Der frühere Torhüter arbeitet heute als Sportdirektor in den USA. Er ist überzeugt, dass die Grasshoppers von der neuen Kooperation profitieren werden.
Der MLS-Fussballklub Los Angeles FC übernimmt den Grasshopper-Club. Waren Sie überrascht, als Sie vom Engagement der Amerikaner in der Schweiz hörten?
Nicht wirklich, ich hatte schon etwas klingeln hören. Ich kenne John Thorrington, den General Manager des LAFC, sehr gut, wir spielten vor über zwanzig Jahren gemeinsam in England bei Huddersfield. Seither sind wir in engem Kontakt geblieben, wir haben einen ähnlichen Blick auf den Fussball.
Wofür steht der Los Angeles FC in der Major League Soccer?
Es ist ein sehr gut geführter Verein mit enorm professionellen Strukturen. Er hat in den wenigen Jahren seines Bestehens bereits grosse Erfolge errungen, wurde 2022 Meister und erreichte letzte Saison erneut den Final. Das zeigt: Die sportliche Kompetenz ist hoch. Und der LAFC ist eine gut geölte Marketingmaschine mit spektakulärer Ausstrahlung. Die Farben Schwarz und Gold sind perfekt gewählt, Los Angeles als City of Angels ist der ideale Standort. Zudem sind unter den Besitzern zahlreiche renommierte Geschäftsleute, teilweise Milliardäre, aber auch Leute aus der US-Sportwelt mit allerbesten Beziehungen.
Mit Ihrem Klub St. Louis City SC starteten Sie vor einem Jahr in der MLS. War der LAFC für Sie ein Vorbild?
Aus sportlicher Sicht auf jeden Fall, aber in den meisten anderen Bereichen verfolgen wir eine andere Philosophie. Der Los Angeles FC ist ein Superstar-Klub mit Besitzern wie der NBA-Legende Magic Johnson, mit unglaublichen finanziellen Möglichkeiten und mit der Vision, die ganze Fussballwelt zu erobern. In St. Louis ist die Ausgangslage anders.
Wo spürten Sie das am meisten?
Als ich vor über dreieinhalb Jahren anfing, gab es hier nichts. Keinen Ball, keinen Mitarbeiter, kein Stadion. Ich hatte einen Laptop und viele Ideen. Einen neuen Klub aufzubauen, war sehr reizvoll und für mich das spannendste Projekt im Profifussball. Darum habe ich mich für den Wechsel hierhin entschieden, ich hätte auch nach Italien oder England gehen können. Jeder Personalentscheid im Sportbetrieb geht über meinen Tisch. Unsere erste Saison verlief gut, wir gewannen gleich unsere Conference und stellten mehrere Rekorde für ein neues Team auf. Wir arbeiten nachhaltig und regional, sind mit den Schulen vernetzt, haben eine starke Nachwuchsbewegung, holen keine extrem teuren Starspieler.
Warum nicht?
Die Fussballklubs in der MLS sind alle ausgezeichnet organisiert, jeder bedient aber seine eigene Nische. Die Unterschiede sind beträchtlich zwischen Metropolen wie Miami, Los Angeles oder New York und Standorten wie Kansas City, Cincinnati oder eben St. Louis. In Los Angeles muss man auch immer wieder prominente Namen präsentieren.
Etwa den italienischen Europameister Giorgio Chiellini, der kürzlich seine Karriere beendet hat und nun als Scout beim LAFC arbeiten wird.
📰 Legendary defender and former #LAFC player Giorgio Chiellini will remain with LAFC as a Player Development Coach.
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— LAFC (@LAFC) January 16, 2024
Oder den Torhüter Hugo Lloris, der mit Frankreich Weltmeister wurde und nach seiner überragenden Karriere in Europa nun in Los Angeles spielen wird. Ich bin überzeugt, dass der LAFC weiterhin eine wahnsinnig gute Mannschaft stellen wird, weil es den Verantwortlichen gelingt, einen starken Mix aus Glamour, Talent und Mentalität zu kreieren. Das Team spielt zudem attraktiv, alles andere würde in Los Angeles bei dieser riesigen Konkurrenz im Sport- und Unterhaltungsbereich nicht funktionieren.
