Montag, Oktober 7

Was Ende Oktober mit dem Betrieb im Zürcher Oberland geschieht, dürfte für Spitäler im ganzen Land Folgen haben.

An einem Mittwoch Ende Juli treffen sich zwei Männer in einer unscheinbaren Cafeteria in Wetzikon zu einer Art Pokerspiel mit riesigen Einsätzen. Es geht um 170 Millionen Franken und die Existenz eines Betriebs mit über 900 Angestellten.

Keiner der beiden will sein Blatt auf den Tisch legen. Sie wollen in den Kopf des anderen gelangen, um Zweifel zu säen.

Auf der einen Seite sitzt ein rundlicher, väterlich wirkender Mittfünfziger mit Glatze und Kinnbart. Es ist Pascal Bassu, der Stadtpräsident von Wetzikon, der sein ganzes Leben hier verbracht hat. Katzenhalter, Musikliebhaber, SP-Mitglied, überzeugter Diener des Service public.

Ihm gegenüber sitzt ein Mann ähnlichen Alters, das Haar raspelkurz geschoren, dichte Augenbrauen über einer dunkelrandigen Brille, dahinter ein durchdringender Blick: Es ist Gregor Greber. Sohn eines Maurers und früherer FC-Zürich-Ultra. Er hat es als angriffiger Investor zu Prominenz und Vermögen gebracht. Und er taucht immer dort auf, wo ein Unternehmen unter Wert gehandelt wird. Jetzt wittert er in Wetzikon ein Geschäft. Im Visier hat er das dortige Regionalspital, das ein paar Monate zuvor spektakulär abgestürzt ist.

Greber will unbedingt, dass sich sein Investment ins kriselnde Spital auszahlt. Bassu dagegen will den grössten Betrieb seiner Stadt vor dem Untergang bewahren – aber nicht um jeden Preis. Der Ausgang ihres Pokerspiels könnte Folgen weit über Wetzikon hinaus haben.

Zum ersten Mal seit dem Untergang der Swissair

Alles begann mit einem Donnerschlag. Am 4. April verkündete die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli öffentlich, sie werde dem Spital Wetzikon nicht aus seiner Finanzmisere helfen. Auch wenn dies sein Ende bedeuten sollte. Der Betrieb sei entbehrlich. Die Staatsgarantie, mit der viele in solchen Fällen gerechnet hatten: Sie löste sich in Luft auf.

Die Spitalbetreiber hatten zehn Jahre zuvor am Markt 170 Millionen Franken aufgenommen, um einen Neubau zu erstellen. Diese Anleihe lief im Juni 2024 aus, und weil es dem Betrieb nicht gutging, war niemand in Sicht, der sie erneuern würde. Dass nun auch der Kanton nicht aushalf, bedeutete: Das Spital würde das Geld nicht zurückzahlen können. Pensionskassen, Banken und anderen Anlegern drohten Millionenverluste.

Ein aussergewöhnliches Ereignis: Auf dem inländischen Kapitalmarkt kam dies seit dem traumatischen Kollaps der Swissair vor über zwanzig Jahren nicht mehr vor.

Spitaldirektoren aus der ganzen Schweiz blicken besorgt nach Wetzikon. Denn hier ist nicht nur ein Regionalspital in Existenznot. Die gescheiterte Finanzierung könnte die Probleme vieler Schweizer Spitäler verschärfen.

Schon heute stecken viele Betriebe in finanziellen Schwierigkeiten. Sie budgetieren am Limit oder stecken in roten Zahlen. Bisher konnten die Spitäler am Markt zu günstigen Zinsen Geld beschaffen, weil die Investition als sicher galt. Im Zweifelsfall würde der Staat dann schon einschreiten und ein Spital retten, waren die Investoren überzeugt. Ricklis Entscheid hat diese Gewissheit erschüttert.

Deshalb droht die Finanzierung der Spitäler teurer zu werden, die Zinsen könnten steigen. Es geht um viel Geld: Laut einer Studie des Beratungsunternehmens KPMG haben die Schweizer Kliniken Anleihen von insgesamt über 4,4 Milliarden Franken ausstehend. Gut die Hälfte davon muss bis 2030 erneuert werden.

Ein Analyst der Zürcher Kantonalbank bezeichnet den 4. April 2024 in einem gerade publizierten Bericht deshalb als «eine Hiobsbotschaft» für Spitäler, die Kapital brauchen. Prompt hat die Bank die Kreditwürdigkeit mehrerer Betriebe herabgestuft, von Horgen am linken Zürichseeufer übers Emmental bis in den Kanton Baselland.

