Wenn irgendwo auf der Welt eine perfekte Halfpipe benötigt wird, ist Carlo Rusterholz zur Stelle – wie jetzt an den Freestyle-WM im Engadin.

Für einen Moment wirkt es, als würde der Schnee den Pistenbully von Carlo Rusterholz verschlucken. Links neben seinem Fenster erhebt sich senkrecht eine weisse, haushohe Wand. Vor der Frontschaufel türmt sich der Schnee auf, der Dieselmotor kämpft mit Lärm gegen die weisse Übermacht und die Steigung. Aber natürlich droht em 40-Jährigen oberhalb von Silvaplana im Engadin keine Gefahr. Vielmehr wirkt Rusterholz mit seiner ins Haar geschobenen Sonnenbrille völlig entspannt. Er hat auch dieses Mal, beim Bau der Halfpipe für die Freestyle-WM 2025, alles im Griff. Wie schon zuvor bei zahlreichen Weltcups und drei Olympischen Winterspielen.

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Rusterholz ist der Mann, der gerufen wird, wenn es eine wichtige Halfpipe zu bauen gilt. Weltweit gebe es zehn Menschen, schätzt er, die das auf seinem Niveau könnten. Ehrensache, dass man ihm auch bei seinen Heim-WM diese Aufgabe übertragen hat. Er kommt aus dem Kanton Zürich. Nach dem Abschluss seiner Lehre als Metallbauer ging er nach Arosa, um eine Saison lang Snowboard zu fahren. Dort lebt er bis heute – und fand zu seinem besonderen Beruf.

Wie funktioniert der Bau einer Halfpipe? | FIS Freestyle WM 2025

Genervt vom Zustand der Snowparks, packte er selbst an

Alles begann damit, dass sich der Snowpark im Skigebiet von Arosa in einem vernachlässigten Zustand befand. «Nach Neuschnee wurde der nie präpariert», sagt Rusterholz. Er lacht häufig, wenn er erzählt, auch über sich selbst. Das habe ihn so genervt, dass er am Lifthäuschen nach einer Schaufel gefragt und alles selbst geräumt habe. Später lernte er den Pistenraupenfahrer kennen, der den Park gebaut hatte, fuhr mit ihm mit, schaute ihm über die Schulter.

Irgendwann nahm er sich der im Snowpark verbauten Festteile an. «Alles war in katastrophalem Zustand», erzählt Rusterholz. «Keine Beläge auf den Rails, das habe ich denen alles gratis repariert.» Im folgenden Jahr stellten ihn die Bergbahnen als Snowpark-Verantwortlichen ein. Bald baute er auch die Halfpipe. Die hatte allerdings noch etwas kleinere Dimensionen als das, woran er am Corvatsch heute arbeitet: eine sogenannte Superpipe, 175 Meter lang, 22 Meter breit, 18 Grad Gefälle.

Rusterholz fährt nun mit der Pistenmaschine bergab. Vor ihm öffnet sich das verschneite Panorama des Oberengadins, für dessen Schönheit er keinen Blick hat. Dort, wo die obere linke Kante der Halfpipe entstehen soll, türmt er Schnee auf, aus dem er später eine fast 7 Meter hohe Wand herausschälen wird. Höhe und Winkel müssen über die gesamte Pipe extrem präzise und gleichmässig sein. «Die Athleten fahren ihre Route ab und wissen genau, wie sie abspringen müssen», sagt Rusterholz. «Wenn eine Stelle der Pipe-Wand 80 Grad hat und eine andere 85, dann landen sie falsch.» Im schlimmsten Fall sogar neben der Pipe, was lebensgefährlich wäre, denn die Besten machen ihre Saltos 6 Meter über dem betonharten Schnee.

An der Decke der Fahrerkabine zeigt eine Nadel die Neigung der Pistenraupe an. «Sie darf sich höchstens einen Millimeter bewegen, wenn ich die Pipe in Form bringe», sagt er. Nur dann seien die Schneewände gleichmässig genug für die Sportler. Auch wenn die Halfpipe einmal steht, ist deren Pflege Massarbeit. «Die obere Kante ist später mein einziger Referenzpunkt, deshalb muss sie ganz gerade sein», sagt Rusterholz.

Die Präparation macht er mit einem Gerät, das weltweit einzig von der Firma Zaugg in Eggiwil hergestellt wird: dem Pipemonster. Es ist das Abbild einer Halfpipe-Hälfte in Form einer Schneefräse. Sobald die Form der Halfpipe fertig ist, koppelt Rusterholz das Gerät vorne an die Pistenraupe. Ein Viertelkreis aus Stahl ragt dann vor dem Maschinenhaus in den Himmel.

Manchmal geht es eine halbe Stunde lang nicht vorwärts

«Man schleicht mit 0,5 Kilometern pro Stunde durch die Pipe», sagt Rusterholz. «Manchmal bleibt man für eine halbe Stunde an einer Stelle – es ist eine mental sehr anstrengende Arbeit.» Mit allen Sinnen: Er blickt ständig auf die Kante der Halfpipe, spürt mit «Popo-Gefühl», wenn die Oberfläche der Pipe Wellen hat – und hört, wenn die Fräse kratzt. Dann weiss er, dass er hier etwas von der Schneewand abtragen muss.

Bis heute ist Rusterholz passionierter Snowboarder, fährt auch durch seine eigenen Pipes. «Aber ich mache keine wilden Sachen mehr», sagt er. «Bei einem Sprung hat es mich auf den Nacken gehauen – der zwölfte Wirbel war gebrochen.»

Die Unfallgefahr an den Wettbewerben bereitet ihm Sorgen. Der «sweet spot», in dem eine sichere Landung bei Sprüngen möglich ist, ist in der Halfpipe klein – und die Sprünge werden immer extremer, höher, variantenreicher. «Ich habe jedes Mal Angst, wenn jemand stürzt», sagt Rusterholz. «Das ist immer nah dran am Tod.» Er fände es besser, wenn die Pipes wieder etwas kleiner würden, 5,50 statt 6,70 Meter hoch etwa. Wenn er etwas zu sagen hätte, würde er mehr Wert darauf legen, dass die Athleten stilistisch schöne Tricks zeigen – und weniger aufs Spektakel.

Mittagspause im Bergrestaurant Murtèl. Rusterholz, jetzt in Holzfällerhemd und Cargohosen, wird aus allen Ecken gegrüsst. Jeder kennt ihn, er verbringt schliesslich einen grossen Teil des Winters hier oben. Vor allem zu Beginn der Saison, wenn er die Pipe aufbaut, ist er tagsüber am Corvatsch. Später dann oft auch nachts, um sie für den nächsten Tag zu präparieren. 10 000 Liter Diesel braucht er für Aufbau und Pflege der Pipe, 35 000 Kubikmeter Schnee bewegt er dafür – es wäre wohl doppelt so viel, wenn nicht eine steinerne Verschalung in den Berg gesprengt und gebaut worden wäre.

Der technische Fortschritt bedroht den Beruf von Carlo Rusterholz. «In zehn Jahren wird die Raupe autonom fahren, dann braucht man mich nicht mehr», sagt er. Aber das sei nicht schlimm: Eigentlich sei der Halfpipe-Bau sowieso zu banal für ihn, zu wenig kreativ. In Zukunft wolle er wieder mehr Snowparks bauen, vielleicht auch an der Entwicklung von Skigebieten mitarbeiten.

Aber zunächst warten noch die Olympischen Spiele im kommenden Jahr, an denen er wahrscheinlich wieder dabei sein wird. Zumindest bis auf weiteres geht dem Meister der Halfpipes die Arbeit nicht aus.

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