Der Rückversicherer hat sich zu einem der besten Werte im Dax und in seiner Branche entwickelt. Die Aktien stehen jedem langfristig orientierten Depot gut.
Münchener Rück zählt seit über zwei Jahren zu den Zugpferden des Dax und des europäischen Versicherungsindex Stoxx Europe 600 Insurance. Hat der Dax auf Sicht von drei Jahren 24% zugelegt, sind die Papiere des weltgrössten Rückversicherers 87% nach oben geschossen. Der europäische Branchenindex schaffte im selben Zeitraum nur 26%, die weltweite Nummer zwei, Swiss Re, 30%.
Vor einer Woche versetzte der Konzern dem Kursauftrieb allerdings mit einer Ad-hoc-Meldung einen Dämpfer: Die Schäden durch den Hurrikan «Helene» würden ihn rund 0,5 Mrd. € kosten und den Gewinn des dritten Quartals auf 900 Mio. € (Vorjahr: 1,17 Mrd. €) drücken. Die Analysten hatten bis dahin 1,4 Mrd. € erwartet.
Auf Basis eines Gewinns von 4,7 Mrd. € in den ersten neun Monaten geht Münchener Rück nun davon aus, im Gesamtjahr bei mehr als den bisher avisierten 5 Mrd. € zu landen – auch wenn Hurrikan «Milton» im vierten Quartal heftig ins Kontor schlagen dürfte. Berenberg-Analyst Michael Huttner kommentierte dies mit Blick auf das erreichte Kursniveau, dass weiteres Kurspotenzial limitiert sei, und stufte das Papier von «Kauf» auf «Halten».
Die Bewertung liegt bei einem Verhältnis von Kurs zu erwartetem Gewinn von etwas weniger als 11 allerdings sogar leicht unter dem historischen Durchschnitt. Steffen Weyl, Fondsmanager von Union Investment, bleibt für die Aktien zuversichtlich. «Durch gutes, langfristig orientiertes Management steht Münchener Rück besser da als viele Wettbewerber und ist insbesondere für Naturkatastrophen exzellent positioniert», sagt er.
Auch The Market meint: Der Rückversicherer hat sich zu einem der besten Werte im Dax und in seiner Branche entwickelt und steht jedem langfristig orientierten Depot gut.
Der lange Aufschwung der Rückversicherung
Die Kernfrage ist, wie sich der Rückversicherungsmarkt weiterentwickelt. Das Preisniveau war zuletzt ausserordentlich hoch. «Risikogewichtet sind die Märkte in der Rückversicherung so profitabel wie seit Jahren nicht mehr», sagt Rötger Franz, Portfoliomanager bei dem auf Versicherungsrisiken spezialisierten Zürcher Fondshaus Plenum Investments.
Franz sieht den Gipfel des Zyklus allerdings «gerade erst überschritten». Auch dank der jüngeren Grossschäden erwartet er, dass die Preise «noch mindestens ein Jahr auf relativ hohem Niveau» verharren. Von den Branchentreffen in Monte-Carlo im September und in Baden-Baden vergangene Woche kamen positive Signale: Die Nachfrage nach Rückversicherungsschutz etwa mit Bezug auf Naturkatastrophen und Cyber-Risiken steige, Preise und Bedingungen seien stabil oder verbesserten sich weiter, erklärten die Rückversicherer.
Den Aufschwung der Branche beschleunigte Ende 2022 Hurrikan «Ian», der Teile Floridas verwüstete. Münchener Rück musste 1,6 Mrd. € für die Schäden zahlen, es war der zweitgrösste Orkanschaden in ihrer 144-jährigen Geschichte. Damals zogen sich viele Versicherer aus dem Naturkatastrophengeschäft zurück, die Rückversicherer profitierten von steigenden Preisen und verbesserten Konditionen.
Seit einiger Zeit hilft zudem das höhere Zinsniveau, die Prämieneinnahmen zu attraktiven Renditen anzulegen. Im ersten Halbjahr 2024 wuchs bei Munich Re die laufende Verzinsung des Anlageportfolios auf 3,4%, die Rendite auf Neuanlagen stieg auf 4,7%.
Profiteur des Klimawandels
Der Klimawandel spielt der Branche paradoxerweise in die Karten: Schadenereignisse werden häufiger, ausgeprägter und teurer, entsprechend können die Rückversicherer im Folgejahr die Preise erhöhen. «Seit Jahren gibt es immer wieder Ereignisse, die den Markt auf hohem Niveau gehalten haben», sagt Portfoliomanager Franz. Anders als in früheren Hochphasen – zuletzt 2017 – haben sich dieses Mal keine neuen Rückversicherer auf Bermuda gegründet, die sonst mit zusätzlichem Angebot die Preise verdarben.