Drei Lager kämpfen für ihre eigenen Ziele

Noch besteht für die Spitäler Hoffnung, denn in Wetzikon stemmt sich das Spital gegen seinen Untergang. Der Betrieb läuft weiter, und die Verantwortlichen arbeiten fieberhaft an einem Sanierungsplan. Weder die Investoren noch die öffentliche Hand haben bisher Millionen verloren.

Hinter den Kulissen wird nun ausgefochten, wer für die Rettung des Spitals bezahlen muss. Wie die Geschichte ausgeht, entscheidet sich in diesen Tagen und Wochen.

Im Grunde gibt es drei Lager, die ihre eigenen Ziele verfolgen:

Das Spital: Eigentlich hätte das Spital seine gewaltigen Schulden schon im Juni begleichen müssen. Doch kurz vorher wurde es per Gerichtsbeschluss unter eine Art rechtliche Käseglocke gestellt: die Nachlassstundung. Eine Gnadenfrist, während der alle Forderungen eingefroren werden. In dieser Zeit hat die Spitalführung die Möglichkeit, eine Lösung zu suchen. Ihren Plan will sie Ende Oktober vorstellen. Fest steht jetzt schon: Die Spitalführung will, dass die Gemeinden frisches Geld einschiessen. Zugleich sollen die Gläubiger auf einen Teil der Schulden verzichten.

Die Gemeinden: Das Spital Wetzikon befindet sich im Besitz von zwölf Oberländer Gemeinden. Das Überleben des Betriebs ist ihnen wichtig, nicht zuletzt, weil das Spital ein Wirtschaftsfaktor in der Region ist. Zudem macht die Bevölkerung Druck. 20 000 Personen haben eine Petition unterschrieben. Ihre Forderung: Der Fortbestand des Spitals soll gesichert werden. Doch die Gemeindevertreter müssen die Kosten der Rettung im Auge behalten. Deshalb wollen sie, dass auch die Gläubiger ihren Anteil leisten.

Die Gläubiger: Sie wollen, dass das Spital seine Schulden zurückbezahlt. Der lauteste Vertreter der Gläubiger ist jene Gruppe, zu der Gregor Greber gehört. Sie macht öffentlich Stimmung gegen die Sanierungspläne der Spitalführung. Ihre Maxime: kein Schuldenschnitt, unter keinen Umständen – das Spital habe genug Vermögen.

Ein Mann aus Frankfurt bekommt einen heissen Tipp

Diese laute Gläubigergruppe ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Angeführt wird sie von Gianluca Ferrari, einem 33-jährigen Italoamerikaner aus Frankfurt, der hauptsächlich Englisch spricht und vor dem 4. April keine Ahnung hatte, dass Wetzikon überhaupt existiert. Doch dann bekam er einen spannenden Tipp aus seinem Netzwerk.

Ferrari hat sich im gleichen Feld einen Namen gemacht wie Greber: als aktivistischer Investor. Mit seiner Firma Clearway Capital kauft er sich gezielt in Unternehmen ein, die unter Wert gehandelt werden, und versucht dann, den Kurs der Geschäftsleitung zu ändern, um die eigenen Ziele zu erreichen. Fester Bestandteil dieses Spiels ist es, über öffentliche Kampagnen und die Medien Druck aufzubauen.

Clearway Capital geht es nach eigener Darstellung nicht nur darum, das Kapital seiner Investoren zu vermehren, sondern zugleich auch um einen «positive impact on society». Darum also, sich verantwortungsvoll zu engagieren, um etwas Positives für die Allgemeinheit zu bewirken.

Das erste Beispiel für gesellschaftliches Engagement, das Ferrari auf Nachfrage einfällt: In Irland sei es gelungen, mit einer Kampagne Einfluss auf eine Firma zu nehmen, die Aufbaupräparate für Sportler herstellt. Diese vertrieb ihr Pulver in zu grossen, nur halb gefüllten Plastikbüchsen – schlecht fürs Geschäft und schlecht fürs Klima.

Ihr gemeinnütziges Argument in Bezug auf Wetzikon lautet so: Kommt es zu einem Schuldenschnitt, nimmt das Vertrauen in die Schweizer Spitäler weiteren Schaden, womit deren Kreditwürdigkeit sinkt. Der Schuldenschnitt müsse deshalb abgewendet werden. Das sieht man auch bei anderen Spitälern so: Der scheidende CEO des Spitals Uster warnte kürzlich in einem Interview vor einem Präzedenzfall mit «enormen Konsequenzen».

Aber natürlich ist Clearway Capital kein Wohltätigkeitsverein, das würde Ferrari auch nie behaupten. Als der Kurs für die Schuldscheine des Spitals Wetzikon um mehr als die Hälfte eingebrochen war, griff er mit Kalkül zu. Die Verwalter von Pensionskassenfonds, die plötzlich Ramschtitel in ihren Büchern hatten, waren offenbar froh, diese loszuwerden. Dabei konnten Ferrari und seine Mitstreiter für 4 Millionen Franken Anteile im Wert von 11 Millionen Franken kaufen. Doch 11 Millionen wert sind die Anteile nur, wenn es der Gläubigergruppe gelingt, die vollständige Rückzahlung der Schulden durchzusetzen.

