In den US-Wahlen manifestiert sich eine deutliche Geschlechter-Kluft: Frauen wählen mehrheitlich demokratisch, Männer republikanisch. Wo sich die Geschlechter sonst noch unterscheiden.
Der Wahlkampf in den USA geht gefühlt schon ewig. Und es bewegt sich im Moment so gut wie nichts. Die Umfragen zeigen ein Patt. Der Ausgang der Wahl ist völlig offen. Was aber absehbar ist: Es wird eine Wahl sein, bei der die Mehrheit der Männer für Donald Trump stimmen wird, wohingegen die Frauen mehrheitlich Kamala Harris wählen werden.
Der Gender-Gap beim Wahlverhalten in den USA ist kein neues Phänomen, sondern lässt sich seit den achtziger Jahren beobachten. Angefangen hat es mit Ronald Reagans konservativer Agenda, auch bekannt als «Reagan Revolution». Im Rahmen dieses Strategiewechsels rückten die Republikaner nach rechts. Reagan wurde als Präsidentschaftskandidat unter anderem zum Abtreibungsgegner, was Frauen zu den Demokraten trieb.
Am grössten war der Gender-Gap bisher im Jahr 2000: Damals stimmten 53 Prozent der Männer für George W. Bush, während er nur 43 Prozent der Frauenstimmen erhielt. Weit mehr als die Hälfte der Wählerinnen bevorzugten den demokratischen Kandidaten und späteren Umweltaktivisten Al Gore.
In den letzten vierzig Jahren gab es beim Wahlverhalten in Amerika nur 1992 keinen geschlechterspezifischen Unterschied: bei der Wahl zwischen George Bush senior und Bill Clinton. Bei der ersten Wahl von Barack Obama 2008 betrug der Unterschied verhältnismässig niedrige 5 Prozentpunkte. Seither ist er wieder auf über 9 Prozentpunkte angestiegen.
Gender-Gap auf Rekordkurs
Nun könnte es sein, dass dieser Gap im November den Rekordwert von 2000 wieder erreicht – oder sogar übersteigt. Der «Cook Political Report» sagt im Durchschnitt der Umfragen 10 Prozentpunkte Unterschied voraus. Befragungen lassen darauf schliessen, dass vor allem bei den jungen Wählerinnen und Wählern die Präferenzen der Geschlechter auseinanderdriften.
Diese ideologische Kluft ist in vielen westlichen Ländern zu beobachten. Junge Frauen tendieren nach links, junge Männer nach rechts, wenn auch in etwas geringerem Masse. Die 18- bis 30-Jährigen könne man nicht mehr als eine Generation sehen, sagt Alice Evans, Geschlechterforscherin an der Stanford University. Die Generation Z entspreche eigentlich zwei Generationen, getrennt nach Geschlecht.
Die Spaltung akzentuierte sich in den letzten Jahren. 2018 nahm die #MeToo-Bewegung Fahrt auf und politisierte junge Frauen. In den USA tragen die neuen Abtreibungsverbote zum Linksruck der jungen Frauen bei. Im Juni 2022 hat der Supreme Court das seit fünfzig Jahren geltende nationale Recht auf Abtreibung gekippt. Seither ist die Regelung von Gliedstaat zu Gliedstaat unterschiedlich. In gewissen Teilen der USA darf eine junge Frau nicht einmal dann legal abtreiben, wenn sie von ihrem Vater bei einer Vergewaltigung schwanger wird.
Hochschule, Beteiligung am Arbeitsmarkt, Stunden allein
Nicht nur im Wahlverhalten driften die Geschlechter auseinander, sondern auch in der Schulbildung. So besuchten bis Anfang der neunziger Jahre in den USA mehr Männer eine Universität als Frauen. Heute ist es genau umgekehrt: 44 Prozent der jungen Frauen zwischen 25 und 29 haben einen Collegeabschluss, bei den Männern sind es 35 Prozent. Bereits seit 2013 ist der Anteil der Akademikerinnen in der Bevölkerung über 25 Jahre höher als der Anteil der Akademiker.
Das höhere Bildungsniveau der Frauen macht sich inzwischen auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Während die Erwerbsbeteiligung der jungen Frauen tendenziell zunimmt, hat sie bei den jungen Männern in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen.
1990 waren knapp 95 Prozent der Männer zwischen 25 und 34 Jahren in Arbeit oder auf Stellensuche, heute sind es gemäss neusten Zahlen des amerikanischen Arbeitsministeriums noch 90 Prozent. Statistiker und Soziologen stellen fest: Mehr junge Männer sind weder berufstätig, noch gehen sie einer Ausbildung nach oder kümmern sich um die Familie. Sie verbringen mehr Zeit alleine als noch vor ein paar Jahren und wohnen deutlich länger bei den Eltern als ihre Altersgenossinnen. Heute leben in den USA mit knapp einem Fünftel fast doppelt so viele 25- bis 34-jährige Männer im Elternhaus als 1980. Bei den Frauen im gleichen Alter sind es rund 12 Prozent.