Das knapp bemessene Angebot hilft den grossen Spielern, sich die Rosinen herauszupicken. Münchener Rück zählt – neben Swiss Re und Hannover Re – zu den am besten kapitalisierten Unternehmen der Branche. Bilanzstärke und Verlässlichkeit sind gerade in unsicheren Zeiten gesucht.
Bei den Münchnern kommt eine überkonservative Reservierungspolitik dazu. Während Swiss Re oder die französische Scor Rückstellungen immer mal wieder nachdotieren müssen, da sie sich im Nachhinein als zu knapp bemessen herausstellen, sind solche Nachreservierungen in München seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Münchener Rück befüllt ihre Rückstellungen lieber zu üppig und löst sie später auf. Allein im ersten Halbjahr 2024 wurden 660 Mio. € Rückstellungen für Basisschäden aufgelöst.
«Die Basis für den jetzigen Erfolg haben einst Nikolaus von Bomhard und Jörg Schneider mit ihrer sehr konservativen und vor allem disziplinierten Unternehmenspolitik gelegt», erklärt Plenum-Fondsmanager Franz. Das langjährige Duo aus CEO und CFO verkörpert ein Trauma von Münchener Rück: Der Börsencrash hatte 2003 die finanzielle Basis so stark angegriffen, dass Finanzchef Schneider und der damals noch designierte CEO von Bomhard die Aktionäre um fast 4 Mrd. € frisches Kapital bitten mussten.
Ursache für die damalige Schieflage waren überhöhte Risiken auf der Anlageseite, mit einer Aktienquote von über 20% sowie gewichtigen Beteiligungen im Finanzsektor. In den Folgejahren verhagelten dann immer wieder Altlasten der 1996 akquirierten American Re die Bilanz. Bomhard und Schneider bauten das Risikomanagement aus und verordneten strikte Disziplin beim Zeichnen von Risiken. «Von diesem Mindset profitiert Münchener Rück noch heute», glaubt Franz.
Als Bomhard 2017 an den heutigen CEO Joachim Wenning übergab und zwei Jahre später den Aufsichtsratsvorsitz übernahm, war die Marschrichtung klar: keine Grossübernahmen und auch sonst keine Experimente. Die anschwellenden Haftpflichtrisiken in den USA, die Swiss Re das Geschäft verhagelten, spielen in München keine Rolle. Stattdessen arbeitete man an den Risikomodellen.
Mehr Risiko bleibt bei den Erstversicherern
Vor zwei Jahren nutzte Wenning den harten Markt für einen «Reset», der die Risiken zwischen Erst- und Rückversicherern neu ausbalancierte. Seither müssen die Erstversicherer bei Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen einen deutlich höheren Selbstbehalt akzeptieren. Durften Erstversicherer ihre Naturkatastrophenschäden früher akkumulieren und dann abzüglich eines Selbstbehalts an die Rückversicherer weiterreichen, hat Münchener Rück dies nun abgeschafft.
Damit behält sie letztlich weniger Risiko – und hat sich seither endgültig in eine Gewinnmaschine verwandelt. Die Schaden-Kosten-Quote in der Sachrückversicherung betrug 2023 nur noch 85% und lag damit zehn Prozentpunkte niedriger als beim Erzrivalen Swiss Re.
Auf einem Investorentag Ende 2020 legte Wenning unter dem Label «Ambition 2025» einen Fünfjahresplan vor. Demnach sollte der Konzern die Rendite auf das Eigenkapital auf 12 bis 14% steigern, den Gewinn je Aktie und die Dividende um durchschnittlich mindestens 5% jährlich erhöhen und die Solvenzquote im «optimalen» Bereich zwischen 175 und 220% halten.
Schon 2023 wurden alle Ziele mehr als erreicht, obwohl das Renditeziel zwischenzeitlich auf 14 bis 16% erhöht wurde.
Der nächste Kapitalmarkttag steht erst im Dezember 2025 an. Die Aktionärspflege lässt dennoch wenig Wünsche offen. Für 2023 überraschte der Rückversicherer mit einer deutlichen Anhebung der Dividende um 3.40 auf 15 €; das entspricht seit 2020 einem jährlichen Wachstum der Dividende von durchschnittlich 15%.
Zudem nahm man 2022 die im Vorjahr ausgesetzten Aktienrückkäufe wieder auf: 2023 floss so 1 Mrd. € an die Aktionäre zurück. Im Februar 2024 kündigte Wenning einen neuen Rückkauf über 1,5 Mrd. € bis zur Hauptversammlung 2025 an.
Der einzige Wermutstropfen des Kursauftriebs ist, dass die für Münchener-Rück-Aktionäre traditionell wichtige Dividendenrendite sinkt. Die für 2024 von Analysten im Schnitt erwartete Dividende von 16.50 € entspricht beim aktuellen Kurs von 475 € nur 3,5% Rendite.