Alleine können sie den drohenden Schuldenschnitt nicht abwenden, denn die Gruppe besitzt nur 6,5 Prozent aller Papiere. Sie kann den Poker um das Spital nur dann gewinnen, wenn sie weitere Gläubiger auf ihre Seite zieht. Sie muss also Überzeugungsarbeit leisten. Das geht schlecht von Frankfurt aus, und erst recht nicht auf Englisch. Es braucht jemanden vor Ort, der die politische Feinmechanik der Schweiz versteht und das nötige Netzwerk mitbringt. Einen Mann wie Gregor Greber.

Beide Seiten bluffen – aber wer tut es überzeugender?

Das ist der Grund, weshalb sich Greber im Sommer mit dem Wetziker Stadtpräsidenten Pascal Bassu in der Cafeteria trifft. Bassu ist eine zentrale Figur aufseiten der Spitaleigentümer; seine Gemeinde hält etwa einen Viertel aller Aktien. Er sagt, er habe sich damals bewusst gegen ein Treffen hinter verschlossenen Türen entschieden, um nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich um ein offizielles Treffen oder gar um einen Hinterzimmerdeal.

Greber habe seinen Plan so verkauft, als ginge es ihm um die Rettung des Spitals. Er sei enthusiastisch aufgetreten, habe geschmeichelt, aber auch unverhohlen gedroht: Falls die Gemeinden nicht mitziehen würden, komme es für das Spital zum schlimmsten Szenario. Konkurs, Liquidation, Verkauf aller Vermögenswerte. Und im Gegensatz zu den Gemeinden hätte er dabei nichts zu befürchten.

Gut bluffen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten beim Poker: Man lässt die anderen glauben, dass man ein unschlagbares Blatt in der Hand hält – selbst wenn das nicht stimmt.

Der Bluff der Investorengruppe sieht so aus: Sie sagen, sie hätten die nötige Mehrheit jener Gläubiger auf ihrer Seite, die Anteile der 170-Millionen-Anleihe halten. Bloss würden das viele nicht laut sagen, weil gerade Banken und Pensionskassen negative Schlagzeilen fürchten, wenn sie sich öffentlich gegen ein im Volk beliebtes Spital stellen.

Stimmt das, wird die Mehrheit einen Schuldenschnitt ablehnen. Die Sanierungspläne des Spitals wären damit erledigt. Es kommt dann laut Greber und Co. unweigerlich zum Konkurs. Und weil genug Vermögenswerte vorhanden seien, vor allem Immobilien, kämen die Gläubiger auch so zu ihrem Geld. Wie hoch der Wert der Immobilien ist, ist allerdings umstritten.

Was die Gruppe um Ferrari und Greber will, ist Folgendes: Die zwölf Gemeinden sollen die Sanierungspläne der Spitalführung verwerfen. Sie sollen auf keinen Fall frisches Geld einschiessen, das bloss in einem Neubau von zweifelhaftem Nutzen verlocht werde. Sondern sie sollen die Schulden des Spitals begleichen.

Entweder, indem die zwölf Gemeinden das Land, die Häuser und allenfalls gleich den ganzen Spitalbetrieb verkaufen. Oder indem sie eine explizite Staatsgarantie sprechen, damit das Spital am Markt neues Geld aufnehmen kann – und im Notfall mit Steuergeld zahlen.

Bassu lässt sich durch diesen Bluff nicht beeindrucken. «Es geht dieser Gruppe nur um den eigenen Profit», ist er überzeugt.

Ob das Blatt der Gruppe um Ferrari und Greber wirklich so stark sei, wie diese vorgäben, bleibe abzuwarten, sagt der Wetziker Stadtpräsident. Er hält dagegen: Der Sanierungsplan der Spitalführung habe gute Chancen – jener Plan also, der mit frischem Geld der Gemeinden rechnet, aber auch den Gläubigern einen Schuldenschnitt abverlangt.

Laut Experten wäre dies nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil: Bei einer Nachlassstundung – also unter der rechtlichen Käseglocke – sei es üblich, dass auch die Gläubiger Abstriche in Kauf nehmen müssten.

Ob am Ende Bassu oder Greber den Poker um das Spital gewinnt, wird sich am 25. Oktober zeigen. Dann werden alle Beteiligten ihre Karten an der Gläubigerversammlung auf den Tisch legen müssen. Der grosse Showdown.

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