Mittwoch, Dezember 4

Nach der Entlassung in Basel war der ehemalige Starspieler Ciriaco Sforza drei Jahre ohne Job. Vor dem Cup-Duell gegen YB am Mittwoch spricht er über seinen Reifeprozess als Coach und seine neue Aufgabe in Schaffhausen.

Es hat im Schweizer Fussball in den letzten drei Jahrzehnten nicht viele prägendere Spieler gegeben als Ciriaco Sforza. Der Spielmacher wurde mit Kaiserslautern und Bayern München deutscher Meister, er gewann die Champions League und den Uefa-Cup.

Seine Spielerkarriere endete 2006 in Kaiserslautern, und seither wirkt Sforza wie ein Suchender. Er coachte mit überschaubarem Erfolg viele Vereine – von sehr klein (Wohlen) bis gross (Basel), wirklich glücklich wirkten er und seine Arbeitgeber selten. In Basel blieb er in der Corona-Saison 2020/21 weniger als eine Saison auf seinem Posten; seine Zeit dort war auch von Grabenkämpfen um die Besitzverhältnisse geprägt. Das Tohuwabohu um die Investorenfirma Centricus und die Beurlaubung von Valentin Stocker fielen in diese Zeit. Die Entlassung Sforzas war eine der ersten Handlungen von David Degen als Präsident des FC Basel, zu diesem Zeitpunkt war der FCB die schwächste Mannschaft der Rückrunde in der Super League.

Nun ist Sforza mit 54 in Schaffhausen angekommen. Genauer gesagt in Herblingen, einem von Charme gänzlich befreiten Vorort einen Steinwurf von der Grenze entfernt. Wieder sind die Begleitumstände nicht einfach – der Klub kämpft mit Liquiditätsproblemen; die jüngste Vergangenheit ist von zahlreichen Richtungs- und Personalwechseln geprägt. Allein im Kader gab es im Sommer mehr als 40 Mutationen, gemessen an dieser Unruhe ist der Einzug in den Cup-Achtelfinal beachtlich. Vor dem Duell mit YB empfängt Sforza die NZZ in der FCS-Arena zum Gespräch.

Ciriaco Sforza, wie sind Sie in Schaffhausen gelandet?

Ich erhielt die Anfrage und fand den Klub spannend. Eine gute Infrastruktur, viel Potenzial. Dazu ein ausgeprägter Wille, mit jungen Spielern zu arbeiten. Das habe ich gesucht: einen Ort, an dem man etwas entwickeln kann. Und die nötige Zeit dafür erhält.

War das in Basel anders?

Ich war zum falschen Zeitpunkt da. Die Unruhe um den Besitzerwechsel übertrug sich auf die Mannschaft. Es gab keinen Sportdirektor. In gewisser Weise wirst du in so einer Situation auch ausgenutzt, es blieb viel an mir hängen. Wissen Sie, ich habe ein gutes Herz, ich helfe gerne. Das kann auch eine Schwäche sein. Aber rückblickend hat es mich abgehärtet, ich kann mit solchen Schwierigkeiten mittlerweile besser umgehen.

Es hat Sie also in gewisser Weise auf den FC Schaffhausen vorbereitet, der derzeit mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat und bei dem es an Unruhe nicht zu mangeln scheint.

Das haben Sie jetzt gesagt. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich nur zu sportlichen Belangen äussere.

Wie haben Sie die Zeit seit der Entlassung in Basel 2021 genutzt?

Ich habe unter anderem als TV-Experte gearbeitet. Das waren spannende, aufschlussreiche Einblicke. Einmal sehen, wie die Medien arbeiten. Wie Meinungen gemacht werden. Ich kann die Mechanismen nun besser nachvollziehen.

Sie sprachen vor einiger Zeit sehr offen darüber, dass Sie nach dem Ende Ihrer Tätigkeit bei GC 2012 mit Depressionen zu kämpfen hatten. Gab es keinen Rückfall, nachdem in Basel viel auf Sie eingeprasselt war?

Nein. Ich bin heute sehr viel reifer als damals, gelassener auch. Es gibt Dinge, von denen ich sagen darf, dass ich sie jetzt kapiert habe. Zum Beispiel, dass man nicht alles zu ernst nehmen sollte, unter anderem sich selbst. Und dass Angst ein verdammt schlechter Ratgeber ist. Man kann sich vielleicht davor fürchten, krank zu werden. Die Gesundheit steht über allem. Aber sonst? Eine Niederlage ist ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Das Leben ist wunderbar. Man sollte es geniessen. Dinge wagen. Und als Trainer den Mut haben, auf Junge zu setzen.

Das scheint in Schaffhausen zu geschehen: Ihr Team hat in der Challenge League mit 23,1 Jahren den mit Abstand tiefsten Altersdurchschnitt bei den eingesetzten Spielern.

