Montag, Januar 27

Bob Sternfels, der weltweite Chef von McKinsey, rät Europa zu einer Vorwärtsstrategie, um den Anschluss an die USA nicht komplett zu verlieren. Und er erklärt, warum sich viele seiner grössten Kunden wegen Trump Sorgen machen.

«Nennen Sie mich Bob.» Der Mann hat noch kaum das Sitzungszimmer betreten, schon sind wir per Du. Breites Lächeln, drahtige Figur, kalifornischer Teint. Das ist der oberste Chef der mächtigsten Beratungsfirma der Welt. Bob Sternfels, 55, ist eben vom WEF in Davos zurückgekehrt und besucht die Schweizer Niederlassung von McKinsey in der Zürcher Innenstadt. Dann wird er zurück nach San Francisco fliegen.

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Das WEF muss ein Paradies für Beratungsfirmen sein, dieses Jahr ganz besonders. CEO versuchen verzweifelt herauszufinden, wie sie mit Trumps Flut an Erlassen und Ankündigungen umgehen sollen. Setzt er auch nur einen Teil davon um, wird die Welt bald anders aussehen. Bereitet Ihnen das keine Angst?

Bob Sternfels: In den ersten vier Tagen seit der Inauguration hat sich tatsächlich viel ereignet – aber es war auch nicht das einzige Thema in Davos: Der generelle Mangel an internationaler Zusammenarbeit und die disruptiven Veränderungen in der Welt bereiten vielen Sorge. Der Job von Führungskräften ist in Zeiten wie diesen schwieriger geworden. Die von Ihnen angesprochene Geschwindigkeit ist beispiellos in der Geschichte. Aber wenn man die Erlasse einzeln betrachtet, kommt man zu einer differenzierten Einschätzung. Es gibt solche, über die man erfreut sein kann, und andere, die Sorge bereiten.

Was stimmt Sie zuversichtlich?

Dass es in den USA einen echten Fokus auf Deregulierung geben wird, wird nicht nur die amerikanische Wirtschaft stärken, sondern alle Unternehmen, die in den USA investieren. Die zentralen Gesetzesprojekte der vorherigen Administration wie der Ausbau der Infrastruktur, die Reduktion der Inflation und der Aufbau einer Chipindustrie sind mit enormen Investitionen verbunden, allerdings sind über 100 Milliarden Dollar blockiert wegen regulatorischer Auflagen. Nun dürften sie freigegeben werden. Die USA sind heute ein Labyrinth aus Vorschriften. Die Fristen, bis eine behördliche Genehmigung vorliegt, sind in den letzten Jahren immer länger geworden.

Das von Musk geführte neue Department für Regierungseffizienz (Doge) ist fest entschlossen, sie zu verkürzen. Werden die USA chinesischer?

Sie werden schneller. Es wird weniger lange dauern, bis Entscheidungen der Behörden vorliegen, selbst wenn man die Standards nicht verändert. Gleichzeitig werden Fusionen und Übernahmen erleichtert. In den letzten vier Jahren standen die Bundesbehörden Firmenzusammenschlüssen sehr kritisch gegenüber. Auch das dürfte sich ändern.

Das hilft Beratungsunternehmen wie McKinsey.

Es hilft vor allem der amerikanischen Wirtschaft. Es wird die Wettbewerbsfähigkeit sämtlicher Unternehmen verbessern, die in den USA tätig sind. Eine neue Steuerpolitik und die Verlängerung bestehender Steuererleichterungen dürften sich positiv auswirken. Langfristig erhöht das zwar die Schuldenlast, doch kurzfristig profitiert das Wachstum.

Wo liegen Ihre grössten Bedenken?

Zölle bremsen den globalen Handel und wirken inflationär, dazu gibt es zahlreiche Analysen, nicht nur von McKinsey. Die grosse Frage ist deshalb: Bestehen Pläne, die Zölle dauerhaft zu erhöhen, oder sind sie nur Verhandlungsmasse, um andere Ziele zu erreichen? Noch ist es zu früh für eine Antwort. Im Verhältnis mit Europa zeichnet es sich aber ab, dass man die Europäer dazu bringen will, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Grössere Sorgen als die Zölle bereitet Unternehmen aber die Einwanderungspolitik.

Warum?

Unsere Klienten sind oftmals grosse Arbeitgeber. Die amerikanische Wirtschaft ist abhängig von Immigration: In den USA herrscht Vollbeschäftigung, pro Monat entstehen 200 000 bis 300 000 neue Jobs. Das Bevölkerungswachstum reicht nicht, um sie zu besetzen. Wenn aber auch die legale Einwanderung gestoppt wird, könnten wir Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekommen.

Die wirtschaftliche Kluft zwischen den USA und Europa hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet. Was raten Sie Europa?

