Die Mehrheit der Menschen träumt von den eigenen vier Wänden für die Familie. Doch die Zahl der Neubauten ist seit den 1970er Jahren um zwei Drittel gesunken.
«A man’s home is his castle», urteilte bereits im 17. Jahrhundert der britische Richter Sir Edward Coke. Angriffe auf eine solche Burg erzeugen bis heute einen Aufschrei. Als Anton Hofreiter von den Grünen in einem Interview vor anderthalb Jahren sagte, «Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr», war die Empörung gross. Gegner der Grünen unterstellten diesen, bald das Einfamilienhaus verbieten zu wollen. Doch das ist gar nicht nötig, denn in Deutschland stirbt das Eigenheim ohnehin einen langsamen Tod.
Rekordtief von Fertigstellungen in der Finanzkrise
In den 1970er Jahren wurden zwischen Nordsee und Alpen pro Jahr noch bis zu 250 000 Eigenheime, also Ein- und Zweifamilienhäuser, fertiggestellt, seitdem ist der Trend in der Tendenz rückläufig. Nur durch die Wiedervereinigung erlebte das Eigenheim ein grosses Comeback. Das Rekordtief wurde dann 2009 während der Finanzkrise mit 84 000 Einheiten erreicht. Nach einer kleinen Erholung fällt die Zahl der Fertigstellungen seit Anfang dieses Jahrzehnts wieder. Im vergangenen Jahr waren es knapp 94 000, weshalb die Analytiker der Research-Abteilung der Deutschen Bank in einer Marktanalyse provozierend fragten: «Das Ende des Eigenheims?»
Das erstaunt, denn in Deutschland ist der Eigenheimbesitz ohnehin schon sehr stark unterentwickelt. Laut dem EU-Report «Housing in Europe» ist Deutschland in der Europäischen Union das einzige Land, in dem es mit 46,5 Prozent weniger Besitzer als Mieter von Wohnraum gibt. Nur die Schweiz weist mit 42,3 Prozent einen noch niedrigeren Besitzeranteil auf. Im Durchschnitt der EU liegt dieser bei 69,1 Prozent, in Rumänien, der Slowakei, Kroatien und Ungarn notiert der Wert über 90 Prozent.
Zugleich träumen in Deutschland aber laut Umfragen gut 70 Prozent der Mieter von den eigenen vier Wänden, 50 bis 60 Prozent wünschen sich ein freistehendes Einfamilienhaus. Besonders die Ein- und Zweifamilienhäuser gelten als Refugium der Familie, dienen als Altersvorsorge und bieten einen gewissen Schutz vor Inflation.
Was sind die Gründe für das Siechtum des Eigenheims? Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren sehr stark gestiegen. Seit 2010 haben sich die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie für Eigentumswohnungen laut dem Immobiliendaten-Anbieter Empirica zeitweise mehr als verdoppelt. Für Eigentumswohnungen gilt das trotz dem Preisrückgang in den vergangenen zwei Jahren immer noch.
Die zuletzt gestiegenen Zinsen haben den überhitzten Immobilienmarkt zwar abgekühlt, doch durch den Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus sind auch die Bauzinsen stark geklettert, was den Immobilienerwerb auf dem weiterhin hohen Preisniveau vor allem für junge Familien ohne grössere Rücklagen schwierig macht. Die Tilgung eines Darlehens hat sich seit dem inflationsinduzierten Zinsanstieg massiv verteuert.
Zugleich wird aufgrund explodierender Kosten der Neubau immer teurer. Laut dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) gab es in den letzten Jahren den stärksten Anstieg der Baupreise seit mehr als zwei Dezennien. Dazu beigetragen haben Lieferkettenprobleme während der Pandemie, steigende Rohstoffpreise, teure Energie, Mangel an Arbeitskräften und allgemein die hohe Inflation in den vergangenen zwei Jahren. Fast 80 Prozent der Baufirmen sehen fehlende Fachkräfte als Risiko für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung.
Dazu kommen in Deutschland die hohen Kaufnebenkosten. Wer ein Haus oder eine Eigentumswohnung erwirbt, hat nicht nur hohe Kosten für den Notar und gegebenenfalls den Makler, sondern auch die Grunderwerbssteuer schlägt kräftig ins Kontor. Diese beträgt je nach Bundesland zwischen 3,5 und satten 6,5 Prozent des Kaufpreises. Diese Kosten erhöhen das für einen Immobilienkauf nötige Eigenkapital.
