Dienstag, April 22

Der Regierungsrat hat die Projektierung des Bezirksgerichts Horgen gestoppt. Grund sind zu grosszügig bemessene Büroflächen.

Bauvorhaben ziehen sich oft über lange Zeit hin und werden überprüft, bevor die Arbeiten überhaupt beginnen. Manchmal wird eines aufgegeben, so etwas kommt vor. Die Umstände, unter denen der Regierungsrat vor kurzem ein Projekt in Horgen gestoppt hat, sind aber ungewöhnlich.

Es geht um das Bezirksgericht am linken Seeufer. 2011 meldete es einen zusätzlichen Flächenbedarf an. Knapp zehn Jahre später lag das Ergebnis des Planerwahlverfahrens vor, der Begriff Architekturwettbewerb erschien etwas hoch gegriffen. Das Büro BUR in Zürich bekam den Auftrag für die Erweiterung des Gebäudes um einen dreigeschossigen Anbau.

Vergangene Woche meldeten die Tamedia-Zeitungen den überraschenden Rückzieher des Kantons. Obwohl das Projekt auf der Gemeinde Horgen ab Anfang April öffentlich auflag, erachtet die Regierung die Erweiterung als nicht zwingend notwendig, wie die zuständige Baudirektion der Zeitung auf Nachfrage zur Auskunft gab.

Im Bericht des Hochbauamtes von 2021 hatte es noch geheissen, eine Entwicklung des Gerichts könne nicht mehr stattfinden, «da eine weitere Verdichtung im Bestand nicht möglich ist». Seither ist auch der Bezirk Horgen gewachsen und der Arbeitsanfall beim Gericht kaum kleiner geworden.

Zu grosszügige Büros

Die Information der Betroffenen fiel mager aus. «Wir erhielten einen Einzeiler des kantonalen Immobilienamtes, dass das Projekt gestoppt sei, mit einem Hinweis auf die finanzielle Situation des Kantons», sagt der Gerichtspräsident Reto Nadig gegenüber der NZZ. Was wirklich der Grund sei, wisse er nicht.

Nadig erwähnt noch, das Gericht habe sich mangels Platz in eine externe Liegenschaft in Horgen eingemietet. Das widerspreche doch der kantonalen Strategie, nach Möglichkeit eigene Liegenschaften zu nutzen.

Gewundert hat man sich auch auf der Gemeindeverwaltung Horgen, die aus der Zeitung vom Stopp erfuhr. Bis anhin sei das Baugesuch nicht zurückgezogen worden, sagt Marco Schweiger, Abteilungsleiter Hochbau. Vorderhand bearbeite man es weiter. Die Baubehörde beurteile ein Gesuch ja nicht nach den Kosten oder seinem Sinn und Zweck, sondern danach, ob die Vorschriften eingehalten würden.

Selbstverständlich geht es im weiteren Sinn um Kosten. Genauer: um den Flächenbedarf pro Büroarbeitsplatz. Auf Nachfrage der NZZ präzisiert die Medienstelle der Baudirektion die Haltung des Regierungsrats: Das Personalwachstum des Bezirksgerichts Horgen sei durch eine dichtere Belegung im Bestand aufzufangen. Da das Gericht über dem Flächenstandard liege, erachte er eine Verdichtung als realistisch.

Diesen Standard hat die Regierung im Mai 2023, ohne es an die grosse Glocke zu hängen, neu festgelegt. Ab 2005 galt in der kantonalen Verwaltung ein maximaler Anspruch von 14,5 Quadratmetern pro Arbeitsplatz. Weil Angestellte zunehmend in einem Teilzeitpensum angestellt sind, vermehrt mobil arbeiten oder im Home-Office, wurde dieser Wert um 20 Prozent auf 11,6 Quadratmeter gesenkt, aber pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter.

Das bedeutet also nicht, dass die Angestellten des Kantons im eigentlichen Wortsinn näher zusammenrücken müssen. Der neue Standard kann auf diese Weise umgesetzt werden, aber ebenso und vermutlich eher, indem nicht mehr alle einen persönlichen Arbeitsplatz haben, sondern ihn sich teilen müssen. Das dürfen die Direktionen und Abteilungen selber entscheiden.

