Sonntag, November 17

Der «Plan Körner» sah einen drastischen Rückbau der CS-Investmentbank vor. Die Durchführung hätte regulatorische Anpassungen bedingt. Das lehnte die Finanzmarktaufsicht ab.

Drei Monate lang, zwischen dem 27. Juli und dem 27. Oktober 2022, führte die Credit Suisse (CS) die heftigsten Diskussionen mit ihrer Aufsichtsbehörde, der Finanzmarktaufsicht (Finma). Der Inhalt der Gespräche: Die neue Führung der Grossbank wollte Tabula rasa machen und einen kompletten Neustart wagen. Im Zentrum des Plans stand der rasche Verkauf von grossen Teilen der Investmentbank.

Anfang Januar hatte Axel Lehmann das Präsidentenamt notfallmässig von António Horta-Osório übernommen. In der Folge wechselte er den Grossteil der Führungsequipe aus und ernannte mit Ulrich Körner Ende Juli einen neuen CEO. Dieser leitete seit 2021 das Asset Management der CS. Schon vor seinem Antritt als CEO war er in der Konzernleitung die treibende Kraft für den Plan gewesen, wie die angeschlagene Grossbank für die Zukunft aufgestellt werden sollte. Nach Körners Amtsantritt als CEO Ende Juli 2022 wurden die Gespräche mit dem Regulator aufgenommen, wie Befragte bestätigen. Der gesamte Verwaltungsrat der CS stand hinter dem Plan. Die CS-Spitze versprach sich hohe Verkaufserlöse, was die fatale Kapitalerhöhung im Herbst 2022 obsolet gemacht hätte.

Für diesen Artikel sprach die «NZZ am Sonntag» mit mehr als einem halben Dutzend hochrangiger Insider. Offiziell Stellung nahm niemand, dies auch im Hinblick auf den Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zum Ende der CS, der bis Ende Jahr publiziert werden soll.

Gebundene Hände

In jenem Sommer hatte die CS-Führung keine freie Hand mehr. Nach einer Serie von Skandalen und Milliardenverlusten befand sich die Bank an mehreren Fronten unter Druck. Besonders heikel: die dünne Kapitaldecke des Stammhauses Credit Suisse AG. An diesem hingen das Schweizer Geschäft sowie die beiden Töchter in London und New York, bei denen der Grossteil des Investment Banking angesiedelt war.

Für den Verkauf des Investment Banking hätte die Bank die Unterstützung des Regulators benötigt. Denn der radikale Rückbau würde zuerst einmal im Stammhaus zu einer Kapitallücke in Milliardenhöhe führen. Der Grund lag darin, dass durch den Verkauf die Erträge auf einen Schlag wegfallen und die Bewertung der nunmehr ausgehöhlten Tochterbanken unter den Buchwert fallen. Das würde buchhalterisch sofortige riesige Abschreiber im Stammhaus nötig machen.

Im Zentrum des Plans stand der rasche Verkauf von grossen Teilen der Investmentbank. Damit sollte die angeschlagene Grossbank auf eine nachhaltig stabile Basis gestellt werden.

Bankinterne Schätzungen hätten ergeben, dass bei einem solchen Vorgehen die Kapitalquote auf Stufe Stammhaus auf rund 9,6 Prozent fallen würde, so erzählen Insider. Regulatorisch vorgegeben waren 10 Prozent. Die CS-Banker waren sich damals sicher: Ein so deutliches Unterschreiten würde zu einem weiteren Vertrauensverlust am Markt mit unbekannten Folgen führen.

Anwendung einer anderen Bewertungsmethode

Die Bank forderte deshalb Hilfe: Rund um den Verkauf der einzelnen Geschäfte sollte ihr die Finma erlauben, die Tochterbanken nicht mit der Discounted-Cashflow-Methode zu bewerten, sondern stattdessen die sogenannte Net-Asset-Value-Methode (NAV) anwenden zu dürfen.

Vereinfacht ausgedrückt, wären bei der ersten Methode die massiven Abwertungen sofort nach einem Verkauf voll einberechnet worden. Das hätte zum besagten deutlichen Unterschiessen der Kapitalquote geführt. Die von der CS verlangte NAV-Methode dagegen würde eine schrittweise Abwertung über Zeit erlauben, so dass die Kapitalquote nicht massiv unterschiessen würde und die Bank die benötigte Zeit erhalten würde.

Während drei Monaten diskutierte und stritt die CS-Führung mit der Finma über den Plan. Die Aufsicht sagte Nein und forderte die CS auf, die Bank innerhalb des bisherigen Regelwerks zu restrukturieren.

Plan ging auf Sergio Ermotti zurück

Zum «Plan Körner» gab es laut Involvierten keine gleichwertige Alternative. Über diesen wurde bis kurz vor dem 27. Oktober heftigst diskutiert. Da die Finma dem Plan aber von Beginn weg äusserst kritisch gegenüberstand, entwarf die CS-Spitze parallel dazu einen Plan B, der moderater war und eine massive Kapitalerhöhung beinhaltete. Damit ging die CS an jenem Oktobertag an die Öffentlichkeit. Bekanntlich stufte der Markt diese Strategie als nicht genügend nachhaltig ein, was den Niedergang mit beschleunigte.