Darüber hinaus haben viele potenzielle Käufer Angst vor einem Regulierungstsunami und den daraus resultierenden zusätzlichen Kosten. Wie die öffentlichen Diskussionen zeigen, tendiert der Staat dazu, sich immer stärker in die Beschaffenheit von Eigenheimen einzumischen. Das kann die Heizungsart, die Dämmung oder andere Bereiche betreffen. Manche Marktteilnehmer befürchten sogar Zwangssanierungen. In Deutschland soll nach derzeitigem Stand spätestens bis zum Jahr 2045 die Nutzung von fossilen Energieträgern im Gebäudebereich beendet sein. Dann müssen alle Heizungen vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
Jochen Möbert ist jedoch optimistisch, dass angedachte Regulierungen noch aufgeweicht werden können. Das Heizungsgesetz sei ja verschärft worden, um das Klimagesetz zu erfüllen, sagt der Immobilienexperte bei Deutsche Bank Research. In den Jahren 2022 und 2023 seien die jährlichen CO2-Emissionen im Immobiliensektor in Deutschland um 7 und 9 Prozent gesunken, in den Jahren 2014 bis 2021 habe der Rückgang bei lediglich 1 Prozent gelegen.
«Diesen Sprung, ausgelöst durch den Energiepreisschock 2022 und den Regulierungsschock 2023, habe ich nicht für möglich gehalten», sagt Möbert. Zudem hätten Einsparungen beim Energieverbrauch auch durch die zunehmende Automatisierung, die Digitalisierung und KI-Anwendungen noch grosses Potenzial, wie er immer wieder von seinen Kunden höre. Die im Heizungsgesetz verankerten Regelungen könnten dadurch womöglich zu streng sein, um die nach Klimaschutzgesetz vorgegebenen Emissionspfade zu erreichen. Auf EU-Ebene hat Brüssel die Sanierungspflicht bereits aus der Richtlinienvorlage gestrichen.
Anhaltender Trend zur Urbanisierung
Langfristig spielt auch der ewige Trend zur Urbanisierung eine wichtige Rolle. Viele Menschen präferieren ein Leben in oder im Umkreis einer Stadt. Dort gibt es mehr Arbeitsplätze, eine bessere medizinische Versorgung, ein grösseres kulturelles und sportliches Angebot sowie meist eine bessere Verkehrsinfrastruktur. Und gesellschaftlich gilt für viele Menschen wohl immer noch die Erkenntnis «Stadtluft macht frei».
Laut dem Makler-Netzwerk Remax suchen nur 22 Prozent der Interessenten ein Haus auf dem Land, hingegen 35 Prozent in der Vorstadt und sogar 43 Prozent in der Stadt. Doch gerade dort ist das Kaufangebot knapp, Grundstücke sind Mangelware, und viele Städte zögern bei der Schaffung von neuen Bauflächen.
Das liegt auch an der im Vergleich mit grossen Mehrfamilienhäusern schlechteren CO2-Bilanz von Einfamilienhäusern. Dabei wird jedoch oft missachtet, dass neue Häuser einen viel niedrigeren Energieverbrauch haben als alte Gebäude. Zugleich könnte man auf dem Land, wo aufgrund der Abwanderung Häuser leer stehen, in die Sanierung des Bestands investieren. Das ändert freilich nichts daran, dass der Flächenverbrauch eines Ein- oder Zweifamilienhauses viel höher ist als jener eines grossen Mehrfamilienhauses. Doch Deutschland sollte genug Platz haben, um die Umsetzung aller Wohnpräferenzen zu ermöglichen.
Der Tod des Eigenheims ist weder unabwendbar noch wünschenswert. Vor allem in kleineren Gemeinden dürften laut Deutsche Bank Research weiter Einfamilienhäuser gebaut werden. Schliesslich bedeuten Neuzuzüger für die Gemeinden auch mehr Steuereinnahmen. Zudem ist das Platzangebot in kleinen Gemeinden noch grösser und die Baukosten teilweise günstiger. Zwar würden die bundesweiten Baugenehmigungen in den kommenden Jahren wohl strukturell weiter abnehmen, heisst es. Doch langfristig könnte sich ein Sockel von 20 000 bis 40 000 Baufertigstellungen pro Jahr ergeben.
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