Mittwoch, Oktober 30

Mit den Zinserhöhungen der Zentralbanken sind auch die Coupons von Anleihen gestiegen. Dies macht die Anlagen nach einer jahrelangen Durststrecke wieder attraktiver. Welche Rolle spielen dabei die weltweiten staatlichen Schuldenberge – und welche Chancen bieten sich?

Das derzeitige Ringen um die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze ruft in Erinnerung, wie stark die Vereinigten Staaten – und mit ihnen der Grossteil der Welt – verschuldet sind. In den vergangenen Jahrzehnten und jüngst während der Pandemie sind die Schulden weltweit geradezu explodiert. Laut dem Institute for International Finance (IIF), einer weltweiten Vereinigung von Finanzhäusern, lag die Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten 2022 insgesamt bei knapp 300 Billionen Dollar. Dabei war nach dem massiven Anstieg 2020 und 2021 im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 2015 ein leichter Rückgang zu beobachten.

Die Schweiz als Musterschüler – aber nicht überall

Finanzexperten stufen das Niveau aber immer noch als besorgniserregend hoch ein – vor allem, was die Staatsverschuldung angeht. Daniel Hartmann, der Chefökonom des Asset-Managers Bantleon, weist darauf hin, dass viele Länder bei der Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) mittlerweile die 100-Prozent-Marke überschritten haben – beispielsweise die USA, Grossbritannien, Frankreich oder Spanien. Bei Japan liegt der Wert sogar jenseits der 250-Prozent-Marke. «Mit weniger als 40 Prozent ist die Schweiz eine löbliche Ausnahme», sagt Hartmann.

Bei der Unternehmensverschuldung sei das Bild etwas differenzierter, auch hier zeige die Tendenz weltweit nach oben. Rasant zugelegt hätten die Unternehmensschulden gemessen am BIP aber nur in wenigen Staaten, beispielsweise in Frankreich und in Schweden. «Auch die Schweiz ist in diesem Bereich kein Musterschüler», sagt Hartmann. Die Unternehmensverschuldung habe hierzulande in den vergangenen 20 Jahren von 80 auf knapp 150 Prozent des BIP zugelegt.

Immer höhere Zinszahlungen für Staatsschulden

Das Anhäufen solcher Schuldenberge könnte sich indessen noch rächen. Die Investmentgesellschaft Janus Henderson sieht Regierungen weltweit vor einer schmerzhaften Abrechnung. Die Zinszahlungen für Staatsschulden hätten 2022 einen Rekordwert von 1,38 Billionen Dollar erreicht und dürften sich in den kommenden drei Jahren verdoppeln. Dies werde die Steuerzahler und die öffentlichen Dienste stark belasten, rechnen die Anlageexperten vor. Besonders stark betroffen seien die USA.

Auch bei den Unternehmen dürfte die gestiegene Verschuldung unangenehme Folgen zeitigen. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie bei Blackrock, geht davon aus, dass die höheren Zinsen an den Kapitalmärkten bei den Firmen die Spreu vom Weizen trennen werden. Viele Unternehmen, die vor allem wegen der extrem niedrigen Zinsen überleben konnten, dürften in Schwierigkeiten geraten. «Allerdings könnten sich derartige Selektionseffekte erst nach einiger Zeit zeigen, weil viele Unternehmen die Zeit expansiver Geldpolitik zum Aufbau von Cash-Reserven genutzt haben», sagt er.

Chancen am Anleihenmarkt bei einer Rezession?

Für Anleger könnten diese Entwicklungen auch Chancen bieten, erwarten die Anlageexperten von Janus Henderson. Sie gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten deutlich abschwächen und die Inflation stärker zurückgehen dürfte als von den meisten erwartet. Laut Jim Cielinski, globaler Chef des Bereichs festverzinsliche Wertpapiere bei dem Finanzinstitut, bedeutet das schiere Volumen der weltweiten Schulden, dass die Zinssätze nicht mehr in dem Umfang steigen müssen wie in der Vergangenheit, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Deshalb dürfte sich der Zinsstraffungszyklus der Notenbanken seinem Ende nähern, erwartet er.

Für Anleihen könnte dies bedeuten, dass die Renditen sinken, was im Umkehrschluss steigende Kurse und damit Gewinne für Anleger bedeutet, die in die Papiere investiert haben. Vor allem Anleihen mit längeren Laufzeiten könnten im nächsten Jahr gut abschneiden, wenn sich die Wirtschaft abschwächen sollte, erwartet Cielinski.

Lück rät Anlegern, im Anleihenspektrum sorgfältig zu differenzieren. Aus seiner Sicht sind derzeit Unternehmensanleihen guter Qualität vielversprechender als langlaufende Staatsanleihen. Zudem böten inflationsgeschützte Anleihen eine sinnvolle Beimischung in einem Anlegerportfolio.

Hartmann weist auf die wieder attraktiven Coupons in einigen Anleihensegmenten hin. Europäische Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel «Investment Grade» wiesen beispielsweise eine durchschnittliche Rendite von mehr als 4 Prozent auf. In diesem Jahr sei mit einer globalen Rezession zu rechnen, die eine Flucht von Anlegern in sichere Anleihen nach sich ziehen dürfte. «Grosse Teile des Anleihenmarktes werden daher 2023 ordentliche Kursgewinne verbuchen», sagt er. Auch mittelfristig bleiben Anleihen aus seiner Sicht attraktiv – nicht zuletzt im Vergleich zu anderen Anlageklassen. «Die Coupons von Anleihen dürften in den nächsten Jahren weiter steigen.»

Staatsanleihen mit hoher Qualität wie deutsche Bundesanleihen und Schweizer Eidgenossen sollten in diesem Jahr eine bessere Performance erzielen als alle anderen Anleihensegmente – und auch die Aktienmärkte, erwartet Hartmann. Amerikanische Staatsanleihen sehe Bantleon ebenfalls positiv. «Hier könnte es aber im Zuge der Debatte um die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze zwischenzeitlich zu Verwerfungen kommen», sagt Hartmann.

Schweizer Anleger dürften weiterhin gut beraten sein, bei ihren Anleiheninvestitionen kaum Währungsrisiken einzugehen und folglich vor allem auf Frankenanleihen zu setzen. «Der Franken dürfte daher seinen übergeordneten Aufwertungstrend gegenüber den wichtigsten Währungen beibehalten. Anlage in Franken bleibt somit die erste Wahl», sagt Hartmann. Allerdings sei der Schweizer Markt – etwa bei Unternehmensanleihen – sehr eng.

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