Vor drei Jahren ist Nathalie Brugger an Darmkrebs erkrankt. Jetzt führt die Olympiaseglerin das Schweizer Team Alinghi im ersten America’s Cup der Frauen an.
Auf der Alinghi-Basis in Barcelona ist trotz dem Ausscheiden des Schweizer Boots noch keine Ruhe eingekehrt. Das Hospitality-Programm wird im geplanten Rahmen weitergeführt. Gäste können im Besucherbereich von der Bar oder der Terrasse aus auf grossen Bildschirmen die Cup-Rennen der Teams verfolgen, die noch im Wettbewerb sind. In den kommenden Tagen wird auch wieder ein Alinghi-Team zu sehen sein: Im Rahmen des ersten Women’s America’s Cup kämpfen vier Schweizerinnen in Fleet-Races gegen die Konkurrenz.
Geführt wird die AC40, das Cup-Trainingsboot der Männer, von Nathalie Brugger. Die dreifache Olympiateilnehmerin musste, wie die meisten ihrer Kolleginnen, das Foilen von Grund auf lernen. Die Voraussetzungen waren nicht ideal. Weil das Programm der männlichen Cup-Crew nicht gestört werden durfte, konnten die Frauen zwei Monate lang nicht segeln.
«Das war frustrierend, aber wir mussten es akzeptieren», sagt die Steuerfrau und Skipperin. Dafür habe es viele Trainingsstunden am Simulator und Workshops mit den Technikern und den Ingenieuren gegeben. Und der Erfahrungsaustausch mit den «Big Boys», die viel mit der AC40 trainiert hatten, sei sehr hilfreich gewesen.
Ein Nervenzusammenbruch und zwei Dutzend Chemotherapien
Brugger ist mit 38 Jahren die älteste Seglerin im Alinghi-Team. Sie sei «la grand-mère», die Grossmutter, und müsse manchmal «sonner la cloche», also zum Rechten schauen. Alexandra Stadler, die zweite Steuerfrau auf der anderen Bootsseite, sei sehr jung und liebe die Geschwindigkeit, sie jedoch, Brugger, sei eher ruhig und vorsichtig. «Wir ergänzen uns gut», sagt die Romande.
Sie betont, dass die Kommunikation während der Rennen mit ihrem Gegenüber, das man auf der AC40 wegen der Grosssegel nicht sehen kann, sehr gut sei. Der Dialog erfolge auf Englisch, die beiden Trimmerinnen, die mit ihren Einstellungen das Boot schnell machten, müssten nur wenige Inputs geben. Ihre talentierten Mitseglerinnen seien offen für ihre Erfahrung, «sie hören auf mich, stellen mir Fragen». Jede bringe etwas mit. «Das ist die Stärke unseres Teams: die diversen Backgrounds, die anderen Mentalitäten, das unterschiedliche Alter und divergierende Ansichten. Kurz: die gute Mélange.»
Geboren ist Nathalie Brugger in Lausanne, am 25. Dezember, ein Weihnachtskind. In der kleinen Freiburger Gemeinde Ependes ist sie aufgewachsen, in einem Ferienkurs entdeckte sie auf dem Neuenburgersee das Segeln. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Die Tatsache, allein auf dem Boot zu sein, mitten auf dem See, sei berauschend gewesen. «Ich wusste zwar nicht, was ich machte. Aber ich war die Chefin, konnte gehen, wohin ich will. Die Freiheit, mit dem Wind zu spielen, hat mir gefallen.»
Ihr Talent brachte sie in die Schweizer Regattaszene, schliesslich an drei Olympische Spiele. Die verliefen durchzogen: zunächst ein Diplomplatz in Peking 2008, eine Enttäuschung in London 2012, und der Frust über eine verpasste Medaille 2016 mit dem 7. Rang. Wegen eines «läppischen Anfängerfehlers» habe sie die sicher geglaubte Medaille verloren. Sie habe lange gebraucht, um diesen Rückschlag wegzustecken.
2021 reist sie nach Tokio, an ihre vierten Olympischen Spiele, diesmal als Coach der Seglerin Maud Jayet. Nach dem Verzehr von rohem Fisch fühlt sie sich schlecht. Die Symptome verschwinden nicht, nach einer Untersuchung erhält sie eine niederschmetternde Diagnose. Nathalie Brugger hat Darmkrebs in einem Stadium zwischen drei und vier. Die Sportlerin ist verzweifelt. «Warum ich?», fragt sie sich, sie erleidet einen Nervenzusammenbruch. Es folgen zwei Dutzend Chemotherapien, die Erholung verläuft schleppend.
