduktion im Siedlungsgebiet gäbe es zwanzig Verkehrstote weniger im Jahr, prognostizierte Hoesch. Zudem sei man verpflichtet, Anwohnerinnen und Anwohner vor Strassenlärm zu schützen.

Wenn man Hoesch zuhörte, wurde klar, welche Verkehrsverhältnisse sich rot-grüne Politiker wünschen: «Tempo 30 ist das neue Tempo 50, und Tempo 20 das neue Tempo 30», sagte er. Im Stadtverkehr brauche es eine generelle Verlangsamung, so würde dann auch die bestehende Strassenhierarchie hochgehalten. «Twenty ist plenty», schob Hoesch auf Englisch nach.

Daniel Rensch (GLP, Zürich) wandte sich in seinem Votum gegen den «homo automobilis», wie er es nannte. Jenes Geschöpf also, das eine «rückwärtsgewandte Verkehrspolitik» betreibe und am liebsten gar keine Beschränkungen wolle – ausser vor seinem eigenen Schlafzimmerfenster. Die GLP regte einen Gegenvorschlag an, der wenig am Status quo geändert hätte und im Rat chancenlos blieb.

Benjamin Walder (Grüne, Wetzikon) erwähnte Unfallopfer, denen er in seiner Zeit als Assistenzarzt begegnet sei. Es spiele eine Rolle, ob ein Kind von einem Auto mit Tempo 50 oder 30 angefahren werde, sagte er. «Manchmal kann es den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.»

Manuel Sahli (AL, Winterthur) sprach etwas gar brachial von «bürgerlichem Hass gegen die Städte», der aus der Vorlage triefe, von «Auto-Ideologen» und ihrem «Bleifuss-Denken».

Bürgerliche bilden neue Allianz

Die Bürgerlichen argumentierten mit dem geltenden Recht, dem Verkehrsfluss – und ebenfalls mit der Sicherheit. Der Freisinnige Yiea Wey Te erinnerte an einen Verkehrsversuch mit Tempo 30 in seiner Gemeinde Unterengstringen. Das Resultat sei Ausweichverkehr in den Quartieren gewesen – unter anderem vor einem Schulhaus.

Sarah Fuchs (FDP, Meilen) ging näher auf die Blaulichtorganisationen ein. Bei Einsätzen von Rettungsdienst oder Feuerwehr zähle jede Minute. Bei Herz-Kreislauf-Stillständen sei ein Mensch beispielsweise nach zehn Minuten tot. Krankenwagen dürften Höchstgeschwindigkeiten nicht beliebig überschreiten, darum sei Tempo 30 unter Umständen gefährlich.

Ihr Parteikollege Marc Bourgeois (Zürich) sekundierte: die «Sekündchen», die man mit Tempo 30 verliere, summierten sich auf das Gesamte betrachtet zu enormen Summen. Allein in der Stadt Zürich würde sich etwa der öffentliche Verkehr um 20 Millionen Franken verteuern, der Schaden für die Privatwirtschaft komme noch dazu.

Bourgeois bezeichnete die Mobilitätsinitiative als «Durchsetzungsinitiative», die leider nötig sei, weil sich die Städte nicht mehr an das nationale Recht mit seinen festgelegten Geschwindigkeiten hielten. Ulrich Pfister (SVP, Egg) machte sich für die Autofahrer stark. Tempo-30-Zonen seien häufig «Bussenfallen». Oft sei nicht ersichtlich, weshalb auf gewissen Strecken derart langsam gefahren werden müsse.

Wenn die Klima-Allianz schwächelt, so ist seit dem Tempo-30-Entscheid im Kantonsrat ein neues Bündnis geboren: die Verkehrsfluss-Allianz. So nannten sich die siegreichen Vertreter von SVP, FDP und Mitte nach der Abstimmung im Ratssaal. Einmal schauen, wie lange diese Bestand haben wird.

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