Montag, Oktober 28

Aus den Planspielen am Zürcher Hauptbahnhof wird Ernst.

Alfred Escher steht noch an seinem Platz. Ihn haben die Stadtplaner auf seinem Podest am Hauptbahnhof belassen. Doch sonst bleibt dort kaum mehr etwas so, wie es war. Der Zürcher Stadtrat sieht radikale Änderungen vor: praktisch kein Autoverkehr mehr, weniger zentrale Anbindung an das Tram. Dafür Bäume.

Die Neugestaltung des HB geistert schon länger herum, doch bisher handelte es sich um Spielereien von Planungsbüros im Auftrag der Stadt. Nun aber wird es konkreter.

Spätestens im nächsten Frühjahr wird der Stadtrat eine Masterplanung verabschieden. Eine solche Masterplanung ist zwar noch kein konkretes Bauprojekt, aber der erste Schritt dazu. Sie legt klipp und klar fest, wie die Entwicklung nach der Vorstellung der Stadtregierung aussehen soll.

«Aufenthaltsqualität» über allem

Der neue Hauptbahnhof soll «urban» sein, ein «freigespielter Stadtplatz», ja gar ein «Hyperraum», heisst es in einer Präsentation der Stadt, die der NZZ in Teilen vorliegt. Letzteres soll wohl heissen, dass der Platz sämtlichen Ansprüchen genügen soll, von der Klimaverträglichkeit bis zum Fussgängerverkehr.

Am grössten Bahnhof der Schweiz mit täglich über 400 000 Passagieren soll nicht mehr die Verkehrsabwicklung zentral sein. Der Bahnhof soll inmitten einer einzigen grossen Parkanlage stehen. Rund um den HB soll eine «grüne Spitze» entstehen, eine Art verlängerter Platzspitzpark entlang von Limmat und Sihl. Der Bahnhofplatz soll repräsentativer sein als heute.

Das Tram wird als notwendiges Übel geduldet. Der Autoverkehr nicht mehr.

All dies geht aus einer Präsentation hervor, mit der die Stadt die sogenannte Echogruppe des Projekts informiert hat. In der Begleitgruppe sitzen Anwohner und Interessenvertreter. Sie dürfen ihre Meinung sagen. Viel zu melden haben sie erfahrungsgemäss nicht.

Die grösste Änderung betrifft den Autoverkehr. Heute verkehren die Automobilisten vom Hauptbahnhof in Ost-West-Richtung entweder Richtung Limmatplatz oder Richtung Gessnerallee. Dieser gesamte Verkehr soll weg. Heute rollen über die Walchebrücke täglich 10 000 Fahrzeuge pro Fahrtrichtung – künftig soll es nur noch ein Bruchteil sein.

Die heutige Autounterführung beim Bahnhofquai soll dabei zum Tunnel verlängert werden, damit oben noch mehr Grün spriessen kann. Eine einzige Ost-West-Verbindung gibt es noch, durch die Uraniastrasse. Aber statt heute insgesamt vier Spuren soll es in der City nur noch eine Strasse mit Tempo 30 und Gegenverkehr sein. Letzteres hat der Stadtrat diesen Sommer angekündigt.

Der zweite grosse Eingriff betrifft das Tram. Aus Sicht der städtischen Planerinnen und Planer ist es zu dominant. Das soll sich ändern. Oder in den Worten der Stadt: Das Tram soll «integraler Bestandteil des Stadtraums» werden, die Verkehrsinfrastruktur «verschlankt» werden. Dass, wie heute, bis zu vier Tramgleise parallel verlaufen, soll es nicht mehr geben. Und es gibt gemäss Plan auch mehr Tramhaltestellen am HB als bisher.

Das heutige Central wird zerschlagen. Dafür erfinden die Planer zwei neue Tramhaltestellen. Eine am Neumühlequai, eine andere auf der Bahnhofbrücke. Autos hat es am Central keine mehr.

Nicht nur auto-, sondern auch tramfrei wird der Löwenplatz. Die Trams sollen via Sihlpost fahren. Dort gibt es eine weitere neue Haltestelle. In den Papieren, die der NZZ vorliegen, ist von der «Reparatur der Stadträume» die Rede. Das Gewerbe soll «profitieren von Laufkundschaft».

Doch die City-Vereinigung als Verband des innerstädtischen Gewerbes findet an den Plänen überhaupt keinen Gefallen. Der Geschäftsleiter Dominique Zygmont sagt, die Bahnhofstrasse sei heute schon gut besucht. Natürlich könne man das heutige Erscheinungsbild zwischen Hauptbahnhof und Bahnhofstrasse verbessern, findet Zygmont. Er denkt aber an deutlich kleinere Eingriffe, beispielsweise was die modernere Gestaltung der Tramhäuschen angeht.

Zygmont sagt: «Es gibt keinerlei Grund, die Verkehrsinfrastruktur im grossen Stil niederzureissen.»

