Donnerstag, Oktober 3

Im Restaurant des Opernhauses Zürich weht ein frischer Wind. Wird dieser bis anhin trotz Toplage wenig beachtete Gastbetrieb nun zum Trendlokal?

Als neulich das Zürcher Bellevue unter die Räder der Rad-WM kam, suchten wir Ruhe und Trost im Schoss von «Lulu». So heisst jetzt der Gastbetrieb des Opernhauses, das ihn lange selbst führte, ob als «Belcanto» oder zuletzt als «Bernadette». Das Lokal blieb trotz Toplage und ein bisschen Seesicht durch grosse Fenster oft halb leer; das im Volksmund als «Fleischkäse» bekannte Nebengebäude, das in absehbarer Zukunft einem Neubau weichen soll, galt der Gans im Logo zum Trotz als «lame duck».

Nun ist der Gastbetrieb samt Café im Parterre und Catering einem Platzhirsch anvertraut worden, der als Meister der (Wieder-)Belebung gilt: Der Gastronom Michel Péclard hat schon Tramhäuschen oder Nähateliers zu Gastbetrieben umgedeutet und ist hier mit seinem Geschäftspartner Florian Weber eingestiegen. Und siehe da: Als wir zehn Tage nach der Wiedereröffnung einkehren, brummt der Laden.

Dieses Team weiss seine Lokale, bei deren Gestaltung mitunter Bühnenbildner mitwirken, zu inszenieren. Das «Lulu» wirkt in stimmiger Weise opulent, das Bar-Rondell beim Eingang ist ein Wurf, und die Akustik scheint zu passen: Wir können uns unterhalten, ohne die Stimme zu heben, zumindest bis ein Musikduo gegen 23 Uhr von Tisch zu Tisch zieht. Um diese Uhrzeit bestellen noch manche – es wird warme Küche bis kurz nach Vorstellungsende im Opernhaus garantiert. Das ist eine gute Kunde auch für andere Spätesser in Zürich.

Das kulinarische Konzept ist frankophil, damit setzt es keinen Trend, sondern reitet auf einer Welle: Die klassische französische Küche erlebt hierzulande eine Renaissance, Zürich erhält gerade laufend neue Bistros oder Brasserien, in der Sihlcity etwa soeben das fast gleichnamige «Loulou». Jedenfalls dekliniert Péclards Crew im «Lulu» nicht schon vervielfältigte Erfolgsrezepte seiner fast zwanzig anderen Standorte durch, sondern lässt Klassiker von Salade niçoise (Fr. 26.–) bis Sole meunière (Fr. 58.–) aufleben. Die Karte beschreibt die Gerichte in Französisch, dem die blumig-verspielte Wortwahl gut ansteht. Darunter in Deutsch, wobei man der Adjektive bald überdrüssig wird: «herrliche Baguettes mit schmackhafter Oliventapenade», «knackiger Kopfsalat», «saftige Auberginen» . . .

Die «knusprig frittierten» Artischockenherzen auf Rucola-Bett mit Aioli (Fr. 21.–) sind ein ordentlicher Einstieg, nur ist die Fritteuse halt eine Gleichmacherin, die diesem tollen Gemüse wenig Eigengeschmack lässt. Die Sauce eines an sich interessanten Coquelet au vin (Fr. 42.–) ist leider klar zu salzig geraten. À point statt wunschgemäss saignant kommt das «Entrecôte gratinée» (Fr. 56.–), dessen «grossartige Estragon-Butter» laut Karte vom berühmten Genfer Restaurant «Café de Paris» inspiriert ist. Ich habe das Original substanzieller und sämiger in Erinnerung – und üppiger dosiert. Die Sauce dümpelt einsam im grossen Teller (wir wurden nicht darauf hingewiesen, dass Beilagen extra zu ordern wären). Pommes allumettes (Fr. 8.–) werden nachgereicht, im kaum gewärmten Schälchen sind sie innert Kürze kalt.

Im «Mille-feuilles substantiel pour deux» (Fr. 26.–) schliesslich steckt ein Steakmesser, auf dass man sich zu zweit darauf stürze wie auf einen Braten. Die Dimension ist gewaltig, der Blätterteig frisch und fein, die leicht klebrige Crème dürfte für meinen Geschmack luftiger sein. Etwas mehr Schein als Sein also. Steigerungspotenzial sehen wir auch beim eher unpersönlichen Service mit einigen Abstimmungsproblemen. Manches davon mag mit Anlaufschwierigkeiten zu erklären sein; so kurz nach einer Eröffnung ist das kein Drama – doch müsste diese erfahrene Gastro-Gruppe in Kaltstarts eigentlich geübt sein.

Das «Lulu» liegt sinnigerweise zwischen zwei nahe gelegenen Polen von Péclards erstaunlicher Laufbahn zum Gastro-König: Mit dem damals kühnen Freiluftprojekt «Pumpstation» mitten auf der Seepromenade begann seine Erfolgsgeschichte vor einem Vierteljahrhundert, das Parterre des NZZ-Redaktionssitzes hingegen bescherte ihm eine seiner teuersten Schlappen, als ein Hightech-Hybrid-Konzept innert knapp zweier Jahre scheiterte.

Dass er es noch immer kann, darf sein Team nun im «Lulu» beweisen. Auch die prächtige Terrasse direkt über dem Sechseläutenplatz ist jetzt einladender gestaltet und schon im August wiedereröffnet worden. Als das Opernhaus hier noch selbst Regie führte, leistete es sich den Luxus oder die Torheit, sie in seiner Sommerpause brachliegen zu lassen. So etwas passiert einem Péclard nicht.

Restaurant Lulu
Sechseläutenplatz 1, 8001 Zürich,
Telefon 044 715 00 26
Betriebsferien: 10. Juli bis 22. August.

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

Exit mobile version