Männer fühlen sich nicht gebraucht
Richard Reeves, Präsident des American Institute for Boys and Men, hält diese Befunde für alarmierend. Gegenüber dem «Wall Street Journal» sagt er, viele junge Männer hätten das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, weder von ihrer Familie noch von der Gesellschaft.
Der Soziologe Kevin M. Roy von der University of Maryland spricht von einer Sinnkrise bei Männern im jungen Erwachsenenalter. Diese würden auf das Leben und die Karrieren ihrer Väter blicken und sich denken, dass das, was ihre Väter erreicht hätten, für sie unerreichbar sei. Grund dafür seien das Aufweichen der privilegierten Stellung der Männer in der Gesellschaft und auch der Niedergang der Industrie, wo hauptsächlich Männer beschäftigt waren. Frauen dagegen profitieren vom Strukturwandel in der Wirtschaft, der nun mehr Teilzeitarbeit und Home-Office zulässt.
Junge Frauen blickten optimistischer in die Zukunft, so der Soziologe Roy. Denn wenn sie auf die Leben und Karrieren ihre Mütter und Grossmütter blickten, würden sie realisieren, dass sie bessere Chancen hätten und mehr erreichen könnten. Die Sinnkrise betrifft sie deshalb weniger.
Suizid unter Männern verbreiteter
Ein weiterer trauriger Fakt ist die Suizidstatistik. Auch hier ist der Gender-Gap gross, jedoch relativ konstant, seit die Suizidrate gemessen wird. In den USA töten sich rund vier Mal so viele Männer wie Frauen, zum grossen Teil mit einer Schusswaffe. In der Schweiz ist dieses Verhältnis zwischen Frauen und Männern eins zu zweieinhalb. In gewissen Regionen in den USA sind es bis zu sechs Mal so viele Männer wie Frauen, die sich das Leben nehmen.
Hier bekommen Sie Hilfe:
Wenn Sie selbst Suizidgedanken haben oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, gibt es verschiedene Hilfsangebote:
In der Schweiz können Sie die Berater der Dargebotenen Hand rund um die Uhr vertraulich unter der Nummer 143 erreichen.
In Deutschland finden Sie entsprechende Hilfe bei den Beratern der Telefonseelsorge, online oder telefonisch unter der Nummer 0800 / 1110111.
Die Vereinigten Staaten gehören zu den westlichen Ländern mit der höchsten Suizidrate. Die Zahlen sind in den letzten zwanzig Jahren stetig gestiegen. 2023 war ein Rekordjahr. Seit 1941 haben sich in Amerika nicht mehr so viele Menschen das Leben genommen. Der Staat, der die hohe Suizidrate als «dringende und wachsende Krise der öffentlichen Gesundheit» bezeichnet, hat verschiedentlich darauf reagiert. So wurde vor zwei Jahren die 988 Suicide & Crisis Lifeline eingerichtet – eine dreistellige Notrufnummer für Menschen mit Suizidabsichten.
Zur hohen Suizidrate kommt ein starker Anstieg der Drogentoten. Auch hier sind die Männer stark übervertreten. Dasselbe Bild bei den Alkoholsüchtigen und den Personen, die an den Folgen der Alkoholsucht sterben. Forscher reden hier längst vom «Tod aus Verzweiflung». Dieser Tod trifft mehrheitlich Männer.
Interessant ist, wie stark die Suizidraten der einzelnen Gliedstaaten mit den Wahlresultaten korrelieren. Je häufiger sich in einem Teilstaat Männer selbst das Leben nehmen, desto eher wird dort republikanisch gewählt. Beides betrifft vor allem strukturschwache und ländlich geprägte Gebiete. In urbanen Regionen und Städten, wo mehrheitlich demokratisch gewählt wird, nehmen sich im Verhältnis viel weniger Männer das Leben.
Der statistische Zusammenhang ist vergleichsweise deutlich, impliziert aber keinen direkten Kausalzusammenhang. So könnte etwa die allgemeine Wirtschaftslage oder die Arbeitslosigkeit in einem Gliedstaat sowohl den Wahlentscheid wie auch die Suizidrate der Männer erklären.
Die hohe Suizidrate bei Männern ist zusammen mit den Drogen- und Alkoholtoten ein Hauptgrund, weshalb es in den USA auch einen grossen Gender-Gap bei der durchschnittlichen Lebenserwartung gibt. Während die Frauen im Schnitt 80,2 Jahre alt werden (Schweiz 85,8), haben die Männer eine durchschnittliche Lebenserwartung von 74,8 (Schweiz: 82,2) Jahren. Der Unterschied ist mit 5,5 Jahren deutlich grösser als etwa in der Schweiz.