Samstag, Oktober 5

Alexander Gauland spielt eine entscheidende Rolle beim Aufstieg und bei der Radikalisierung der AfD. Er führte die Partei, indem er sie nicht führte. Nun will er seine Karriere als Politiker aufgeben.

Alexander Gauland (83) will aufhören, das gab er diese Woche in der «Welt» bekannt. Der Ehrenvorsitzende der AfD wird im kommenden Jahr nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren. Damit endet die bemerkenswerte Karriere eines Politikers, der nie recht ein Politiker war. Mit Alexander Gauland könnte man keine Revolution durchführen. Dafür ist er nicht nur zu konservativ, sondern auch zu resignativ. Im Grunde wirkt er immer wie ein Melancholiker, den das Leben nicht nur ein bisschen schwermütig, sondern auch bitter werden liess.

Man könnte sagen, dass Gauland diese Eigenschaften für die Politik komplett unbrauchbar gemacht haben. Tatsächlich machten sie ihn aber zu einem recht angenehmen Rechtspopulisten, bis zu einem gewissen Grad.

Er war in der AfD stets eine Führungsfigur ohne Führungsanspruch. Das hatte etwas sympathisch Unfanatisches. Im Grunde versteht Gauland seinen Auftrag darin, überdurchschnittlich gut formulierte und durchdachte Reden – mit einem gewissen programmatischen Anspruch – im Bundestag zu halten. Hier konnte gelegentlich fast so etwas wie Leidenschaft aufblitzen. Darüber hinaus geht es ihm um eines: den Laden zusammenzuhalten.

Gauland blieb

Bernd Lucke ging, Frauke Petry ging, Jörg Meuthen ging – Gauland blieb. Als letztes Gründungsmitglied der AfD blieb er bis jetzt einflussreich und an der Spitze der Partei. Er sorgte stets dafür, dass höchstens die ausgemistet wurden, die den Laden ausmisten wollten. Gauland arrangierte sich mit allen und allem. Den Preis für den Zusammenhalt, nämlich eine kontinuierliche Radikalisierung der Partei, schien er zu zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken. In der «Welt» erklärte er anlässlich seines absehbaren Rücktritts: «Wir sind so gemässigt, dass ich nicht wüsste, wo wir uns noch mässigen sollen.»

Gauland hat oft seine eigene Diktion. Als er 2017 in den Bundestag gewählt wurde, war sein Nachfolger als AfD-Chef in Brandenburg Andreas Kalbitz. Dessen frühere Neonazi-Kontakte spielte Gauland herunter und erklärte: «Andreas Kalbitz ist genauso bürgerlich wie ich.» Den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke pflegt Gauland mit dem Begriff «Nationalromantiker» zu beschreiben. Er habe etwas von einem naiven deutschen Kulturbürger. Höcke erinnere ihn immer an Joseph von Eichendorffs «Aus dem Leben eines Taugenichts».

Die Stärke der AfD

Eine der wichtigsten Einsichten des Politikers Gauland ist, dass sich die AfD nicht lenken lässt. Sie existiere als «gäriger Haufen». Dass die AfD eine Partei ist, die sich selbst gegen alle politisch korrekten Massregelungen verwehrt, ist für ihn ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal. Man könnte es so beschreiben: Gauland sieht das Problem, aber er wollte es nicht lösen, weil er weiss, dass es die eigentliche Stärke der AfD ist.

In einem Interview mit der NZZ äusserte er sich einmal so: «Es gibt ein merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit in der AfD. Alle wollen reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das ist unsere grösste Schwierigkeit. Die Leute, die bei uns dummes Zeug reden, sind keine Nazis. Aber sie handeln nach dem Motto, dass unter der Meinungsfreiheit alles gesagt werden darf.»

Seine generelle Absolution für Parteikollegen klingt allzu grosszügig. Gleichzeitig offenbart sich Gauland in dem Zitat wie oft als guter Politikanalyst. Überhaupt ist er Journalisten gegenüber ausgesprochen offen und durchaus auch kritisch gegenüber seiner eigenen Partei. Begriffe wie «Lügenpresse» benutzte Gauland mutmasslich nicht. Er sagt: «Dass uns die Journalisten nicht mögen, ist ihr gutes Recht.»

Gaulands Vermächtnis

Das heisst, Gauland stand stets für eine zivilisierte Auseinandersetzung. Gleichzeitig signalisierte er klar, dass er nicht bereit war, die Partei zu zivilisieren. Schon das macht ihn zu einer ambivalenten Figur. Aber die Widersprüche gehen weiter. Mag ihm als Politiker die Leidenschaft abgehen, so ist er doch scharf in seiner Rhetorik. Es war ausgerechnet Gauland, der für viele den eindeutigen Beleg geliefert hat, warum die AfD eine rechtsextremistische und antisemitische Partei sein soll.

Hitler und die Nazis seien nur ein «Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher Geschichte», sagte er in einer Rede von 2018. Dieses Zitat ist selbst deutsche Geschichte geworden. Und so bitter dies klingen mag, es ist vielleicht wie keine andere politische Handlung Gaulands Vermächtnis geworden, auch wenn dieser später eingestand, mit seiner Metapher danebengegriffen zu haben.