Sie haben den LAFC-Chef John Thorrington gelobt. Was zeichnet ihn besonders aus?
Bereits als Fussballer war er intelligent, er besass ein gutes Gespür für Situationen. So ist er auch als Sportdirektor. Schlau, strukturiert, smart. Er hat es geschafft, in Los Angeles ein funktionierendes Gebilde mit einer eigenständigen Kultur zu konstruieren. Das war nicht einfach, weil die Ansprüche von Anfang an sehr hoch waren. Nicht nur wegen der einflussreichen, wohlhabenden Besitzer, sondern auch, weil es in Los Angeles eine lange Historie von erfolgreichen Fussballklubs gibt. Mit den LA Galaxy existierte zudem bereits eine populäre MLS-Franchise. Doch dem LAFC ist es in kurzer Zeit gelungen, die Nummer 1 der Stadt zu werden.
Die Zuschauer erwarten eine perfekte Show. Wie schwierig ist es für den LAFC, den sportlichen Part nicht zu vernachlässigen?
Der LAFC ist Marketing, er ist Showtime, es geht um Unterhaltung, wie immer im US-Sport, aber gleichzeitig ist der Klub auch auf dem Rasen gut unterwegs und sportlich ein Vorzeigeverein, etwa wenn es um Trainingsmöglichkeiten geht. Diese Gratwanderung erfolgreich zu meistern, das ist eine Kunst. Und es zeigt, wie gut die Besitzer und die verschiedenen Entscheidungsträger im Klub harmonieren. Das Business läuft, und im sportlichen Bereich fällt der Verein mit einem bemerkenswerten Rekrutierungsprozess auf. Im Kader hat es Fussballer aus der ganzen Welt, das Netzwerk ist vor allem in Mittelamerika und Südamerika sehr gut.
Ist der LAFC der grösste Fussballklub in den USA?
Das System ist ein wenig anders als in Europa, die Ausgeglichenheit ist auch wegen des «salary cap» deutlich höher. Gemessen an seiner Ausstrahlung und mit seinem Geschäftsmodell ist der LAFC auf jeden Fall eine Top-Franchise. Die Power im Klub ist gewaltig, zudem hat der LAFC die reizvolle Perspektive, auch global ein wichtiger Player zu werden.
Wie wichtig ist es für US-Fussballklubs, Partner in Europa zu haben?
Es ist eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird. Chicago mit dem Schweizer Sportchef Georg Heitz arbeitet ja beispielsweise auch mit dem FC Lugano zusammen. Natürlich ist das interessant, weil man auf diese Weise nicht nur einen Fuss im europäischen Fussball hat, sondern auch bezüglich Transfers neue Wege gehen kann.
Der LAFC ist vor bald einem Jahr auch ein Joint Venture mit dem FC Bayern München eingegangen. Wie beurteilen Sie diese Zusammenarbeit?
Auch das beweist, wie gross man in Los Angeles denkt und handelt. Es gibt dank der Partnerschaft mit Bayern München Verbindungen nach Südamerika und Asien, der LAFC möchte sich als Brand auf der ganzen Welt etablieren. Und weil die Fussballwelt immer stärker zusammenwächst, kann das funktionieren. Die Bayern haben sich sehr genau überlegt, mit wem sie in den USA zusammenarbeiten wollen. Der Fussball ist hier im Aufwind, die jungen Spieler sind sehr athletisch, das ist ein attraktiver Markt mit vielen Talenten, die man noch besser ausbilden kann. Zudem können die Bayern nun auch eigene junge Fussballer zur Weiterentwicklung nach Los Angeles schicken.
