Freitag, Januar 3

Mit 68 Jahren ist die frühere HCD-Ikone seltener in Eisstadien zu sehen. Doch wenn es Abend wird, schleicht er sich manchmal in die Arena des SC Bern. Im Rückblick sagt Del Curto: «Man hat mich als Gott angesehen, und das war nicht schön.»

Wer Arno Del Curto bei Google in die Suchmaschine eingibt, der stösst auf Hunderte Filmchen und Artikel, die dem kultigen Eishockeytrainer huldigen. Darunter ist ein Interview, das Del Curto auf dem Höhepunkt seiner Karriere zeigt, im Dezember 2015 nach dem 4:1-Sieg seines HC Davos in den Viertelfinals der Champions Hockey League gegen das schwedische Spitzenteam Skelleftea. In einem amüsanten Redeschwall, den Del Curto als «Bush-Englisch» titulierte, liess er der Begeisterung über die Leistung seines Teams freien Lauf.

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Jene Champions-Hockey-League-Kampagne bezeichnet Del Curto heute noch als den Gipfel seines Schaffens. Seine Mannschaft spielte jenes Tempo-Eishockey, das er immer angestrebt hatte. In der Saison davor hatte der HCD den Schweizer-Meister-Titel gewonnen. Es ist bis dato der letzte für den erfolgsverwöhnten Klub geblieben.

Arno Del Curto mit der Brechstange: Interview auf «englisch»

Der Schock vom 27. November 2018, als in Davos eine Ära endete

Szenenwechsel, ein grauer Mittwochnachmittag im Dezember 2024, Weihnachten ist nah: Arno Del Curto sitzt in einem Café am Berner Bärengraben, diesem Touristenmagnet bei der Nydegg-Brücke. Ein anderer «Bärengraben» ist nicht weit entfernt, denn so wird unter Insidern der Bereich in der Postfinance-Arena genannt, in dem sich Trainer und Spieler nach den Matches des SC Bern den Interviews stellen. Und diese Zone war einst Del Curtos Revier. Der Bündner war dort ein gerngesehener Gast.

Wann immer er mit dem HC Davos in Bern gastierte, waren Spektakel und Unterhaltung garantiert. Dafür sorgte Del Curto oft selber; nicht nur mit seiner Philosophie, wie er Eishockey spielen liess, sondern auch mit seinem Temperament, das sogar gegnerische Fans mitriss.

Mittlerweile ist Del Curto 68 Jahre alt, an der Bande sieht man ihn nur noch selten. Am 27. November 2018 hatte die Nachricht, dass er seinen Job als Headcoach des HC Davos aufgebe, die halbe Schweiz in eine Art Schockzustand versetzt. Der HCD ohne «ADC», das schien zu jenem Zeitpunkt unvorstellbar. Es war, als hätte die unterdessen verstorbene Queen Elizabeth II. die britische Krone freiwillig niedergelegt.

Gut 22 Jahre lang hatte Del Curto den HC Davos trainiert. Er führte ihn in dieser Ära zu sechs Meister- und fünf Spengler-Cup-Titeln. Del Curto wurde zum Gesicht des Aufbruchs im Schweizer Eishockey. Alle wollten coachen und spielen, wie er und sein HCD es taten. So viele Jahre an der Bande ein und desselben Teams: Das ist eine Ewigkeit und im professionellen Mannschaftssport schier nicht mehr vorstellbar.

Heute sagt Del Curto, es sei zu lange gewesen, viel zu lange. «Am Ende war ich ausgelaugt und konnte nicht mehr. Kaum jemand hat es gemerkt, ich nicht, mein Umfeld nicht. Nur der eine oder andere Spieler fühlte, wie ausgebrannt ich war. Als sich bei mir im Sommer vor dem Abgang in Davos erste Anzeichen dafür gehäuft hatten, dass es wohl Zeit wäre, die Mannschaft in andere Hände zu geben, redete man mir das aus. Es hiess: Komm Arno, du packst das! Ein paar Trainings, und du bist wieder drin.»

Del Curto war vom Eishockeyvirus infiziert. Der Sport hat sein Leben über Jahre getaktet, es drehte sich alles um die kleine schwarze Hartgummischeibe. Während er im Berner Café erzählt, fällt seine Faust immer wieder auf den Holztisch, der Löffel auf dem Tellerchen unter seiner Kaffeetasse tanzt zu seinen Worten. Da ist sie wieder, jene Leidenschaft, die Del Curto weit über Davos hinaus ausgezeichnet und zur Ikone gemacht hat.

Immer noch lässt Del Curto kaum jemanden kalt. Wenn er spricht, beginnt sein inneres Feuer wieder zu lodern. Der Einzige, der Anfang 2019 gesehen habe, dass er wohl eine längere Pause brauche, sei der ZSC-Präsident Walter Frey gewesen. Als er diesen in dessen Büro besucht habe, habe ihm Frey gesagt: «Herr Del Curto, was wir hier tun, ist weder für uns noch für Sie gut.» Trotzdem stellten ihn die Lions als Headcoach ein.

