Am Montag in London sprach Michael Palin, ehemaliges Monty-Python-Mitglied und weltreisender Reporter, über seine Memoiren. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften. Wieso wollen dennoch so viele seine Bücher lesen?
Gutgelaunt sitzt er da und lacht mit seinem Kautschukgesicht. Michael Palin ist braungebrannt mit grauem, nach hinten gesträhltem Haar. Er strahlt eine dermassen gemütliche Gelassenheit aus, dass man das Gefühl bekommt, seine Schuhe seien getarnte Finken.
Es ist Montagabend im Londoner «Kings Place» am Regent’s Canal, Michael Palin wird von der Journalistin Miranda Sawyer befragt, dann kommen die im Saal zum Zug. Der Abend ist seit dem Sommer ausverkauft, Tausende schauen im Internet zu, die anschliessende Lesetour ist ebenfalls voll gebucht. Dabei ist der Anlass bloss der vierte Teil der Memoiren, an denen der Komiker, der auch als Romanautor, Schauspieler, Dok-Filmer, Performer, Reisejournalist und Philanthrop bekannt wurde, seit Beginn seiner Karriere schreibt.
Am Südpol bei 50 Grad minus
Man sieht ihm nicht an, was er in seinen achtzig Jahren erlebt hat. Michael Palin fiel in reissenden Flüssen aus dem Gummiboot. Er ass Kamelkopf und trank Schlangengalle. Er musste einen Psychopathen abwehren, der Sex mit ihm haben wollte. Er liess sich auf eine Reise in achtzig Tagen um die Welt ein, also ohne Flugzeug. Dann zog er vom Nordpol zum Südpol, wo er bei 50 Grad unter null übernachtete. Er besuchte zerklüftete, arme und kriegsverwüstete Länder. Er reiste auf einem Fischerboot fast 5000 Kilometer weit von Dubai nach Mumbai. Er lag stundenlang in eisigem Wasser, verdurstete beinahe in der Sahara. Michael Palin tat das alles freiwillig.
Manches davon erlebte er nicht, sondern spielte es als Mitglied von «Monty Python’s Flying Circus», der englischen Gruppe von Komikern, die von den sechziger Jahren an aktiv war und ihn berühmt machte. Manches davon passierte ihm auf seinen Weltreisen im Auftrag der BBC. Sie hatte ihn 1982 angerufen mit der Frage, ob er vor ihrer Kamera Phileas Foggs Abenteuer nach Jules Verne nachreisen wollte. «Ich war der Fünfte, den sie fragten», erzählt er am Montag.
Michael Palin sagte zu, packte, liess sich an die Victoria Station in London fahren, traf das Team und realisierte, dass es für ihn keine einzige Seite Skript vorbereitet hatte; man erwartete von ihm, alles zu improvisieren. Trotzdem dauerte es lange, bis Palin merkte, wen das Publikum haben wollte: ihn, Michael, den Mann ohne Eigenschaften. Erst aus seiner Normalität heraus konnte das Publikum die Fremde zulassen. Dass Palin ein redefreudiger Erzähler ist, geistreich, humorvoll und neugierig, trug zum Welterfolg seiner zweiten Karriere bei.
Eben ist er aus Niger zurückgekehrt. Was ihn am meisten überrascht habe, fragt ihn die Moderatorin. «Dass alle die ganze Zeit einander anschreien, ohne dass sie Krach haben.» Dass er auf seinen Reisen auch beschimpft und als Stellvertreter der früheren britischen Besetzungsmacht behandelt wird, nimmt er ebenso hin wie die Strapazen, die solche Reisen mit sich bringen. Michael Palin ist aufrichtig an den Menschen, Bräuchen, Ländern und Landschaften interessiert.
Schreiben statt rauchen
Aber warum führt er Tagebuch? Wie hält er das aus, seine eigenen Gedanken zu lesen? Palin tut es seit 45 Jahren; er hat vier Bücher mit seinen Einträgen vollgeschrieben und sollte es wissen. Am Montagabend in London gibt er, wie typisch für ihn, eine trügerisch einfache Antwort. Er habe mit dem Rauchen aufgehört und mit dem Schreiben angefangen, sagt er; «I just like to record the day», fügt er als Erklärung dazu, die keine ist. Schreiben statt rauchen.
Dazu passt, dass er keine interessante Neurose vorzuweisen hat und keine exzentrische Biografie. Sondern er hat sein Leben als Mann gelebt, der mit seiner Frau Helen bis zu ihrem Tod fast fünfzig Jahre zusammen war, noch immer im selben Londoner Haus wohnt, sich als unaufgeregten Linken bezeichnet und als Trainspotter, weil er sich schon als Kind der Eisenbahn verschrieb. Die einzige Exzentrik, die sich Michael Palin leistet und die er mit der Hauptfigur seines ersten Romans teilt, ist seine Faszination für Leben, Lieben, Schreiben, Jagen und Sterben von Ernest Hemingway.
Das ausgleichende Temperament des Engländers aus der Stahlstadt Sheffield irritierte schon die Pythons. Michael sei der Einzige, sagte sein Kollege John Cleese einmal, «der vor der Schlacht von Stalingrad Hitler und Stalin hätte treffen und beiden das Gefühl hätte geben können, er sei auf ihrer Seite». Vielleicht spielte Cleese damals am liebsten mit Palin zusammen, weil dieser den «straight guy» gab, den in komischen Situationen unaufgeregt Normalen, neben dem der andere umso komischer wirkt.
Die Normalität war jener Aggregatszustand, den die Pythons mit besonderer Vehemenz attackierten. Die fünf britischen Akademiker und der amerikanische Politologe Terry Gilliam kombinierten auf bis heute unerreichtem Niveau Bildung und Idiotie, Weltgeschichte und Schlägerei, Philosophie in der Kloake und Psychose mit Krawatte. Sie zeigten Foltermethoden der Mafia wie Metapher, Analogie, Ironie und Sarkasmus; behandelten das verdrängte Thema des Kannibalismus in der britischen Marine; und streiften die existenzielle Frage, warum immer so viele tote Bischöfe vor der Eingangstüre liegen.
Sie taten also nichts anderes, als ihre in Cambridge und Oxford erworbene Bildung dem Absurden preiszugeben. Wer mit ihnen darüber diskutieren wollte, musste um sein Leben fürchten. «Wir hielten Selbstschuss-Anlagen bereit», sagte Palin einmal, «die bei jedem losgingen, der über unsere Komik dissertieren wollte.» Er sagte es auf nette Art.