Auch andere Aussagen von Gauland hatten eine grosse mediale Ausstrahlung. Als die AfD 2017 zum ersten Mal in den Bundestag einzog, sagte Gauland: «Wir werden sie jagen.» Er meinte damit Angela Merkel, die Regierung, alle. «Wir werden uns unser Volk und unser Land zurückholen.» Das Jagd-Zitat wurde damals in Deutschland als Drohung verstanden. Ein anderes Mal forderte er das Recht ein, auf die «Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen» stolz sein zu dürfen. Mit solchen Aussagen schuf Gauland ein öffentliches Profil, das ihm nur zum Teil gerecht wird.

Der Schlüssel zur deutschen Politik

Gauland als einen Antisemiten und Nazi hinzustellen, ist abwegig. Richtig ist aber, dass er immer wieder Geschichtspolitik betreibt und versucht, den Stellenwert der Nazizeit zu relativieren. «Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität nicht mehr», sagt er etwa.

Der deutsche Historiker Paul Nolte hat die Grünen einmal als die «Partei der nationalsozialistischen Schadenskompensation» bezeichnet. Gaulands historische Bemühungen etablieren die AfD eher als die «Partei der Verharmlosung des Nationalsozialismus». Dies wohl im Wissen, dass das Verhältnis zur Geschichte die entscheidende Stellschraube in der deutschen Politik ist. Rückt der Holocaust aus dem Zentrum in den Hintergrund der deutschen Identität, dann ändert sich vieles. Vielleicht alles.

Die Gestalt

Gauland selbst ist ein Mann, der noch aus anderen Zusammenhängen kommt. Allein seine Gestalt legt dies nahe. Eine Zeitlang trug er in der Öffentlichkeit fast immer seine Hundekrawatte. Dazu einen Blazer aus Tweet. Grüne und braune Töne, bei Gauland ist es immer Herbst. Manche Haare kämmt er über seine Glatze, in der Art wie es Männer vor dreissig Jahren zu tun pflegten. Die Lesebrille auf der Nasenspitze, dahinter zwei müde Augen. Überallhin schleppt er ein ledernes Köfferchen mit sich, landstreicherhaft.

So war er in der Politik immer auch eine leicht sonderbare Figur, die aber auch gar nicht den Anspruch hatte, im Hier und Jetzt angekommen zu sein. Warum solle er sich zu Digitalpolitik äussern, fragte er einmal. Jeder wisse doch, dass er keinen Computer benutze und mit solchen Dingen nicht umgehen könne.

Der Name

Sein Vater war schon sechzig, als Gauland zur Welt kam. Als Offizier am Sächsischen Hof hat er noch an königlichen Bällen getanzt. Sein Vater wurde Alexander getauft, weil Gaulands Grosseltern den russischen Zaren verehrten. So ging der Name auf den Sohn über. «Vernünftige Beziehungen zu Russland» sieht Gauland als wichtigen Pfeiler der deutschen Aussenpolitik.

Mit achtzehn Jahren flüchtete er aus der DDR nach Westberlin. Später machte er Karriere als Beamter, war Staatssekretär in der hessischen Verwaltung, dann Herausgeber der «Märkischen Allgemeinen». Als Publizist schrieb er eine «Anleitung zum Konservativsein» und war ein geachteter Intellektueller. Vierzig Jahre lang war Gauland Mitglied der CDU, bis er seine Partei irgendwann nicht mehr verstand. Atomenergie-Ausstieg, Aufgabe der allgemeinen Wehrpflicht, Griechenland-Rettung. Später Merkels Flüchtlingspolitik – für Gauland allesamt Wegmarken einer Verirrung.

Diese Politik trieb ihn in die AfD, wo er Parteichef und Oppositionsführer im Bundestag wurde. 2018 erklärte er die politische Arbeit seiner Partei so: «Brücken haben wir noch keine gebaut, wir schlagen Breschen in die Mauern.» Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das liegt an der AfD, aber auch an den anderen Parteien.

Die Entscheidung

«In der AfD bleibt man Mitglied, bis der Sargdeckel geschlossen wird», sagte Gauland der «Welt». Seit der Gründung haben schon zig führende AfD-Politiker diesen Satz widerlegt. Bei Gauland dürfte er stimmen. Er hat sich für die AfD entschieden, ohne Wenn und Aber, und dafür zahlte er einen sozialen Preis. Eine Zeitlang konnte man in den Medien lange Porträts über ihn lesen, in denen sich Verwandte und Bekannte über seine Entwicklung wunderten und sorgten. «Das Differenzierte ist weg», zitierte die «Zeit» seine Tochter, eine evangelische Pfarrerin. «Ich finde das schrecklich.»

Traf man Gauland zum Gespräch, wirkte er nicht besonders sentimental. Eher abgelöscht. Den Kampf gegen seine alten politischen Weggefährten hat er aufgenommen. Aber es schien fast so, als wollte er diesen gar nicht unbedingt gewinnen.

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