Und so verfiel Del Curto wenige Wochen nachdem er seine Arbeit in Davos beendet hatte, dem Ruf dieser alten Liebe, bei der seine Trainerkarriere rund dreissig Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte. Der Viertelfinal-Triumph von Del Curtos ZSC über das «Grande Lugano» im Frühjahr 1992 ist bis heute die grösste Überraschung in den Play-offs und ein Stück Schweizer Eishockey-Geschichte.

Als dieser ZSC ihn kurz nach seinem Rücktritt in Davos gerufen hatte, eilte Del Curto also zu Hilfe – und es ging gründlich schief. Mit der Kultfigur aus dem Engadin verpassten die strauchelnden Zürcher Löwen die Play-off-Qualifikation.

Seine Aussagen zu Jürgen Klopp lösten ein enormes Echo aus

Die Rückkehr zum ZSC ist nur eine Fussnote in Del Curtos Trainer-Biografie. Und doch hat sie Spuren hinterlassen. Möglicherweise war sie notwendig, um ihm zu zeigen, dass er wirklich eine Pause vom Eishockey und dem ruhelosen Leben benötigte. «Ich hatte plötzlich Angst. Angst vor dem Eishockey, Angst vor den Spielen. Ich stand an der Bande und war trotzdem irgendwie nicht dort», erzählt Del Curto an diesem Dezember-Nachmittag in Bern. Am Ende sei er krank gewesen und habe es nicht bemerkt. «Jeder macht denselben Fehler und bleibt zu lange. Selbst Jürgen Klopp hat ihn in Liverpool gemacht.»

Del Curto hegt schon lange offen Bewunderung für den deutschen Fussballlehrer. Auch wenn er im Scherz sagt, Klopp habe ihn kopiert, und nicht er ihn. Als Klopp in der Schlussphase seiner Zeit bei Borussia Dortmund die Spieler nicht mehr erreichte und Partie um Partie verlor, hatte Del Curto in einem Interview mit der NZZ gesagt: «Letztlich muss jeder selber lernen zu verlieren, aber auch lernen, zu gewinnen, ohne dabei abzuheben. Schauen Sie das Beispiel von Klopp an: Er liess seine Mannschaft so grossartig spielen. Dann wurde er grösser als sein Team. Dass die Spieler davon früher oder später die Schnauze voll haben, ist absehbar.»

Die Kritik am Trainerhelden löste international ein enormes Echo aus. Del Curto sagt, am Tag der Publikation des Gesprächs habe er gegen 500 SMS-Nachrichten erhalten. «Alle Welt wollte mit mir sprechen. Jede deutsche Zeitung, jede Radiostation, jeder Fernsehsender. Alle sagten: Sie haben recht.» Trotzdem tappte Del Curto später in dieselbe Falle und folgte seinem Bauchgefühl nicht, als ihm dieses riet, als Profitrainer aufzuhören und eine neue Seite in seiner Lebensgeschichte aufzuschlagen.

Viele haben Del Curto immer wieder als Bauchmenschen bezeichnet, als jemanden, der intuitiv richtig entscheide. Er widerspricht diesem Klischee. «Ich habe alle meine Optionen jeweils hundertmal im Kopf durchgespielt. Ich bin stundenlang durch den Wald gelaufen und habe abgewägt, wie es wohl herauskommt, wenn ich so oder so entscheide? Es ist richtig: Entschieden habe ich aus dem Bauch heraus, doch der Bauch war gut vorbereitet darauf.»

Deshalb traf es ihn auch so sehr, als sich einige seiner Entscheide im Nachhinein als falsch erwiesen. Die Saat des Zweifels war gelegt, und sie wuchsen von Woche zu Woche, gerade im Sommer 2018, bevor er in Davos zurückgetreten war. «Ich erinnere mich noch genau, es war an einem 5. August. Ich bin zu unserem Vizepräsidenten gegangen und konfrontierte ihn mit meinen Gedanken. Ich habe mich damals noch einmal umstimmen lassen. Hätte ich da auf mein Bauchgefühl gehört, hätte ich einen besseren Abgang gehabt. Man hat mich als Gott angesehen, und das war nicht schön.»

Er liebt das Meer – weil er dort ein anderer Mensch ist

Seither hält sich Del Curto von der Bande fern, wo Trainer ihre Profis anleiten. Nur gelegentlich kehrt er an die Stelle zurück, die jahrzehntelang sein fester Platz war. Zuletzt half er seinem alten Freund Roger Bader an drei Weltmeisterschaften als Assistent in der österreichischen Nationalmannschaft. Der Winterthurer war einst Del Curtos Assistent im alten Zürcher SC gewesen. Später arbeitete Bader auch für den EHC Uzwil, die Kloten Flyers und Fribourg-Gottéron. Doch wirklich Respekt erhielt Bader erst als Headcoach in Österreich – obwohl er auch dort hin und wieder von Del Curto in den Schatten gestellt wurde.