Grenzen des Wachstums
Angesichts der dominanten Position scheint das Wachstumspotenzial in der Rückversicherung begrenzt. «Der Anteil von Münchener Rück an den meisten Erstversicherungsprogrammen ist schon recht hoch, in einigen Fällen 30 bis 40%», erklärt Plenum-Fondsmanager Franz. «Marktanteilsgewinne sind damit nicht ohne weiteres möglich.»
In Baden-Baden erklärte der Konzern indes, dass es in Europa beim Versicherungsschutz für Naturkatastrophen wie Überschwemmungen eine grosse Deckungslücke gebe. Der Trend zu Überschwemmungen habe sich in den vergangenen Jahren beschleunigt, die Nachfrage nach Rückversicherungsschutz nehme zu.
Um die eigene Risikoexpertise zu nutzen und die Schwankungen des Rückversicherungsgeschäfts auszugleichen, baut der Konzern zudem einen globalen Spezialversicherer auf: Global Specialty Insurance bringt so unterschiedliche Sparten wie Industrie-, Luft- und Raumfahrt-, Cyber-, Jachten- oder Tierkrankenversicherung zusammen und wuchs 2023 um 10% auf 8 Mrd. € Prämieneinnahmen. 2025 soll sie 10 Mrd. € erreichen, bei einer Schaden-Kosten-Quote «in den niedrigen Neunzigern».
Erstmals gelang es in der Ära Wenning auch, den chronisch defizitären Erstversicherer Ergo zu sanieren. 2023 wurden bei 20,1 Mrd. Umsatz 721 Mio. € verdient, dieses Jahr sollen 800 Mio. € übrig bleiben. Die jahrelang mantraartig vorgetragene Forderung von Investoren, Ergo abzugeben, ist damit verstummt.
Eine Perle ist der zweitgrösste deutsche Erstversicherer nach Allianz allerdings bis heute nicht. Drei Viertel des Umsatzes macht er in Deutschland. Das restliche Viertel verteilt sich auf zwanzig Länder, wo Ergo somit ein kleiner Spieler ist. Das Argument von Münchner Rück, mit Ergo ihr Portfolio zu diversifizieren, dürfte spätestens dann wieder infrage gestellt werden, wenn es irgendwo im Geschäft schlechter läuft.
Generationswechselrisiko gut abgesichert
Nach Jahren der Stabilität im Topmanagement steht bei Münchener Rück womöglich ein grösserer Generationswechsel an: 2025 vollenden CEO Wenning und Rückversicherungschef Thomas Blunck das sechzigste Lebensjahr, womit jeweils beide Seiten die Tätigkeit jährlich beenden können. 2026 trifft dies mit Ergo-Chef Markus Riess und Personal- und Asienchef Achim Kassow zwei weitere der insgesamt zehn Vorstände.
Investoren sind zuversichtlich, dass auch der Übergang von Wenning, dem neunten CEO, auf den zehnten Chef seit der Unternehmensgründung 1880 gelingen wird. «Die grosse Stärke von Münchener Rück ist die Tiefe ihrer Bank», sagt Union-Fondsmanager Weyl. «Das Management unterhalb der Geschäftsleitung ist extrem kompetent, die Qualität der Mitarbeiter ist in der Breite super.»
Durchschnittliche Bewertung
Die Bewertungsmultiplikatoren von Münchener Rück sind trotz des steilen Kursaufschwungs nicht abschreckend hoch, im Gegenteil: Der Kurs im Verhältnis zum erwarteten Gewinn liegt nahe 11, das ist der Wert, um den das KGV der gesamten Versicherungsbranche seit Jahrzehnten pendelt.
Der Vorteil der Warnung fürs dritte Quartal ist, dass die Gewinnschätzungen für 2024 gesunken sind. Dies schafft für 2025 Luft nach oben. Zudem gebe es «klare Zeichen, dass der zugrundeliegende Gewinn weit stärker» sei als der ausgewiesene, meinen die JPMorgan-Analysten.
«Der Markt erwartet, dass Münchener Rück allmählich ihren echten Gewinn zeigen muss», erklärt Union-Fondsmanager Weyl. Ihre konservative Politik könnte sich damit für die Aktionäre in Zukunft auszahlen. «Münchener Rück ist in Sachen Glaubwürdigkeit in der europäischen Versicherungsbranche absolute Spitze», attestiert er.
Aus Sicht von The Market können Anleger temporäre Kursrückschläge infolge der Unsicherheiten über die künftige Marktentwicklung für einen Einstieg nutzen. Nicht zuletzt der Klimawandel macht Münchener Rück langfristig zu einem Wachstumstitel.