Einst gab die Baloise den Takt vor. Heute läuft ihr die Helvetia den Rang ab. Nun bahnt sich in der Branche zwischen den beiden Versicherern die grösste Fusion seit Jahren an.
Mit dem Zusammenschluss der Baloise und der Helvetia steht der als träge geltenden Schweizer Versicherungsbranche die grösste Fusion seit Jahren bevor. Dafür brauchte es einen Katalysator: Der aktivistische Finanzinvestor Cevian machte im Frühjahr 2024 seinen Einstieg bei der Baloise öffentlich. Ein knappes Jahr später will der Versicherer mit der Helvetia fusionieren.
Nach der Ankündigung verkauften die Schweden ihre Beteiligung mit einem satten Gewinn von rund dreissig Prozent an die Patria-Genossenschaft, den grössten Aktionär der Helvetia. Nun müssen Ende Mai noch die Aktionäre der Baloise und der Helvetia dem Vorhaben zustimmen.
Bei einem Ja wird gemessen an den Prämieneinnahmen das zweitgrösste Versicherungsunternehmen der Schweiz hinter der Swiss Life entstehen. Die Führung der Helvetia Baloise Holding AG, wie der Versicherer künftig heisst, übernimmt mit Fabian Rupprecht der CEO der Helvetia. Verwaltungsratspräsident wird Thomas von Planta, er kommt von der Baloise.
Das Kräfteverhältnis hat sich umgekehrt
Eine «Fusion unter Gleichen» nennt es das Management. Tatsächlich sind sich die beiden Versicherer in vielem ähnlich, etwa der Kultur oder in ihrer Ausrichtung. Beide erwirtschaften einen grossen Teil ihrer Erträge in der Schweiz und sind daneben noch in mehreren europäischen Ländern tätig. Auch die Idee eines Zusammenschlusses zwischen den beiden Unternehmen ist nicht neu. Bereits um die Jahrtausendwende seien Gespräche geführt worden, erinnert sich ein früheres Mitglied der Baloise-Konzernleitung. Doch das damalige Management wurde sich nicht einig, wie es das fusionierte Unternehmen unter sich aufteilen wollte. Das Vorhaben kam zum Erliegen.
Damals wären die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Versicherern wohl klarer verteilt gewesen. 2000 wurde die Baloise an der Börse mit knapp 10 Milliarden Franken bewertet. Die Helvetia, die wenige Jahre zuvor mit der Patria-Genossenschaft fusionierte, lag bei rund 2,8 Milliarden Franken. Heute hat sich der Spiess umgedreht. Die Helvetia verfügt über einen Börsenwert von 9,7 Milliarden Franken. Die Baloise liegt bei rund 8,5 Milliarden Franken.
Der Aktienchart zeigt es: Im Nachgang der Finanzkrise begann sich die Schere zwischen den beiden Unternehmen zu öffnen. 2011 trat der langjährige Baloise-Lenker Rolf Schäuble als Verwaltungsratspräsident zurück. Sein Nachfolger Andreas Burckhardt wurde zum Verwalter des Stillstandes. Die Baloise habe in den vergangenen Jahren nicht realisiert, dass sich die Welt um sie herum weiterbewegt habe, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der anonym bleiben will. Das Unternehmen verharre im Mittelmass. Der ehemalige Baloise-Manager ergänzt, der Versicherer habe aufgehört, sich weiterzuentwickeln.
In der Schweiz hat das Basler Traditionsunternehmen in den vergangenen Jahren Marktanteile an die Konkurrenz verloren. Mit dem Schadengeschäft und den Lebensversicherungen ist der Heimmarkt für den Versicherer jedoch sehr wichtig. Der Versicherungsmarkt in der Schweiz gilt wegen des hohen Lebensstandards der Bevölkerung als attraktiv.
«Die Baloise war weder besonders gut noch besonders schlecht», sagt Simon Fössmeier, Analyst bei Vontobel. In dem sehr stark regulierten Versicherungsmarkt komme es nur sehr langsam zu Verschiebungen bei Marktanteilen.
Zu den Besonderheiten des Versicherungsgeschäfts gehört, dass bereits zu Jahresbeginn der grösste Teil des Geschäfts unter Dach und Fach ist, da die meisten Kunden ihre Versicherungspolicen verlängern. Das macht die Branche in den Augen ihrer Kritiker träge. Bei der Baloise kam hinzu, dass das Management bis im vergangenen Jahr durch eine in den 1980er Jahren eingeführte Stimmrechtsbeschränkung auf zwei Prozent vor feindlichen Übernahmen geschützt war. Die Baloise sei immer fit gewesen, schreibt der Versicherer auf Anfrage. Die Beschränkung der Stimmrechte sei nie Gegenstand von kritischen Diskussionen mit Investoren gewesen.
