Montag, November 25

Emir Kusturica hat einst für Furore gesorgt mit seinen poetischen und lebensnahen Filmen. Umso erstaunlicher ist seine Koketterie mit den serbischen Machthabern. Nun ist der Filmregisseur siebzig geworden.

Er gewann Palmen, Bären und Löwen für seine Filme. Doch in den letzten Jahren erregte Emir Kusturica mehr Aufmerksamkeit mit provokativen politischen Ansichten. Das begann damit, dass der Regisseur in den 1990er Jahren seiner Geburtsstadt Sarajevo den Rücken kehrte. Er fand jenseits der Drina eine neue Identität in Serbien.

Es klingt immer noch seltsam, wenn Emir Kusturica sagt, dass er ein serbischer Regisseur sei. Für Menschen, die wie Kusturica aus Bosnien-Herzegowina stammen, ist das etwa so, als hätte der Schweizer Max Frisch sich eines Tages als Deutscher bezeichnet. Natürlich hat jeder das Recht, das zu sein, was er wünscht, und so akzeptiert und respektiert zu werden. Aber das schmälert nicht die Irritation.

Man versucht zu verstehen, warum jemand, der im November 1954 in Sarajevo geboren wurde und aus dem säkularen muslimischen Nachkriegsmilieu stammt, das historisch und gesellschaftlich wenig Kontakt zu Serbien hatte, sich plötzlich als Serbe bezeichnet und beschliesst, die zweite Hälfte seines Lebens in Serbien zu verbringen. Seine Sprache, der Akzent, den er heute noch pflegt, verweisen auf Sarajevo. Genauso wie sein Habitus: die übertriebene Lockerheit, das gewollt Antiintellektuelle. Seit dem Bosnienkrieg und der bis 1995 dauernden Belagerung Sarajevos durch die von Belgrad alimentierte bosnisch-serbische Armee war er nicht mehr dort.

Grosse Preise

Vielleicht wäre es für viele einfacher gewesen, Kusturicas Weggang zu akzeptieren, wenn er sich dafür entschieden hätte, Franzose oder Amerikaner zu werden. Er hat in beiden Ländern gelebt und gearbeitet. Doch Kusturica hat sich auf die Seite von Milosevic und jenen gestellt, die seinen Geburtsort zerstörten. Warum? Was mit ihm geschehen ist, lässt sich anhand seiner Filme zeigen.

Schon seine ersten Filme, «Erinnerst du dich an Dolly Bell?» (1981) und «Papa ist auf Dienstreise» (1985), bringen ihm den Silbernen Löwen an den Filmfestspielen von Venedig ein und die Goldene Palme in Cannes. Die Filme leben von genauen Milieustudien aus dem titoistischen Jugoslawien. Kusturica richtet die Kamera auf die Aussenbezirke und Vororte von Sarajevo und führt in eine wenig bekannte Welt, die er aus eigener Anschauung kennt.

Gleichzeitig eignet sich der prominente Regisseur die damals beliebten Sarajevo-Manieren an und gibt sich ein bisschen als Barbar, ein bisschen als Rebell mit zerzausten Haaren und einem besonderen Sinn für Humor. Statt in Cannes den Preis entgegenzunehmen, lässt er ausrichten, er müsse einem Freund helfen beim Parkettverlegen.

Kusturica verfällt immer mehr einer Art «Balkanismus», er parodiert die Region als exotischen und verrückten Ort, wo die Menschen sich dauernd betrinken, lieben und umbringen. Damit kommt er im Westen gut an. 1988, noch vor dem Jugoslawienkrieg, dreht er einen Film über die Roma Mazedoniens. Für «Die Zeit der Zigeuner» erhält er in Cannes die Auszeichnung für die beste Regie. Ein weiterer Sarajevoer, Goran Bregovic, der heute ebenfalls in Belgrad lebt, steuert die Musik zum Film bei.

Der Krieg verändert Kusturica. Der Zerfall Jugoslawiens treibt ihn um. Er reist ruhelos hin und her zwischen den USA, Frankreich und Belgrad. In New York arbeitet er als Professor an der Filmabteilung der Columbia University und dreht 1993 mit seinem Kindheitshelden Jerry Lewis und der Femme fatale seiner Generation, Faye Dunaway, den Film «Arizona Dream».

