In Schottland sorgt ein neues Gesetz gegen «Hassverbrechen» für Verunsicherung. Es ist nur die Spitze eines wachsenden Eisbergs in der westlichen Welt.
Pünktlich zum 1. April hat sich die grosse britische Autorin und Feministin J. K. Rowling mächtig und mutig zu Wort gemeldet. Es war kein Aprilscherz, sondern bitterer Ernst: «Ich halte mich derzeit ausser Landes auf, aber wenn das, was ich hier soeben geschrieben habe, gemäss der neuen Gesetzgebung als Verbrechen gilt, freue ich mich auf meine Festnahme, sobald ich in das Land der schottischen Aufklärung zurückgekehrt bin.»
Mit diesen Worten schloss Rowling eine Kette von Tweets auf der Plattform X ab, in denen sie einige landesweit bekannte Personen als Männer bezeichnete, obschon diese sich als Trans-Personen ausgeben. Sie forderte damit die Polizei heraus, der das schottische Parlament die undankbare Aufgabe zugewiesen hat, ein neues Gesetz gegen «Hassverbrechen» umzusetzen.
🎉🌼🌸April Fools! 🌸🌼🎉
Only kidding. Obviously, the people mentioned in the above tweets aren’t women at all, but men, every last one of them.
In passing the Scottish Hate Crime Act, Scottish lawmakers seem to have placed higher value on the feelings of men performing their…
— J.K. Rowling (@jk_rowling) April 1, 2024
Die Hate Crime and Public Order Act war schon 2021 verabschiedet worden, ist aber wegen schwieriger Fragen der Umsetzung erst am Ostermontag in Kraft getreten. Gemäss dem Gesetz macht sich strafbar, wer Drohungen oder Beleidigungen ausspricht mit der Absicht, Hass gegenüber Gesellschaftsgruppen zu schüren. Bisher galt dies schon im Fall von Rassismus. Neu nennt das Gesetz eine Reihe weiterer Merkmale wie Religion, Alter, Behinderungen, sexuelle Orientierung oder Transgender-Identität.
Was ist Hass-Rede?
Das Gesetz sorgt in Grossbritannien für Verunsicherung, weil es einerseits sehr weit gefasst ist und jegliche Äusserungen umfasst, selbst solche im privaten Gespräch in der eigenen Wohnung. Anderseits lässt es den Interpretationsspielraum weit offen, was unter dem Hass-Straftatbestand zu verstehen ist. So hatte noch am Ostermontag eine schottische Ministerin am Fernsehen erklärt, Bürger könnten für die «falsche Zuordnung von Geschlechtern» strafrechtlich verfolgt werden.
Genau darauf zielte die in Edinburgh wohnende Rowling mit ihrer Provokation ab: Sie testete in aller Öffentlichkeit aus, wie die Polizei das Gesetz umsetzen würde. Diese signalisierte tags darauf Entwarnung: Die Aussagen der Autorin stellten keinen Straftatbestand dar, erklärte sie. Offen liess die Polizei allerdings, ob die Tweets als nicht strafbarer «Vorfall von Hass» registriert würden.
Die Erklärung vermochte um die Meinungsäusserungsfreiheit besorgte Kritiker nicht wirklich zu beruhigen. Rowling äusserte vielsagend ihre Hoffnung, dass alle vor dem Recht gleich behandelt würden. Sie spielte damit auf die Möglichkeit an, dass weniger prominente Bürger in ähnlichen Fällen durchaus die Macht des Gesetzes zu spüren bekommen könnten.
Nicht ausgeräumt ist die Befürchtung, dass das Gesetz von Lobby-Gruppen oder Privatpersonen in aggressiver Weise gegen Personen verwendet werden könnte, die unliebsame Meinungen vertreten. Allein in den ersten 48 Stunden seit Inkrafttreten sollen laut britischen Medienberichten bereits über 3000 Meldungen bei der Polizei eingegangen sein. Tiefes Unbehagen weckt der Umstand, dass nicht einmal im privaten Umfeld die freie Rede vor möglichen staatlichen Sanktionen geschützt ist.
Der schottische Chefminister Humza Yousaf verteidigt das Gesetz als ausgewogen; es sei bloss die Ausweitung bestehender Antirassismus-Normen. Rechtsexperten versichern, die Hürde für eine strafrechtliche Verfolgung sei hoch. Doch das überzeugt nicht. Das schottische Gesetz folgt einem gefährlichen Trend in der westlichen Welt, die freie Rede einzuschränken durch die Verrechtlichung von Schutzinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen. Das beschneidet die Freiheit aller, schafft Verunsicherung und ein Klima der Denunziation. Es gibt staatlichen Akteuren zusätzliche Machtmittel in die Hand, vielleicht in wohlmeinender Absicht, aber ohne Garantie, dass diese nicht schleichend zur Kontrolle der Bevölkerung missbraucht werden.
Ein gefährlicher Trend im Westen
Die linke Koalition aus schottischen Nationalisten, der Labour-Partei und Liberaldemokraten, die das Gesetz verabschiedete, ist nicht allein. Auch im seit 14 Jahren von den Konservativen geführten England nehmen die Bestrebungen zur Einschränkung der freien Rede zu. So kündigte der Minister Michael Gove unlängst die Schaffung einer schwarzen Liste an, auf der extremistische Gruppierungen und Nichtregierungsorganisationen aufgeführt werden sollen, die keinen Kontakt zur Regierung mehr haben dürfen. Was als extremistisch gilt, bleibt unklar und der Interpretation der Ministerialbürokratie überlassen.
In Deutschland hat der Verfassungsschutz Meinungsäusserungen, die als «Delegitimierung des Staates» ausgelegt werden könnten, zu relevanten Tatbeständen erklärt, ohne dafür eine klare Verfassungsgrundlage zu haben. In Israel will das Parlament den arabischen Sender al-Jazeera verbieten. In Teilen der USA fallen dem Kulturkampf Bücher in öffentlichen Bibliotheken und der Zugang zu bestimmten Online-Angeboten zum Opfer. Das sind nur ein paar jüngere Beispiele.
Die westliche Welt muss aufpassen, dass sie nicht die Grundlagen ihres eigenen Erfolgs abschafft. Die freie Rede war eine Errungenschaft der Aufklärung, und diese war die Grundlage des einzigartigen wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands, den der Westen in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten geschaffen hat. Die fortschreitende Verrechtlichung von immer mehr Ansprüchen und Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen schränkt die Freiheiten anderer Gruppen ein. Sie ermächtigt den Staat und verschiebt produktive Ressourcen und Energien in bürokratische Verfahren. Das ist ein Irrweg, der am Ende allen schadet.