Sonntag, Oktober 6

Die Idee einer staatlichen Einheitskasse ist populär. Ein Schritt in diese Richtung könnte die Zulassung eines kantonalen Testlaufs sein. Die Erwartungen im Publikum sind aber weit überzogen.

Im Gesundheitswesen hat die politische Linke vor allem zwei Kernanliegen: eine starke Umverteilung von oben nach unten durch möglichst hohe Steuerfinanzierung und einkommensabhängige Prämien sowie den Ersatz der privaten Krankenkassen in der Grundversicherung durch eine staatliche Einheitskasse.

Zurzeit gibt es noch 39 Anbieter in der Grundversicherung, 1996 waren es noch 145. Das Volk hat schon vier Vorlagen für eine Monopolkasse abgelehnt; der Anteil der Ja-Stimmen nahm indes zu, von 23 Prozent 1994 auf 38 Prozent 2014. Heuer ergaben drei Meinungsumfragen Ja-Anteile von etwa zwei Drittel oder mehr.

Meinungsumfragen ohne vorangegangenen Abstimmungskampf haben mangels Informiertheit der Befragten eine geringe Aussagekraft. Doch gemessen am politischen Zeitgeist könnte die Einheitskasse früher oder später mehrheitsfähig sein – mit jedem Prämienschub ein bisschen eher. Die nächste linke Volksinitiative für eine staatliche Monopolkasse ist bereits angekündigt.

Testlauf als Zwischenschritt

Bei einigen bürgerlichen Politikern ist die Lust auf Fundamentalopposition gesunken – nicht weil man sich von einer Monopolkasse plötzlich eine spürbare Kostendämpfung verspricht, sondern weil Symbolpolitik im Sinn des Zeitgeists zum Überlebensprogramm von Politikern gehört.

Ein Schritt in Richtung Staatsmonopol ist sogar bei einzelnen Kassenexponenten kein Schreckensgespenst mehr: die Ermöglichung eines kantonalen Testlaufs, um zu schauen, was es bringt – und was es nicht bringt. So kommt eine Standesinitiative des Kantons Genf von 2023 für eine staatliche Monopolkasse in Genf Anfang nächster Woche nicht chancenlos in die Gesundheitskommission des Ständerats. Der Kanton Genf hat landesweit die höchsten Krankenkassenprämien.

Zu den bürgerlichen Mitgliedern der Kommission gehört der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann. Er äusserte sich auf Anfrage kritisch zum geltenden System der Krankenkassen und sprach von einem «Scheinwettbewerb». Gegenüber dem Genfer Vorstoss für eine kantonale Monopolkasse zeigte er eine gewisse Aufgeschlossenheit: Er werde das genauer anschauen und habe sich noch nicht entschieden.

Aus der Krankenkassenbranche haben Exponenten in jüngerer Zeit angetönt, dass sie einen Testlauf mit einer kantonalen Monopolkasse nicht vehement bekämpfen würden. Der Chef der Krankenkasse KPT, Thomas Harnischberg, erklärte im Juni in einem NZZ-Interview, dass er persönlich nichts gegen einen solchen Test in einem Kanton habe. Einzelne andere Stimmen aus der Branche sagten Ähnliches. Der Grundgedanke: ein solcher Testlauf würde zeigen, dass die Sparerwartungen im Publikum weit übertrieben seien.

Ausbau des Experimentierartikels?

Auch der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin, der in der ständerätlichen Gesundheitskommission und im Verwaltungsrat der Krankenkasse CSS sitzt, zeigte sich auf Anfrage nicht besonders alarmiert über den Genfer Vorstoss. Bisher habe er allerdings solche Vorstösse vor allem wegen der Befürchtung abgelehnt, dass in kurzer Zeit diverse Kantone eine kantonale Monopolkasse einführen würden und damit der Sprung zu einer nationalen Einheitskasse vorgespurt wäre.