Als Bader an der WM 2022 den Klassenerhalt mit seinem Aussenseiter-Team schaffte, schrieb eine Schweizer Zeitung: «Del Curto rettet Österreich». Die Schlagzeile hat Bader tief getroffen. Auch deshalb zögert Del Curto nun, sich an der kommenden WM in Dänemark und Schweden erneut dem österreichischen Betreuerstab anzuschliessen. «Eher nicht», sagt Del Curto. Bader hingegen meint: «Arno wird bestimmt wieder mitkommen.»

Gut möglich, dass Bader recht behält. Das Adrenalin und die Emotionen, die der Sport freisetzen kann, sind eine Droge, welcher sich die wenigsten auf Dauer entziehen können.

Allerdings scheint bei Del Curto schon eine Veränderung stattgefunden zu haben. Denn auf die Frage, wie sehr ihm Eishockey gerade jetzt, da in Davos der Spengler-Cup vor der Türe stehe, noch fehle, antwortete er, ohne zu überlegen. «Nicht, gar nicht. Ich bin froh, dass ich wieder Zeit habe für mich und meine Partnerin. Ich tue, was immer ich will. Ich schaue Fussball, die englische Premier League, oder ich fahre in den Urlaub, irgendwo ans Meer. Ich liebe das Meer. Das Wasser wischt alles andere von mir ab. Dort bin ich ein anderer Mensch.»

Der Jugend nahe – im Herzen ist er Rock’n’Roller und ein wenig Rebell geblieben

Doch es gibt sie immer noch, diese Leidenschaft für den Sport. Nur gehört sie heute primär dem Golf, welches Del Curto seit Jahren spielt. Aber ein lädiertes Hüftgelenk macht es ihm immer schwerer, dieser Passion nachzugehen. Am 15. Januar wird er sich einer Operation unterziehen, um wieder besser und vor allem schmerzfrei gehen zu können.

Doch was kommt danach? Endlose Golf-Touren? Oder doch das Comeback als Trainer? ADC, das Akronym seines Namens, ähnelt jenem der australischen Hardrock-Band AC/DC und könnte passender nicht sein. Auch Del Curto steht ständig unter Strom, seine Liebe zu Heavy Metal ist bekannt und legendär.

Der Autor dieses Artikels erinnert sich an eine nächtliche Autofahrt mit Del Curto durchs verschneite Sertigtal. Aus den Boxen seines Wagens hämmerte der gnadenlose Sound der kalifornischen Punkrock-Band Rage Against The Machine in einer derartigen Lautstärke, dass am Strassenrand der Schnee von den Ästen der verschneiten Tannen fiel.

Arno Del Curto mag unterdessen im Pensionsalter sein. Doch im Herzen ist er Rock’n’Roller und ein wenig Rebell geblieben, er fühlt sich der Jugend und jungen Menschen nahe. Das Verständnis für sie und ihre Werte war Teil seines Erfolgs als HCD-Trainer. Es gibt nur wenige Spieler, die für ADC nicht durchs Feuer gegangen wären.

Del Curto beschäftigt sich immer noch mit jungen Menschen. Und sagt: «Die heutige Generation ist anders, sie hinterfragt schneller. Aber ich war schon früher kein Mann, der einfach befohlen hat. Ich wollte die Menschen um mich herum von mir und meinen Ideen überzeugen.»

Ein Freundschaftsdienst für den neuen SCB-Sportdirektor Martin Plüss

Vor den Fenstern des Berner Cafés ist es dunkel geworden. Del Curto steht langsam auf und wankt mit schwerem Schritt dem Ausgang entgegen, die Hüfte macht jede Bewegung zur Qual. Trotzdem fährt er anschliessend mit seinem Auto die wenigen Kilometer zur Postfinance-Arena und zieht sich die Schlittschuhe an.

Del Curto hat eine neue Tätigkeit. Er geht regelmässig mit den U-20-Junioren des SC Bern aufs Eis, um sie anzuleiten. Es ist ein Freundschaftsdienst, den er für den neuen SCB-Sportdirektor Martin Plüss leistet, eine Gefälligkeit. Del Curto ist also tatsächlich zurück auf dem Eis – und fast niemand hat es gemerkt.

Del Curto in Diensten ihres Vereins: Es ist die Erfüllung eines Wunsches, den so manche Fans gehabt haben, die nicht dem HC Davos zugeneigt waren. Für den SCB wurde er nun zumindest ein Stück weit Tatsache. Weiterhin fliesst das Hockeyvirus durch Del Curtos Adern. Dieser Sport wird ihn wohl zeit seines Lebens nicht loslassen.

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