Warum sagte die Finma 2022 zum Plan Körner Nein? Immerhin machte der Regulator seit Jahren Druck, endlich den Rückbau der Investmentbank in Angriff zu nehmen. Genau das wollte die Bank nun tun. Auch war der Plan Körner kein Produkt von Phantasten. Im Gegenteil: Er ging in den Grundzügen auf den UBS-Chef Sergio Ermotti während seiner ersten Amtszeit bis 2020 zurück. Ulrich Körner sass damals als Chef der Sparte Asset Management in der Konzernleitung der UBS. Diese rechnete auch eine mögliche Übernahme der CS durch und entwarf die Grundzüge des Plans, den die CS der Finma dann im Sommer 2022 vorlegte, wie mehrere Befragte bestätigen.

Zudem hatte die Finma noch im Jahr 2017 Flexibilität rund um die Berechnung der Kapitalquote des Stammhauses gezeigt. Die knappe Kapitalausstattung war seit langem ein Kernthema in den Diskussionen der CS mit dem Regulator. 2017 erst hatte die Finma der CS eine zehnjährige Frist gewährt, um eine Verschärfung der Kapitalanforderungen umzusetzen. Zusätzlich erhielt die Bank wegen einer regulatorischen Änderung eine Erleichterung bei der Bewertung ihrer Tochterbanken in Form eines sogenannten Accounting-Filters. Diese Erleichterungen waren mit strengen Auflagen verbunden, welche die CS in den kommenden Jahren erfüllte.

Eklat bei der Bewertung

2022 hatte sich die Situation allerdings grundlegend verändert. Die CS hatte bei Greensill und Archegos Milliardenverluste eingefahren, die zum Grossteil in der Investmentbank anfielen. Wechselnde CS-Chefs kündeten immer wieder Strategieänderungen an, die aber nicht umgesetzt wurden.

Zudem kam es bei der Bewertung der Auslandstöchter zum Eklat. So bot die Finma seit 2020 regelmässig eine Drittfirma für die Bewertung der CS-Töchter auf. Die CS musste ihre eigenen Bewertungen wiederholt nach unten korrigieren, sagen Insider. 2022 aber schätzte eine neue Drittfirma die Auslandstöchter um 12 Milliarden Franken tiefer ein als die CS. Einen derart riesigen Bewertungsunterschied hatte es zuvor nie gegeben, die Finma und die CS gerieten sich deswegen in die Haare.

Die Finma stufte den Antrag der CS zudem nicht als Kapitalerleichterung ein, sondern argumentierte, dass die neue Bewertung zu einem Regimewechsel geführt hätte. Das hätte zu deutlich höheren Werten und damit mehr Eigenkapital geführt, ohne dass sich an der ökonomischen Substanz etwas geändert hätte. Dies lehnte die Finma ab.

Teil des Problems sass mit am Verhandlungstisch

Als Teil des Problems galt auch der langjährige CS-Finanzchef David Mathers. Sein hochkomplexes Buchhaltungssystem hatte es der Bankführung jahrelang erlaubt, die finanzielle Situation jeweils auf die Quartalszahlen hin so vorteilhaft wie nur irgend möglich zu zeigen. Mit der Finma befand er sich deswegen im Dauerclinch, die Beziehung zwischen Mathers und der Finma bezeichnen Involvierte als «zumindest angespannt».

Im Sommer 2022 war Mathers aber auch bankintern mehr als angeschlagen. So war ihm von Lehmann nahegelegt worden, die CS zu verlassen. Doch bestand dieser nicht auf einem sofortigen Abgang, was wegen Mathers Expertise wohl problematisch gewesen wäre. Bei den Diskussionen mit der Finma waren nun Körner und Lehmann im Lead, der bisherige Verhandlungsführer Mathers aber sass weiterhin zeitweise mit am Verhandlungstisch – keine optimale Situation.

Frühere CS-Banker betonen bis heute, dass die CS-Führung in jenem Sommer zu grossen Konzessionen bereit gewesen sei, bis hin zu drastischen Kürzungen bei den Bonuszahlungen. Die Finma zeigte sich davon offenbar wenig beeindruckt.

Verwaltungsrat erst kurz vor Ende am Drücker

Zudem gab es auch bei der Finma eine neue Konstellation. Am 12. Dezember 2018 befand das Bundesgericht in einem Leiturteil, dass Geschäfte von grosser Tragweite nicht mehr von der Finma-Geschäftsleitung alleine, sondern vom Finma-Verwaltungsrat entschieden werden müssten. In der Folge erarbeitete die Finma eine engere Definition solcher Geschäfte.

Zudem konnte die Geschäftsleitung neu ab 2021 Themen in den Verwaltungsrat tragen, bei denen sie davon ausging, dass diese bald zu einem Geschäft grosser Tragweite werden könnten. Die CS wurde ab Juni 2022 ein solches Fokusthema. Ab dann befand sich die Geschäftsleitung mit dem Verwaltungsrat im Austausch, da sie an jeder VR-Sitzung zur CS separat informierte. Sämtliche Entscheidungen aber fällte weiterhin die Geschäftsleitung allein.

Überraschenderweise wurde die CS erst im März 2023 zu einem Geschäft grosser Tragweite, wie aus Finma-Kreisen zu vernehmen ist. Und damit nur Tage vor jenem 19. März, an dem publik wurde, dass die UBS die CS übernimmt. Der Verwaltungsrat der Finma war erst von da an für die Entscheide zur CS zuständig. Warum das derart spät geschah, ist unklar, die CS dominierte die Schlagzeilen der internationalen Finanzwelt seit Monaten. Die Finma nimmt dazu keine Stellung. Klarheit könnte der PUK-Bericht bringen.

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