Und bald in die Schweiz zu den Grasshoppers.
Zum Beispiel. Im internationalen Fussball liegt es im Trend, Partnerschaften einzugehen, weil sich daraus spannende Möglichkeiten ergeben. Für einen internationalen Topklub wie Bayern ist es zudem auch aus marketingtechnischen Gründen wichtig, in den USA, Südamerika und Asien präsent zu sein. Los Angeles ist diesbezüglich der Hotspot schlechthin.
FC Bayern and @LAFC have announced a new joint venture to assist with the development of young talent ⤵️
— FC Bayern Munich (@FCBayernEN) March 13, 2023
Die Grasshoppers haben in letzter Zeit wie andere europäische Klubs schlechte Erfahrungen mit ausländischen Besitzern gemacht. Und am Ende geht es auch den amerikanischen Investoren darum, Geld zu verdienen. Denken Sie, der LAFC wird mit GC genügend Geduld aufbringen, zumal das neue Stadion in Zürich noch jahrelang nicht stehen wird?
Davon bin ich überzeugt. Die Zusammenarbeit ist langfristig ausgelegt. Der LAFC hat sich den Kauf von GC gründlich überlegt, die Bücher eingehend geprüft und alles genau berechnet. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Die Schweiz ist ein interessanter Markt, zumal es einfacher als in anderen Ländern ist, den Europacup zu erreichen. Und wie gesagt: Der LAFC ist äusserst potent. GC wird auch bei der Vermarktung, bezüglich Stadionunterhaltung oder im Athletiktraining profitieren können, um nur drei Aspekte zu nennen. Vergessen Sie nicht: Der Fussball ist in den USA in den letzten Jahren richtig stark geworden, diese Entwicklung geht ungebremst weiter.
Die MLS boomt, die Fussball-WM 2026 wird in den USA stattfinden, das US-Nationalteam ist jung und talentiert, Lionel Messi hat in Miami eine Euphorie ausgelöst. Und doch wird die MLS teilweise immer noch belächelt. Stört Sie das?
Ja. Die MLS ist längst keine Altherrenliga mehr. Sie ist sportlich meiner Meinung nach bereits heute nur noch knapp hinter den Top-5-Ligen Europas anzusiedeln. Zudem ist das Wachstumspotenzial immer noch beträchtlich. Bei uns in St. Louis sind alle Heimspiele in den nächsten zwei Jahren bereits ausverkauft.
Welche Rolle spielt der Schweizer Torhüter Roman Bürki in Ihrem Team?
Er ist mit Abstand der beste Goalie der Liga und war letztes Jahr überragend. Er könnte gemessen an seinem Potenzial immer noch bei einem europäischen Topklub zwischen den Pfosten stehen. Als ehemaliger Torhüter kann ich das gut beurteilen. Wir sind sehr froh, dass er die Sportkultur und das Leben in den USA geniesst.
Happy birthday, RB1!! 🥳 🎊 pic.twitter.com/qqWvifN3u6
— St Louis CITY SC (@stlCITYsc) November 14, 2023
Auf der ganzen Welt im Einsatz
fcr. · Der Deutsche Lutz Pfannenstiel hat als einziger Fussballprofi auf allen sechs Kontinenten gespielt: für 25 Vereine in 13 Ländern. Später arbeitete er unter anderem als Scout, Trainer und Torhütertrainer. Beim DFB war er Auslandexperte, bei der Fifa Trainerausbilder. Als TV-Experte stand er für BBC, ZDF und SRF im Einsatz. Von 2011 bis 2018 war Pfannenstiel beim Bundesligisten Hoffenheim als Leiter Internationale Beziehungen angestellt, danach gehörte er zwei Jahre dem Sportvorstand Fortuna Düsseldorfs an. Seit Sommer 2020 ist der 50-Jährige Sportdirektor der MLS-Franchise St. Louis City, die letztes Jahr sehr erfolgreich den Spielbetrieb aufnahm.