Das ist unsere Philosophie, unsere Überzeugung. Ich mache diesen Job nicht zuletzt deshalb, weil ich jungen Spielern etwas von meiner Erfahrung weitergeben möchte. Für mich ist es eigentlich fast noch erfüllender als Siege, wenn man einem Talent dabei helfen kann, nach ganz oben zu kommen. Ich durfte in meiner Laufbahn schon ein paar Jungs begleiten, Yann Sommer oder Remo Freuler etwa. Aber eben: Man muss dem Nachwuchs auch wirklich eine echte Chance geben. Diese Bereitschaft vermisse ich im Schweizer Fussball derzeit.

Inwiefern?

Ich stelle fest, dass die Schweizer Spieler an der kurzen Leine gehalten werden. Sie kriegen vielleicht zwei Spiele, dann steht wieder der Ausländer auf dem Platz, der gar nicht besser ist. Wie sollen sie sich da entwickeln? Klar ist das etwas pauschal formuliert, aber es ist einfach die Wahrheit. Es geht zu oft ums Business. Der Mensch zählt da gar nichts mehr. Oder jedenfalls nicht mehr viel.

Worauf führen Sie das zurück?

Fussball ist ein Resultat-Business, die Trainer getrauen sich nicht, auf die Jugend zu setzen. Mir ist das ein Rätsel. Das würde doch Goodwill schaffen.

Welchen Rat geben Sie jungen Spielern?

Dass sie sich etwas trauen sollen. Und dass viel von der Mentalität abhängt. Wie viel bin ich bereit einzusetzen, zu opfern?

Gibt es da Grenzen?

Man muss schon vorsichtig sein. Als Fussballer befindest du dich in einer Blase. Es ist ein Privileg, Fussballer zu sein. Aber es wäre fahrlässig, die Nebenwirkungen zu unterschätzen: den Druck, die Öffentlichkeit. Wenn du nicht aufpasst, kannst du schnell in der völlig falschen Strasse landen. Es braucht Balance. Ich musste das auch lernen: Wenn du dich nur auf den Fussball konzentrierst und alles andere verdrängst, dann zahlst du irgendwann den Preis dafür. Als Junger hast du die Überzeugung, dass du alles allein schaffst, ist doch alles kein Problem. Aber irgendwann holt es dich ein. Ich musste mir psychologische Unterstützung holen.

Ist das Bewusstsein dafür im Fussball gewachsen?

Das glaube ich nicht, es hat sich wenig verändert, der Fussball ist heute immer noch sehr oberflächlich. Ich würde mir wünschen, dass jeder Klub solche Hilfestellungen bietet. Es ist selbstverständlich jedem selbst überlassen, ob er sie dann annimmt. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Reden hilft immer. Und es hat jeder seine Probleme, egal wie diese auch gelagert sind.

Wie handhaben Sie das in Schaffhausen?

Uns fehlen die Mittel. Und als Coach musst du dich ab einem gewissen Punkt zurückziehen. Helfen, ja. Aber es gibt Dinge, die gehen einen Trainer nichts an. Da braucht es ein anderes Ohr.

Sie zeichnen teilweise ein hartes Bild der Fussballbranche. Vor ein paar Jahren sagten Sie, dass Sie im Fussball keinen einzigen Freund gefunden hätten. Stimmt das immer noch?

Ja. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe den Fussball, er hat mir sehr viel gegeben. Er ist einfach nicht unbedingt das Metier, in dem man Freunde fürs Leben findet. Wahre Freunde.

Wieso lässt dieser Sport Sie nicht los?

Der Fussball ist in meinen Venen. Ich habe mir schon überlegt, mal etwas anderes zu machen. Aber dafür liebe ich den Fussball zu sehr. Das Feuer brennt noch immer. Und ich habe auch die tiefe Überzeugung, dass der Trainer Sforza sein Potenzial noch nicht abgerufen hat. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben mich zu einem besseren Coach gemacht. Ich habe jetzt eine klarere Vorstellung davon, wo ich mit einer Mannschaft hinwill. Und welchen Plan es dafür braucht.

Sie haben als Spieler auf Klubebene alles gewonnen. Jetzt coachen Sie nach Wohlen und Wil den dritten Challenge-League-Verein und betreuen Spieler, die teilweise nicht einmal 2000 Franken pro Monat verdienen.

Ich weiss schon, worauf Sie hinauswollen. Klar gibt es da eine Diskrepanz, was das Niveau anbelangt. Dinge, die für mich als Spieler selbstverständlich waren, kann ich in der Challenge League nicht voraussetzen oder erwarten. Aber letztlich sind der Lohn und die Liga sekundär. Es geht um die Leidenschaft, um die Mentalität. Es mag nicht die Atmosphäre eines Champions-League-Finals haben, wenn wir in Nyon vor 600 Zuschauern spielen. Aber macht es das weniger wichtig? Für mich nicht.

Nun wartet am Mittwoch im Cup-Duell YB auf Schaffhausen. Der Höhepunkt der Saison?

Ich freue mich für die Jungs. Wir haben uns dieses Highlight verdient, indem wir Servette geschlagen haben. Ein starkes Servette, das zehn Tage zuvor Chelsea bezwang, das möchte ich schon noch erwähnen. Natürlich wollen wir versuchen, auch YB zu ärgern.

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