Das Jahr 1993 ist der Höhepunkt einer persönlichen Orientierungskrise. Er schwankt zwischen der Parteinahme für Serbien und seiner bosnischen Heimat. In «Le Monde» erzählt er von einer zufälligen Begegnung am Flughafen Amsterdam. Er trifft den bosnischen Muslim Rasim, der im Krieg von serbischen Extremisten brutal gefoltert worden ist und sich nun auf dem Weg ins Exil befindet. «Ich musste den Märtyrer Rasim aus dem Lager sehen, um emotional auszubrennen und die ganze Politik vergessen zu können», schreibt Kusturica. Er reise in der Welt herum, fährt er fort, weil er hoffe, so seine verknoteten Gedanken entwirren zu können. Ähnlich wie einst seine Mutter, die vor dem Winter einen Pullover aufdröselte, um Kusturica einen neuen zu stricken.

Ein Film voller Balkan-Klischees

Schwierig zu sagen, warum der neue Pullover dann doch in Belgrad gestrickt wurde. Kusturica nähert sich in Serbien der nationalistischen Führung an und dreht 1995 mit ihrer finanziellen Unterstützung den Film «Underground» – sein Blick auf den Zerfall Jugoslawiens. Auch dieser Film ist erfolgreich und erhält 1995 die Goldene Palme in Cannes.

Es ist ein faszinierendes, buntes Tableau voller Balkan-Klischees: starke Männer, die sich betrinken, sich prügeln, die gleiche Frau begehren. Männer aber, die genau wissen, was richtig ist und was falsch. Kusturica macht Jugoslawien zu einem grossen Keller, wo die Spannungen zwischen den betrogenen Menschen stetig zunehmen und sich schliesslich an der Oberfläche gewalttätig entladen. Die Konflikte erscheinen quasi naturhaft, als ob Kriege sich auf dem Balkan in regelmässigen Abständen ohne klaren Grund wiederholen müssten.

Dabei wird die treibende Rolle Serbiens ausgeblendet. Auf der einen Seite erscheinen die Serben zwar als aufrührerisch und eigensinnig, aber sie haben zuletzt einen unfehlbaren moralischen Kompass. Auf der anderen Seite stehen hingegen verirrte und korrupte Verräter, die vom Westen verführt werden. Solche Zuschreibungen werden durch die Einblendung dokumentarischer Sequenzen grundiert, welche die Bombardierung Belgrads 1941 durch die Deutschen zeigen. Im Gegenschnitt erscheinen jubelnde Kroaten, die den Einzug der Nazis begrüssen. Das passt ins politische Narrativ von Milosevic, wonach es sich bei Kroaten, Slowenen und Bosniaken um Faschisten handle – Erben nazifreundlicher Vorväter.

Auf einer ähnlichen Klaviatur, und das ist die bisher letzte Wendung, spielt Kusturica jetzt für Putin auf. Auch der Mann im Kreml behauptet ja, dass er einen Krieg gegen die Faschisten in der Ukraine führe, und verweist dabei auf die Vorgeschichte im Zweiten Weltkrieg.

Im April besuchte Kusturica Putin und bewarb sich um Subventionen für ein grosses Filmprojekt: das «Russische Triptychon», basierend auf den Werken von Dostojewski, Gogol und Tolstoi. Der Regisseur dankte dem Gastgeber im Kreml dafür, dass er «die historische Gerechtigkeit» für die Slawen wiederherstellen wolle, und bezeichnete den Krieg in der Ukraine als «Kampf für uns Slawen» – als wären die Ukrainer keine Slawen.

Putin revanchierte sich mit der Bemerkung, dass Russland und Serbien Ähnliches durchgemacht hätten: eine Anspielung auf den Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens. Von Kusturica schliesslich vorsichtig auf eine mögliche Finanzierung seines wohl letzten Werkes angesprochen, wich Putin geschmeidig aus. Letztes Werk? Kusturica sei doch noch jung und voller Energie.

Langgehegte Wünsche

Die Kritiker sind sich einig, dass Kusturicas jüngere Filme nicht an sein Frühwerk heranreichen. Aber darunter scheint der Künstler nicht zu leiden. Er nutzt seine Filme vielmehr als Vehikel, um sich eigene langgehegte Wünsche zu erfüllen. So dreht er 2008 einen Film über sein Fussballidol Maradona. Er begleitet ihn zwei Jahre lang, taucht in sein privates Leben ein und spielte in den Drehpausen mit ihm Fussball. 2016, im Film «On the Milky Road», spielt er selber die Liebesszenen mit der schönen Monica Bellucci. Manche behaupten, er habe den ganzen Film nur deshalb gedreht.

Nun ist Emir Kusturica siebzig geworden. Man wünschte sich, dass er dem Publikum statt eines «Russischen Triptychons» nochmals einen warmen, witzigen Film über Menschen aus seiner Heimat schenkt. Zu hoffen bleibt, dass er sich mit Sarajevo, seiner Stadt, versöhnt. Und die Stadt sich mit ihm.

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