Aber der neue «Standard Büro», der in einem 16-seitigen Papier ausführlich erläutert wird, gilt grundsätzlich für die ganze kantonale Verwaltung. Ein Anspruch auf ein Einzelbüro bestehe für keine Funktion mehr, heisst es da auch. Umgesetzt wird er bei Neubauten sofort, in bestehenden Gebäuden, um keine Zusatzinvestitionen auszulösen, erst bei grösseren Sanierungen oder Umzügen.

Pech also für das Bezirksgericht Horgen, das zu spät kam. Bei laufenden Bauvorhaben sollen die neuen Zielwerte nämlich als Faustregel mindestens dann eingehalten werden, wenn noch keine Ausgabe für die Realisierung bewilligt ist. Das ist bei den knapp 6,4 Millionen Franken für den Anbau noch nicht geschehen.

«Gibt noch zu reden»

Der Gerichtspräsident Reto Nadig vermutet, der Planungsstopp habe auch damit zu tun, dass das Gebäude nicht zum Verwaltungsvermögen der Zürcher Gerichtsbarkeit gehöre. Es handle sich um eine sogenannte Mischnutzer-Liegenschaft; ein Stock des Anbaus sei für die Kantonspolizei vorgesehen gewesen. Tatsächlich befindet sich das Gebäude der Bezirksanlage Horgen im Eigentum des Kantons, wird durch ihn finanziert und an das Gericht vermietet, wie die Baudirektion schreibt.

Nadig ist aber zuversichtlich, dass der Rückzieher noch nicht das Ende der Diskussionen bedeutet. «Das gibt noch zu reden zwischen dem Regierungsrat und dem Obergericht», sagt er überzeugt.

Tatsächlich hat es eine besondere Note, dass der Standard just bei einer relativ bescheidenen Erweiterung eines Gerichts per Planungsstopp durchgesetzt wird. Immerhin ist die Judikative eine eigene Staatsgewalt, der die Exekutive nichts vorschreiben darf. Die Gerichte sind denn auch von der Immobilienstrategie des Kantons, und damit auch vom «Standard Büro», ausdrücklich ausgenommen. Sie seien grundsätzlich frei, eigene Bauprojekte zu realisieren oder Räumlichkeiten zu mieten, bestätigt die Baudirektion.

Dabei auferlegte sich die Gerichtsbarkeit in der Vergangenheit wenig Zurückhaltung. Angefangen beim Obergericht, das vor zehn Jahren einen sehr umfangreichen, teuren, aber auch gelungenen Umbau vornahm. Und von Horgen kann man etwas wehmütig ans andere Seeufer blicken. Dort wurde erst Ende Februar das für über 16 Millionen geradezu vornehm renovierte Bezirksgericht Meilen eingeweiht.

Ein weiterer Neubau soll folgen. Das kantonale Sozialversicherungsgericht beantragt beim Kantonsrat gut 40 Millionen Franken für einen Neubau in Winterthur – direkt, also ohne Beschluss des Regierungsrats. Dass in der zuständigen Kommission Widerstand wegen des Büroflächenbedarfs aufgekommen sei, will niemand bestätigen. Das sei ein Thema in den Diskussionen, sagt Gerichtspräsident Ernst Gräub. Beschlossen sei nichts, so die Kommissionspräsidentin Barbara Franzen (FDP).

Natürlich soll ein Gericht auch repräsentieren, und ein guter Grund für den Neubau ist, dass das Sozialversicherungsgericht heute in einem Gebäude der Suva eingemietet ist. Die Vermieterin ist manchmal selber Partei vor diesem Gericht. Eine andere Frage ist, wie im Parlament ein Satz ankommt, mit dem es den Kredit begründet: «Die Würde des Gerichts und die Bedeutung seiner Aufgabe werden im Gebäude durch eine gewisse Grosszügigkeit zum Ausdruck gebracht.»

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