Heute sagt die diplomierte Sportwissenschafterin, sie sei von einem Tag auf den anderen in eine neue Welt eingetreten, die sie nicht gekannt habe. Es sei für sie schwierig gewesen, zu akzeptieren, dass sie die Kontrolle über ihren Körper verloren habe, etwas, was einem Sportler oder einer Sportlerin nicht passieren dürfe. «Jahrelang habe ich über meinen Körper bestimmt, ich habe entschieden, wann und wie hart ich trainiere. Diese Freiheit hatte ich verloren.» Als Athletin fühle man sich stark, man vergesse, «dass die Gesundheit ein Geschenk ist». Das sei ihr durch die Krankheit bewusst geworden.
Schliesslich habe ihr die Erfahrung des langen Sportlerinnenlebens im Genesungsprozess geholfen. «Ich habe mir vorgestellt, mich auf Olympische Spiele vorzubereiten. Das Ziel: gesund zu werden.» Sie sei von vertrauten Leuten umgeben gewesen, von Familie, Freunden, ihrem Lebenspartner und heutigen Ehemann, einem australischen Segel-Olympiasieger. Dies seien ebenfalls wichtige Faktoren gewesen, um die Krankheit zu überwinden.
Die Chemotherapie habe sie inzwischen absetzen können, sie fühle sich besser, sei körperlich und mental wieder fit, brauche aber mehr Zeit, um sich zu erholen, und sei rascher müde. Und alle drei Monate muss sich Brugger in ärztliche Kontrolle begeben. Auf die Frage, warum sie ihre Krankheit öffentlich gemacht habe, sagt sie, es sei wichtig, dass junge Sportler und Sportlerinnen auf ihren Körper hörten und Warnsignale ernst nähmen. Man müsse den Kampf gegen die Krankheit aufnehmen. Und man dürfe sich auf keinen Fall im Internet informieren. Dort würde man lediglich eines erfahren, nämlich dass man sterben werde.
Die Frauen hinken den Männern hinterher
Im Auswahlverfahren für die Alinghi Women’s Crew letzten Herbst war Nathalie Brugger noch nicht in der Lage, auf dem Wasser zu segeln, sie habe den Test dank ihrer grossen Segelerfahrung und ihren Resultaten am Simulator bestanden. Mit der Teilnahme am America’s Cup geht für sie ein grosser Traum in Erfüllung. Der Anlass sei wichtig, um das Frauensegeln zu fördern. Bei den Olympischen Spielen sei eine Parität zwischen den Geschlechtern inzwischen erreicht, nicht so im professionellen Segelsport und schon gar nicht im America’s Cup.
Es sei zwar erfreulich, dass beispielsweise bei Alinghi auch Ingenieurinnen arbeiteten. Und nun sei es eine gute Gelegenheit, auf schnellen Booten, die von den Männern in den Vorregatten gesegelt wurden, zu zeigen, dass das auch Frauen könnten.
Brugger erinnert sich gerne an die Zeit als Crewmitglied auf der «Ladycat», dem Boot von Dona Bertarelli, der Schwester des Alinghi-CEO Ernesto Bertarelli, das 2010 mit einer Frauencrew die Bol d’Or auf dem Genfersee gewann. Solche Initiativen hälfen dem Frauensegeln, wie auch das Magenta-Projekt, das Segeln als integrativen Sport fördern will. Brugger war als Seglerin im reinen Frauenteam dieser Organisation, das an der World Match Racing Tour teilnahm.
Für Nathalie Brugger, die zweite Steuerfrau und die beiden Trimmerinnen auf der AC40 beginnt ein neues Kapitel ihrer Karrieren. Die Teilnahme am ersten Women’s America’s Cup könnte für die Frauen ein Sprungbrett für die Foiling-Szene bedeuten, in der auf Booten gesegelt wird, die auf Tragflügeln gewissermassen über das Wasser fliegen. Gestresst ist die Leaderin des Teams deswegen nicht. Auf dem Papier sei Alinghi kein Favorit. Ziel sei es, sauber, achtsam und konzentriert zu segeln, «damit am Schluss alle stolz auf ihre Leistung sein können».
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