Dies könnte man vermeiden durch die Erweiterung des Experimentierartikels im Krankenversicherungsgesetz. Dieser Artikel erlaubt dem Bund, in gewissen Bereichen jenseits des sonst geltenden Gesetzesrahmens Pilotprojekte etwa zwecks Kostendämpfung oder Qualitätssteigerung zu bewilligen. «Die Pilotprojekte sind inhaltlich, zeitlich und räumlich beschränkt», heisst es zudem im Artikel.

Die Einführung einer kantonalen Monopolkasse wäre zurzeit nicht zulässig. Eine Ausweitung des Experimentierartikels könnte dies ermöglichen und gleichzeitig sicherstellen, dass es zunächst bei einem einzelnen kantonalen Pilotprojekt bleibt, das Projekt zeitlich beschränkt ist und nachher eine Evaluation erfolgt.

Auch ein solcher Test wäre ein bedeutender Einschnitt. Alle bestehenden Kassen müssten im betreffenden Kanton ihren Kundenstamm in der Grundversicherung an die neue Staatskasse übergeben. Personalentlassungen wären kaum zu vermeiden. Die Versicherten im betroffenen Kanton hätten keine Kassenwahl mehr. Das könnte besonders für den unteren Mittelstand ein Problem sein, da die Jagd nach Billigkassen nicht mehr möglich wäre. Und bei Wohnortswechseln aus dem Kanton heraus oder in den Kanton hinein wäre ein Kassenwechsel unvermeidlich.

Verbreitete Illusionen

Die Ermöglichung eines solchen kantonalen Testlaufs hat ironischerweise der Vergleichsdienst Comparis vorgeschlagen, der kein Interesse am Verschwinden der privaten Krankenkassen haben kann. Als Testperiode würde es laut Comparis-Experte Felix Schneuwly wohl etwa fünf Jahre brauchen. Comparis hatte eine der Umfragen von diesem Jahr in Auftrag gegeben, die eine klare Mehrheit für die Einheitskasse ergaben. Die Mehrheit der Befürworter in dieser Umfrage erwarteten eine Einsparung von mindestens 40 Franken pro Monat; das entspräche im Mittel einer Einsparung von über 10 Prozent. In einer weiteren Umfrage von diesem Jahr (im Auftrag der Beratungsfirma Deloitte) lag der Durchschnitt der erwarteten Einsparungen durch eine Einheitskasse bei etwa 14 Prozent.

Zum Vergleich: Die gesamten Verwaltungskosten der Branche machen derzeit rund 5 Prozent des Prämienvolumens aus – und nicht 22 Prozent, wie die Befragten in einer anderen Umfrage im Durchschnitt schätzten. Von den Verwaltungskosten entfallen nur etwa 0,2 Prozent des Prämienvolumens auf Kosten für Werbung – die besonders oft auf Kritik stösst.

Der Verzicht auf Werbung hätte somit keinen spürbaren Effekt auf die Prämien. Und falls eine staatliche Monopolkasse in einem sehr optimistischen Szenario die Verwaltungskosten im Vergleich zum Status quo halbieren könnte, wäre die Einsparung nur etwa einen Fünftel so gross, wie die Befürworter hoffen.

Obwohl eine Einheitskasse gewisse Verwaltungskosten einsparen könnte, wären per saldo Mehrkosten mindestens so wahrscheinlich wie eine Kostensenkung. Ein staatlicher Monopolist hätte noch weniger Sparanreize als die jetzigen Krankenkassen. Und auch die Anreize eines Monopolisten zur Entwicklung innovativer Versicherungsmodelle wären geringer. Unklar ist derweil der Effekt auf die Tarifgestaltung. Eine Monopolkasse hätte mehr Marktmacht, was die Tarife eher drücken könnte. Doch die politischen Einflussversuche gegenüber einer staatlichen Monopolkasse wären viel stärker, was wohl auf eher höhere Tarife deutet.

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