Der Baloise die Konkurrenz weggeschnappt
Im Nachgang der Finanzkrise hat sich die Helvetia aus St. Gallen unter anderem dank Zukäufen deutlich solider entwickelt. Zum Beispiel mit dem bislang letzten grossen Deal in der Versicherungsbranche vor der nun angekündigten Fusion. 2014 hat die Helvetia unter ihrem damaligen Chef Stefan Loacker mit der Basler Versicherung Nationale Suisse der Baloise einen Konkurrenten quasi vor der Haustüre weggeschnappt.
An der Nationale Suisse hielt neben der Helvetia und der Baloise auch die Mobiliar ein grösseres Aktienpaket. Die Baloise habe damals sicher Gespräche mit der Nationale Suisse geführt, sagt der ehemalige Versicherungsmanager. Trotzdem entschied sich diese für die Helvetia. Diese hatte zuvor ein weiteres Aktienpaket von einem Mitbewerber gekauft, was sie in dem Gerangel um die Nationale Suisse in eine bessere Position gebracht habe.
«Für die Helvetia war das ein guter Deal», sagt Martin Eling, Professor für Versicherungsmanagement an der Universität St. Gallen. Die Übernahme der Nationale Suisse habe ihr die Position eröffnet, die sie heute habe. Hätte die Baloise damals den Zuschlag bekommen, so wäre die Ausgangslage zwischen den beiden Versicherern heute womöglich eine andere, sagt er.
Für die Schweiz zu gross, für Europa zu klein
Seit der verpassten Nationale-Suisse-Übernahme kommt die Baloise nicht mehr richtig vom Fleck. Der Versicherer ist in einer schwierigen Lage. Für den Schweizer Markt ist er fast zu gross, um in Europa zu den Grossen zu gehören, ist der Versicherer aber zu klein – ähnlich wie die Helvetia, sagt der ehemalige Baloise-Manager. Für Martin Eling hat die Baloise bei ihren Expansionen im Ausland den Fokus vermissen lassen. Zwar hat sich der Versicherer schon vor Jahren von unprofitablen Auslandsmärkten wie Serbien oder Kroatien getrennt und setzt heute auf Märkte wie Luxemburg, Belgien und Deutschland.
Doch vor allem in Deutschland tut sich die Baloise schwer. Mit ihrer Lebens- und Schadenversicherung hat sie dort keinen Platz unter den Top-30-Versicherern. Der Markt ist fragmentiert, und der Wettbewerb ist hart. Jüngst hatte der Finanzinvestor Cevian gefordert, dass die Baloise sich von ihrem Deutschland-Geschäft trenne. Ob sich mit der Fusion etwas ändert, ist fraglich. Der Helvetia-CEO Fabian Rupprecht sagte im Interview mit der NZZ, dass etwa in der Marktorganisation in Deutschland Synergien genutzt werden sollen. An der grundsätzlichen Ausrichtung in Europa will er jedoch festhalten.
Die Baloise macht «reinen Tisch»
Verkauft hat die Baloise im Oktober 2024 immerhin den deutschen Digitalversicherer Friday, ein Prestigeprojekt des früheren CEO Gert De Winter. Dieser hatte Investitionen in Startups vorangetrieben, wollte damit Ökosysteme schaffen. Doch mit dieser Strategie hat sich der Versicherer verzettelt. Wegen Friday musste die Baloise 92 Millionen Franken abschreiben. Man habe «reinen Tisch» gemacht und mit diesem Kapitel der Baloise-Geschichte abgeschlossen, schreibt der Versicherer auf Anfrage. Es sei ein unternehmerisches Risiko eingegangen worden, das sich nicht ausgezahlt habe.
In den Auslandsmärkten ergibt der Zusammenschluss der beiden Versicherer am meisten Sinn. Für Martin Eling könnte die Baloise hier durchaus etwas gewinnen. Laut ihm ergänzen sich die beiden Versicherer in Europa gut. So ist die Baloise eher in den Benelux-Staaten wie Belgien gut aufgestellt. Die Helvetia dagegen in Spanien und Frankreich, wo es etwa in der Transportversicherung gut läuft.
Ob der Zusammenschluss tatsächlich gelingt, ist ungewiss. Eine neue Strategie haben die beiden Unternehmen ihren Aktionären nicht präsentiert. Sie stellen ihnen jedoch jährliche Einsparungen von 350 Millionen Franken und eine um zwanzig Prozent höhere Dividende ab 2029 in Aussicht. Damit der neue Versicherer zu einer guten Börsengeschichte wird, braucht es allerdings mehr.
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