Die Detaillisten rund um den Löwenplatz befürchten, dass die Kundenfrequenz als direkte Folge der Neugestaltung abnähme. Markus Meier, Präsident der Vereinigung Löwenstrasse, sagt, es sei völlig klar, dass das Tram Kundenfrequenz bringe. Das zeige sich auch an den Mietzinsen, die am Löwenplatz selbst am höchsten seien.

Meier sagt: «Für uns wäre es nicht gut, wenn man das Tram verbannen würde.»

Dominique Zygmont macht sich auch wegen der weitreichenden Umbauten Sorgen, die das neue Regime bedingen würde. In den nächsten zehn Jahren stehen bereits gewaltige Bauprojekte an. Verwirklicht wird das Projekt Cool City, wobei das Zentrum mittels Zürichseewasser gekühlt und geheizt werden soll. Dafür werden zahlreiche Strassen aufgerissen.

Das sei schon sinnvoll, sagt Zygmont, aber solche Umbauten hätten jeweils enorme Auswirkungen auf die Kundenfrequenz und führten zu Ausfällen. Noch einen Totalumbau vertrage es da nicht.

Die Bedenken des ehemaligen VBZ-Direktors

Einwände haben auch Fürsprecher des öffentlichen Verkehrs. Guido Schoch, ehemaliger Direktor der VBZ, rechnet vor, dass am Hauptbahnhof neun Tramlinien zusammenkommen. Das ergibt 160 Fahrten pro Stunde. Reduziert man da, wie derzeit geplant, von vier auf zwei Tramgleise, müsste alle 22 Sekunden ein Tram verkehren.

Schoch sagt: «Schon heute ist das System am Anschlag. Mit der Halbierung auf zwei Spuren wird es zu chaotischen Verhältnissen kommen, welche zu Problemen im öV der ganzen Stadt führen würden.»

Sollte man die Planung anpassen und vier Gleise sowie leistungsfähige Tramhaltestellen zulassen, könne das neue Regime allenfalls schon funktionieren, sagt Schoch. Es habe auch Vorteile wie zusätzliche Tramwendeschlaufen. So oder so kritisch sieht Schoch hingegen die dezentral angeordneten Haltestellen. Schon heute sei die Orientierung für Ortsunkundige, die am HB Zürich ankämen, schwierig. Künftig würde es deutlich komplizierter.

Zürich ist nicht die einzige Schweizer Stadt, die den Fokus neuerdings mehr auf die Gestaltung als die Funktionalität richtet. Dies hat auch Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr, beobachtet. «Dagegen wehren wir uns. Man nimmt als selbstverständlich an, dass der öV gut genutzt wird, aber das stimmt nicht. Es braucht dafür zwingend kurze Wege und gute Umsteigemöglichkeiten.»

In Zürich hätte nach den ersten Ideen sogar die Bahnhofplatz-Haltestelle weichen müssen – zugunsten eines freien Platzes. Davon hat die Stadt gemäss den aktuellen Plänen Abstand genommen.

Folgen hätten die Pläne auch für andere, unter anderem für die Taxis. Die Halteplätze direkt vor dem Hauptbahnhof sollen Geschichte sein. Oder für die Parkhäuser: Weil es keine richtige Ost-West-Querung mehr gibt, können sie nur noch aus einer Richtung angefahren werden.

Das grösste Fragezeichen aber betrifft den alltäglichen Autoverkehr. Die grosse Frage lautet: Wohin soll sich der Verkehr verlagern? Die naheliegenden Möglichkeiten sind Quai- und Hardbrücke. Diese sind zu Spitzenzeiten aber beide heute schon überlastet.

Die grösste Frage bleibt unbeantwortet

In einem Bericht der Stadt zum Masterplan heisst es dazu, die Reduktion des Autoverkehrs um den Bahnhof dürfe «nicht zu einer spürbaren Mehrbelastung anderer Achsen oder angrenzender Quartiere führen».

Wie das gehen soll, bleibt nebulös.

Die Frage, ob es Simulationen oder vertiefte Abklärungen zur Verkehrsverlagerung gibt, beantwortet das städtische Tiefbauamt unter der Führung der SP-Stadträtin Simone Brander nicht – mit Verweis auf den laufenden Prozess.

Bis zur Realisierung dürfte es noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Und es gibt Hürden. Sollten die Pläne Folgen für die Staatsstrassen ausserhalb des Stadtgebiets haben, wäre die Stadt von der Zustimmung des Kantons abhängig. Es ist gut möglich, dass dies der Fall wäre. Zumal an der Walchebrücke die Zufahrt in die Stadt von Norden her durch den Milchbucktunnel endet.

Und auch die städtische Stimmbevölkerung hat noch ein Wort mitzureden – dann, wenn es um konkrete Bauprojekte geht.

Die Stadt will zu Kostenschätzungen nichts sagen. Aber es ist eindeutig, dass sich die Kosten des gesamten Umbaus – mit neuem Tunnel, neuen Haltestellen und Tramstrecken – auf einen dreistelligen Millionenbetrag summieren würden.

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