Donnerstag, Dezember 26

Weiss statt rot, leicht statt schwer und am besten noch ohne Alkohol – Italiens Weinproduzenten sind derzeit stark gefordert, wie sich am grossen Stelldichein der Branche in Verona zeigt.

Kommt sie, kommt sie nicht? Bis zum Montagvormittag war das die grosse Frage an der Vinitaly, der grossen Weinmesse in Verona. Gemeint war Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin. Lange war unklar, ob sie der Branche ihre Aufwartung machen würde. Schliesslich gab sie dem Druck ihres Schwagers, Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, nach und stattete dem Anlass einen Besuch ab – trotz Krisen und Krieg in der Ukraine und in Israel.

Il Presidente Meloni alla 56esima edizione di Vinitaly

«Es sind etwas komplexe Tage», sagte sie dann und spielte damit auf die aktuelle geopolitische Situation an, nachdem sie die grosse Bühne in Verona betreten hatte, «aber ich wollte heute unbedingt hier sein.» Und aus der Stippvisite wurde ein mehrstündiger Besuch: Rundgang übers Gelände, auf dem über 4000 Weinproduzenten ihre Erzeugnisse präsentieren, Degustationen, Selfies.

Schaumweine sind bei Jungen besonders beliebt

Italien ist weltweit das Land mit der grössten Weinerzeugung und der grössten Weinausfuhr, vor Frankreich und Spanien. Zusammen stemmen die drei europäischen Länder 53 Prozent der Weltproduktion. Und die Landwirtschaft, so Meloni, «ist das identitätsstiftende Herzstück der Nation, die wir wieder aufbauen». Verona war deshalb «passage obligé» für die Regierungschefin.

Wein gehört genauso zu Italien wie der Ferragosto zum Sommer. Wer etwas auf sich hält, baut seinen eigenen Tropfen an. Bruno Vespa, der Moderator der wichtigsten Polit-Talkshow im Fernsehen, ebenso wie Massimo D’Alema, Ex-Kommunist und Ex-Ministerpräsident, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Doch sie alle müssen umlernen. Denn die Weinwirtschaft verändert sich, wie neuste Zahlen belegen. «Tramonto rosso» – roter Sonnenuntergang, so titelte kürzlich die «Repubblica». Gemeint ist damit der stete Rückgang der Rotweinproduktion, lange der Stolz der italienischen Produzenten. Brunello di Montalcino, Amarone, Barolo, die Super-Toskaner aus der Maremma – diese und andere Weinsorten standen für den Aufstieg Italiens in die oberste Klasse des Weinbaus.

Noch zu Beginn des Jahrhunderts betrug der Anteil der Rotweine an der gesamten weltweiten Weinproduktion durchschnittlich 48 Prozent, mittlerweile ist er auf 43 Prozent gesunken, wie es in einer Studie der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) von Ende Februar heisst. Einen wahren Siegeszug hat dafür der Weisswein angetreten, dessen Anteil mittlerweile bei 49 Prozent liegt. Befeuert wird er vom globalen Erfolg der italienischen Schaumweine, allen voran des Prosecco.

Experten erklären den Trend mit veränderten Konsumgewohnheiten. In der Spitzengastronomie werden zunehmend qualitativ hochstehende Weissweine angeboten, von denen es auch in Italien immer mehr gibt. Deren angenehme Säure und Frische passt insgesamt besser zu den Gerichten der Sterne-Restaurants.

Dazu kommt – gerade in Italien – die ausgedehnte Apéritif-Kultur. Während man sich früher in der Osteria abends zu einem Glas Roten getroffen hat, pflegt man heute die Geselligkeit eher beim Aperitivo, zu dem vornehmlich Weiss- und Schaumweine gereicht werden. Vor allem bei den Jungen sind diese sehr beliebt. In einer Befragung in Italien anlässlich der Weinmesse haben 63 Prozent der Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren Schaumweine als ihre bevorzugte Sorte angegeben.

Schliesslich werden der Klimawandel und die damit verbundenen wärmeren Temperaturen als Grund dafür angegeben, dass die Beliebtheit von weissen Weinen zunimmt. Denn bei Durchschnittstemperaturen von bis zu 22 Grad wie im letzten März in Italien gönnt man sich lieber ein schönes Glas Weisswein anstelle eines körperreichen Roten.

Streit um den Alkohol

Es ist nicht die einzige Veränderung. Starke Wachstumszahlen weist derzeit der alkoholfreie Wein auf. Noch handelt es sich um ein Nischenprodukt, aber es «ist ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben», sagt Martin Foradori Hofstätter, bekannter Weinproduzent aus dem Südtirol, in der «Repubblica». Für Kunden, die aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen keinen Alkohol zu sich nehmen können oder wollen, könnte er eine Alternative sein.

Puristen rümpfen derweil die Nase. Von Wein könne man da nicht sprechen, sagen sie, und verweisen auf die derzeit noch unzweifelhaft geringere Qualität der alkoholfreien Produkte. Zur Puristen-Fraktion gehört Landwirtschaftsminister Lollobrigida. Für ihn steht fest: «Nennen wir es Getränk auf der Basis von Trauben, aber bitte nicht Wein.»

Foradori Hofstätter sieht es pragmatisch. Man spreche ja auch von koffeinfreiem Kaffee oder laktosefreier Milch. Alkoholfreier Wein sei Teil der Wertschöpfungskette des Weins – «Warum sollte man ihn also nicht so nennen?». Italien müsse achtgeben, dass es nicht Marktanteile in diesem Segment verliere. Eine ähnliche Debatte gab es kürzlich bei der Fleischproduktion. Auf Lollobrigidas Initiative hatte die Regierung ein Verbot von Laborfleisch erlassen.

Wie beim Fleisch zeigt sich auch beim Wein, worum es in Italien immer auch geht, wenn von Landwirtschaft die Rede ist: Um einen Kampf zwischen Traditionalisten und Modernisierern, zwischen Alt und Neu. Und genau deswegen fahren sie alle hin, die Politikerinnen und die Prominenten, wenn sich in Verona und anderswo die Branche präsentiert. Es sind die Arenen, in denen der politische Kampf um Italiens Zukunft besonders anschaulich wird.

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