Donnerstag, Oktober 3

Die Union brach die Gespräche schon nach zwei Stunden ab, weil die Regierung Zurückweisungen an der deutschen Grenze ablehnt. Jetzt schlägt der FDP-Chef ein weiteres Treffen vor.

Nach dem geplatzten Migrationsgipfel am Dienstagnachmittag zeichnet sich möglicherweise die nächste Bruchstelle in der deutschen Regierungskoalition ab. Während die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser ihre Pläne notfalls auch ohne Unterstützung der Union umsetzen möchte, schlägt der FDP-Chef Christian Lindner erneut ein Spitzengespräch mit dem Oppositionsführer Friedrich Merz vor.

Merz solle «mit dem Bundeskanzler, Robert Habeck und mir persönlich verhandeln», schrieb Lindner auf X. Man werde «gemeinsam das Problem lösen». Der FDP-Vize Wolfgang Kubicki äusserte sich ähnlich. Er fordere die Union auf, schrieb er auf X, «entweder erneut in Gespräche einzutreten oder einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einzubringen». Die Freien Demokraten seien bereit, «die Vorschläge trotz rechtlichen Bedenken in gemeinsamer Verantwortung für unser Land umzusetzen».

Dabei schien die Union schon alle Hoffnungen auf eine Einigung beerdigt zu haben. Friedrich Merz sagte, die Regierungskoalition sehe sich offensichtlich nicht zu umfassenden Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen in der Lage. «Damit ist der Versuch gescheitert, einen gemeinsamen Weg zu gehen.» Die Union hatte umfassende Zurückweisungen an der deutschen Grenze gefordert, Bundesinnenministerin Nancy Faeser war allerdings nur zu einer Beschleunigung des bisherigen Dublin-Verfahrens bereit.

Faesers Ideen würden nichts grundsätzlich ändern

Demnach sollten auf deutschem Boden grenznahe Haftzentren etabliert werden, in denen die Migranten die Prüfung ihres Verfahrens abwarten sollten. Bei Mangel an Haftplätzen wäre eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage in Betracht gekommen. Ein Modell, mit dem aus Sicht der Union im Grunde alles beim Alten geblieben wäre.

Zwar sieht das Dublin-Verfahren eigentlich vor, dass Migranten, die über sichere Transitländer nach Deutschland einreisen, dorthin auch wieder zurückgeschickt werden können. Doch in der Praxis werden die meisten Migranten bei ihrer Einreise in die Europäische Union gar nicht registriert. Somit können deutsche Behörden auch nicht ihre Rücküberstellung beantragen.

Hinzu kommt: Wer zurückgeschickt wird, kann in der Regel problemlos auf dem Landweg wieder nach Deutschland einreisen und dort erneut Asyl beantragen. Das führt de facto zu einem Bleiberecht für illegale Migranten, denen zudem umfangreiche Möglichkeiten der Klage gegen ihre Ausschaffung offenstehen.

Eben deshalb insistierte die Union darauf, dass deutsche Grenzbeamte die Möglichkeit erhalten, Asylmigranten schon direkt an der Grenze zurückzuweisen. Bis jetzt sind Zurückweisungen nur dann möglich, wenn ein Migrant keinen Asylantrag stellt oder wenn er einer Einreisesperre unterliegt. Um umfassende Zurückweisungen zu ermöglichen, schlug sie vor, eine nationale Notlage nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU auszurufen. Ein Vorgehen, das laut dem Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier nicht nur «möglich» ist, sondern sogar «geboten» sei.

Der Kanzler spricht von «Taschenspielertricks»

Die Regierungsparteien sahen das offenbar anders. Der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte, zwar sei die Regierung zu weiteren Gesprächen bereit. Doch man könne von ihr nicht verlangen, dass sie rechtswidrige Vorschläge auf den Tisch lege. Bundeskanzler Olaf Scholz warf der Union gar «Taschenspielertricks» und «Provinzbühnenschauspielerei» vor. Es habe schon vorher festgestanden, dass sie die Gespräche abbrechen würde. Die Grünen-Chefin Ricarda Lang schrieb auf X, die Union mache «ausschliesslich Vorschläge, die nicht umsetzbar sind», und stünde dann «wie ein trotziges Kind vom Verhandlungstisch auf».

Bereits im Vorfeld des Migrationsgipfels hatte sich abgezeichnet, dass mehrere Nachbarstaaten die Zurückweisung von Asylmigranten an der deutschen Grenze nicht hinnehmen würden. Polens Regierungschef Donald Tusk nannte ein solches Vorgehen «aus polnischer Sicht inakzeptabel». Auch Österreich werde «keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden», sagte Innenminister Gerhard Karner am Montag der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».

Da hatte Bundesinnenministerin Faeser gerade erst angekündigt, dass Deutschland ab Montag kommender Woche an allen Grenzen stichprobenartige Kontrollen durchführen werde. Aber eben im Rahmen der bisherigen Verfahrensweise, und das heisst: ohne umfassende Zurückweisungen.

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