Für Europa stellt sich nun die Frage, ob all das zum Katalysator für Veränderungen wird. Europa muss einen Weg finden, nachhaltig zu wachsen und die Produktivität zu erhöhen. Das ist gut für die Welt. Die Voraussetzungen sind vorhanden, Europa verfügt über enorm viel Talent, auch Kapital ist vorhanden. Aber die Weichen müssen richtig gestellt werden.

Was soll Europa tun?

Wenn ich mit europäischen CEO spreche, empfinden diese die Regulierung als grosses Hindernis. Europa braucht einen Deregulierungsschub. Ebenso wichtig ist das Thema Innovation. Europa hat einige der besten Hochschulen der Welt und bringt viele Innovationen hervor, aber diese erreichen meist nicht die Grössenordnung wie in den USA. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, das es innovativen Firmen ermöglicht, zu Champions aufzusteigen. Hinzu kommt, dass Energie immer noch zu teuer ist.

Die USA kehren zu fossilen Energieträgern zurück. Kann das der richtige Weg sein für Europa?

Die USA gehen nicht zurück.

Aber Trumps Losung heisst «Drill, baby, drill».

Die USA fördern vor allem Erdgas. Das ist besser als Kohle. Die USA sind beim Kohleausstieg weiter als Europa und haben die Energieversorgung schneller dekarbonisiert. Unsere Haltung ist klar: Wir müssen den Klimawandel bekämpfen, die Energiewende einleiten und gleichzeitig eine günstige und sichere Energieversorgung sicherstellen. Dafür braucht es einen pragmatischen Ansatz. Von Kohle auf Gas zu wechseln, ist zwar nicht perfekt, aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch Kernenergie kann eine Rolle spielen bei der Energiewende.

Soll Europa auf Atomkraftwerke setzen?

Ich denke schon. Europa hat Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen. Die USA haben das nicht getan. Gleichzeitig muss die Produktion erneuerbarer Energien weiter steigen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Auch bei der Kohlenstoffabscheidung sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Das regulatorische Umfeld behindert aber mitunter ein pragmatisches Vorgehen.

Es braucht also Subventionen für erneuerbare Energien?

Marktbasierte Lösungen sind viel besser. Die Inflation Reduction Act der USA arbeitet mit Steueranreizen. Jeder Dollar, den die Regierung über Steueranreize bereitgestellt hat, hat vier Dollar an privaten Investitionen ausgelöst. Anreizmechanismen schneiden besser ab als Subventionen, sie schaffen Multiplikatoreffekte.

Europa fürchtet sich vor der Deindustrialisierung – zu Recht?

Ohne Gegenmassnahmen besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Industrie schrumpft. Es braucht deshalb Investitionen, Umschulungen und Weiterbildung von Fachkräften, denn die Zukunft der Arbeit wird anders aussehen als heute. Aber selbst wenn die industrielle Basis in Europa insgesamt stabil bleiben sollte, könnten wir dennoch spürbare Folgen durch eine Verschiebung innerhalb des Kontinents sehen. Länder wie Spanien und Portugal, aber auch Zentraleuropa gewinnen zulasten von zum Beispiel Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit.

Verschiedene Konzerne haben als Reaktion auf Trumps Aktivismus eine Kommandozentrale eingerichtet, um die Auswirkungen der neuen Massnahmen zu analysieren. Wie hat McKinsey reagiert?

Wir haben schon lange eine Abteilung, die verfolgt, was in Washington D. C. passiert. Die Kollegen haben derzeit mehr zu tun als sonst. Üblicherweise erhalte ich dazu einmal im Monat ein Briefing, im Moment erhalte ich jeden Tag eines.

Unter Trump gibt es eine kulturelle Wende in der Geschäftswelt. Wirtschaftsführer, die Trump in seiner ersten Präsidentschaft noch kritisiert haben, stellen sich heute auf seine Seite. Wie erklären Sie sich das?

Jede Führungskraft muss abwägen: Wie passe ich mich an, wenn sich die Welt verändert – ohne meine Überzeugungen aufzugeben? Ohne Prinzipien fehlt die Orientierung, und man kommt letztlich nirgendwohin. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Anpassung und Prinzipientreue.

Und was macht McKinsey?

Es ist nicht einfach: Wir müssen Entwicklungen antizipieren, denn was unsere Klienten benötigen, verändert sich ständig. Einerseits müssen wir uns also schneller als unsere Klienten verändern und können uns nicht an die Vergangenheit klammern. Wir müssen Innovation selber leben. Andererseits gibt es uns schon seit fast hundert Jahren – gerade auch, weil wir unsere Werte pflegen.

Das Thema Diversity, also die Bestrebung, eine in jeder Hinsicht vielfältig zusammengesetzte Belegschaft zu haben, fahren Firmen zurück. Sie auch?

