Montag, September 30

Nach ihrem Wahltriumph kann die FPÖ erstmals Anspruch auf das Kanzleramt erheben. Eine «Brandmauer» gibt es in Österreich nicht – aber sehr wohl Argumente gegen die Rechtspopulisten an der Macht.

Der Sieg der FPÖ ist keine Überraschung, zu konstant war ihr Vorsprung in den Umfragen seit anderthalb Jahren. Und doch ist er ein Erdbeben für Österreich. Die Partei, um die sich die innenpolitische Debatte seit ihrem Aufstieg unter Jörg Haider vor drei Jahrzehnten dreht, ist nun erstmals stärkste Kraft im Land. Dieser Moment schien in der Vergangenheit schon zwei Mal bevorzustehen. Doch 2013 verhinderte das kurzzeitige Politabenteuer des austro-kanadischen Unternehmers Frank Stronach einen freiheitlichen Wahlsieg. 2017 stellte sich ihr der Jungstar Sebastian Kurz in den Weg, der mit der ÖVP einen migrationskritischeren Kurs eingeschlagen hatte.

Nun ist es ausgerechnet der spröde Herbert Kickl, der die FPÖ zum Triumph führt und den Anspruch auf das Kanzleramt erheben kann, wovon seine charismatischeren Vorgänger Haider und Heinz-Christian Strache vergeblich träumten. Damit stellt sich die bisher stets theoretisch gebliebene Frage ganz akut: Kann ein radikaler Ideologe wie Kickl tatsächlich Regierungschef werden? Oder muss er es aus demokratiepolitischen Gründen sogar?

Kickl strebt offen eine «Orbanisierung» an

Eine «Brandmauer» gibt es gegenüber der FPÖ nicht, auch wenn der Begriff in den letzten Wochen von den Parteien links der Mitte importiert wurde. Anders als die AfD in Deutschland sind die Freiheitlichen in Österreich seit Jahrzehnten Teil der Machtelite: Haider wurde bereits 1989 Landeshauptmann Kärntens, bis die dortige Koalition mit der ÖVP wegen seines Lobs für die «ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich» platzte.

Drei Mal regierte die FPÖ auch auf Bundesebene mit, erstmals mit der SPÖ, später mit der ÖVP. 2017 schaffte es Strache trotz einer Vergangenheit im Neonazi-Milieu zum Vizekanzler, bis der Ibiza-Skandal seine autoritären Phantasien publik machte.

Ein freiheitlicher Bundeskanzler wäre der logische nächste Schritt. Besonders wahrscheinlich ist er dennoch nicht. Zum einen hat sich die FPÖ unter Kickl inhaltlich radikalisiert. Das Wahlprogramm enthält Punkte, die für Österreich einen Systembruch darstellten. Kickl strebt ganz offen eine «Orbanisierung» an. Aussenpolitisch will er das Land auf eine antieuropäische und kremlfreundliche Linie bringen.

Zum anderen kann man ganz nüchtern feststellen, dass der Leistungsausweis der Partei in Regierungsverantwortung miserabel ist. Haiders Eskapaden brachten Kärnten an den Rand des Ruins. Alle drei Regierungen auf Bundesebene mit der FPÖ als Juniorpartnerin waren begleitet von Skandalen und endeten vorzeitig. «Genug ist genug», erklärte vor fünf Jahren sogar der damalige Kanzler Sebastian Kurz. Er meinte damit nicht nur das, was soeben aus Ibiza bekanntgeworden war. Inhaltlich war die Bilanz seiner Regierung mit den Freiheitlichen dürftig: Die meisten Reformen blieben Stückwerk, wurden gerichtlich aufgehoben oder erwiesen sich als PR-Gag.

Deutschland zeigt, wie schwierig eine Dreierkoalition ist

Für eine Neuauflage eines solchen Bündnisses spricht deshalb wenig – auch für die ÖVP. Sie verlöre nicht nur das Kanzleramt, denn nochmals wird die FPÖ dieses nicht der stimmenschwächeren Partei überlassen wie 1999. Die Konservativen verlören auch das Gesicht. Zu vehement hatten sie sich in den vergangenen Monaten auf die FPÖ eingeschossen und Kickl als verantwortungslosen, antidemokratischen Verschwörungstheoretiker bezeichnet.

Die Alternative ist allerdings auch nicht erfreulich, kann es doch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse realistischerweise nur ein Dreierbündnis sein. Der Blick nach Deutschland zeigt, wie schwierig das Regieren zu dritt ist. Es braucht dafür die Sozialdemokraten, mit denen die ÖVP anders als mit der FPÖ kaum inhaltliche Überschneidungen hat. Wie sich eine solche Koalition auf Vorhaben über das Geldverteilen hinaus einigen wollte, ist unklar – und Österreich wird angesichts der düsteren Wirtschaftslage in den kommenden Jahren Einsparungen brauchen.

Die ÖVP als Königsmacherin und mit ihr das Land haben deshalb nur schlechte Optionen. Zwingend wäre eine echte Reformpartnerschaft, die auch Tabus angeht, die ÖVP wie SPÖ gleichermassen aufrechterhalten – das Pensionssystem etwa oder die Subventionitis. Ein Dreierbündnis gegen die FPÖ ist nicht undemokratisch, 70 Prozent der Wähler haben die Rechtspopulisten nicht gewählt. Aber wenn ihr Ausschluss der einzige gemeinsame Nenner ist, müssen die Freiheitlichen nur auf den Bruch dieser heterogenen Koalition warten und können dann womöglich einen noch grösseren Wahlsieg einfahren. Dann führte an einem freiheitlichen Kanzler kein Weg mehr vorbei.

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