Wir sind eine globale Firma und wollen die besten Talente, egal, welchen Pass sie haben. Diversität in Verbindung mit Meritokratie, also dem Leistungsprinzip, steckt tief drin in unserer DNA. Schon für Marvin Bower, den Mann, der McKinsey gross gemacht hat, war Diversität wichtig: Statt wie in der Branche üblich nur ältere Männer mit Führungserfahrung einzustellen, holte er junge Hochschulabsolventen in die Firma. Mittlerweile definieren wir Diversität viel breiter, und das geht auch über Geschlechtsidentität hinaus.

McKinsey ist allerdings nicht gerade sehr phantasievoll, was die Rekrutierung anbelangt. Ohne einen Abschluss einer Eliteuniversität hat man keine Chance auf einen Job.

Das hat sich geändert. Wir haben gemerkt, dass wir uns zu sehr auf einzelne Institutionen fokussiert haben. Die besten Leute findet man nicht ausschliesslich an den Topuniversitäten. Als ich vor 31 Jahren bei McKinsey anfing, galt ich noch als Beispiel für Diversität, weil ich keinen MBA-Abschluss hatte.

Sie sprachen Ihre Werte an. Nun hat McKinsey im Dezember in einem Vergleich in eine Zahlung von 650 Millionen Dollar eingewilligt. McKinsey hat Opioidherstellern geholfen, die Verkäufe anzukurbeln, und damit zur Ausweitung des Drogenelends beigetragen. Das ist ein Verstoss gegen sämtliche ethischen Standards.

Dieses Thema beschäftigt uns seit über zehn Jahren und ist vermutlich der grösste Treiber für das Umdenken, das bei uns stattgefunden hat. Das Problem ist, dass wir den Schaden, den Opioide in der Gesellschaft angerichtet haben, nicht erkannt haben. Wir hätten diese Arbeit nicht durchführen sollen. Das bereuen wir zutiefst. Durch den Vergleich schliessen wir dieses Kapitel in der Geschichte unserer Firma. Unser Fokus heisst jetzt: die Veränderungen, die wir in den letzten Jahren in unserer Firma vorgenommen haben, zu leben, um einen neuen Standard für uns und unsere Branche zu setzen.

Was tun Sie, damit so etwas nicht mehr passieren kann?

Wir haben signifikante Verbesserungen unseres Risikomanagements vorgenommen, um sicherzustellen, dass wir nie wieder in solch eine Situation geraten. Dazu zählen Richtlinien zu unserer Arbeit mit Klienten und ein überarbeiteter Verhaltenskodex, der die Erwartungen an all unsere Kolleginnen und Kollegen klar definiert. Wir wünschten, wir hätten diese Massnahmen früher ergriffen. Aber wir sind fest entschlossen, dadurch einen neuen Standard für Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht in unserem Berufsfeld zu setzen.

McKinsey wurde auch vorgeworfen, gleichzeitig die chinesische Regierung und das US-Verteidigungsministerium beraten zu haben. Wird auch das in Zukunft nicht mehr der Fall sein?

Nach bestem Wissen und Gewissen: Wir haben nie für die chinesische Regierung gearbeitet.

Es waren chinesische Staatsfirmen, das läuft auf dasselbe hinaus.

Nein, das sind unterschiedliche Dinge. Aber ja, die Welt war 2010 eine andere. Das Verhältnis zwischen dem Westen und China hat sich verändert. Heute fokussieren wir uns in China auf private chinesische Unternehmen und auf internationale Konzerne, die dort tätig sind.

Die strengeren Regeln für neue Aufträge beschränken das Wachstum und den Profit von McKinsey.

Es schränkt das Potenzial ein – korrekt. Ist das zwangsläufig schlecht? Nein. Denn unsere Zielsetzung ist nicht Wachstum, sondern Einzigartigkeit. Wir haben die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass unsere Firma weitere hundert Jahre besteht. Der beste Weg, das zu erreichen, ist, sich abzuheben und vernünftig zu handeln. Langfristig ist es die bessere Strategie, umsichtiger zu sein.

Krisenmanager im eigenen Haus

dba. Der Kalifornier Bob Sternfels (55) hat nach einem Ökonomiestudium an den Universitäten Stanford und Oxford direkt bei McKinsey angefangen. 2021 wurde der ehemalige Wasserballspieler Global Managing Partner und damit der oberste Chef des Beratungsunternehmens. 2024 wurde er für eine zweite dreijährige Amtsperiode gewählt. Sternfels musste in der Firma nach verschiedenen Kontroversen Stellen abbauen und das Image wieder aufbessern. McKinsey hat weltweit rund 45 000 Angestellte und erwirtschaftet einen Umsatz von ungefähr 16 Milliarden Dollar (2023).

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