Sonntag, Oktober 6

Der FDP-Präsident Thierry Burkart ist überzeugt, dass die Schweiz mit der EU eine griffige Schutzklausel aushandeln muss. Das Hauptproblem sei aber die Asylmigration. Es brauche einen Systemwechsel.

Herr Burkart, jüngst waren in der FDP verschiedene Vorschläge zu hören, wie eine Schutzklausel ausgestaltet werden soll. Im Einvernehmen mit der EU oder einseitig und als Gegenvorschlag zur 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP. Wo stehen Sie als Parteipräsident zu dieser Frage?

Seitens FDP fordern wir schon seit Jahren eine Schutzklausel. Und es ist klar, dass ein Abkommen mit der EU vor dem Volk nicht besteht, wenn diese Frage nicht geklärt ist. Meiner Meinung nach braucht es eine griffige Schutzklausel, die es der Schweiz erlaubt, die Zuwanderung wirksam zu regulieren. Wenn der Mitte-Präsident Pfister ein Instrument nur für – ich zitiere – «absolute Ausnahmefälle» fordert, dann bringt es nichts.

Pfister schlägt vor, dass die Schweiz die Personenfreizügigkeit ohne Einverständnis der EU einschränken kann. So weit gehen Sie nicht.

Ich finde die Idee Pfisters seltsam, mit jemandem einen Vertrag anzustreben und dabei bereits in Aussicht zu stellen, dass man diesen dann brechen wird, wenn es einem gerade passt. Nein, für mich ist klar: Die EU muss der Schweiz in dieser Frage entgegenkommen und klare Zugeständnisse machen. Gleichzeitig können wir auch eigene Instrumente prüfen. Etwa eine Zuwanderungsabgabe für Schweizer Unternehmen.

Sie wollen, dass sich die Wirtschaft an den volkswirtschaftlichen Kosten, die die Zuwanderung nebst ihren Vorteilen eben auch generiert, beteiligt?

Die Unternehmen ziehen Fachkräfte aus dem Ausland an, die hier zum Wohlstand beitragen, aber gleichzeitig auch Kosten verursachen können – kommen mehr Leute, braucht es mehr Lehrer, Ärztinnen usw. Mit einer Abgabe wäre es an den Unternehmen, die Abwägung zwischen diesen Vor- und Nachteilen zu machen. Darüber hinaus müssen wir auch Fehlanreize korrigieren, etwa den hiesigen Numerus clausus abschaffen. Es kann nicht sein, dass wir Schweizer Studenten den Zugang zum Medizinstudium derart erschweren und gleichzeitig 40 Prozent der Ärzte aus dem Ausland holen müssen.

Sie wollten doch auch einen Vorbehalt im Vertrag haben, eine Art Ausstiegsklausel. Gilt diese Forderung immer noch?

Es geht um eine Souveränitätsgarantie wie schon bei den Bilateralen I. Das heisst, dass wir nach ein paar Jahren überprüfen, ob der Vertrag immer noch den Interessen der Schweiz entspricht. Und falls nicht, könnte man ihn auch mit einem einfachen Referendum wieder künden. Ob diese Möglichkeit im Vertrag steht oder wir sie uns einseitig offenlassen, spielt dabei keine Rolle. Aber soll der Vertrag bei einer breiten Bevölkerung auf Zustimmung stossen, braucht es meiner Meinung nach unbedingt diese Gewissheit: Wir müssen wieder aussteigen können, falls sich bei der Umsetzung unerwünschte Folgen zeigen.

Da spricht jetzt eher der EU-Skeptiker in Ihnen.

Nein, wenn ich ein Auto kaufe, will ich auch eine Garantie haben, es zurückgeben zu können, wenn sich nach einer gewissen Zeit beträchtliche Mängel herausstellen sollten.

Die Zuwanderung aus der EU bleibt vor allem eine Elite-Zuwanderung. Die Integration funktioniert grossmehrheitlich sehr gut. Warum stören wir Schweizer uns so leidenschaftlich an diesem Phänomen?

Der Anstieg der Zuwanderung passiert sehr, sehr schnell. Und die Politik hält mit dieser Entwicklung nicht Schritt – im Gegenteil. Die Linke stellt sich in den Städten gegen den Neubau von Wohnungen, sie blockieren den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, den Ausbau der Energieproduktion. Dazu kommt der Asylbereich. Wir hatten allein im letzten Jahr über 30 000 Asylgesuche, vornehmlich aus Afghanistan, der Türkei, aus Eritrea oder aus den Maghreb-Staaten. Obwohl nur rund ein Viertel der Flüchtlinge anerkannt wurde, haben im Jahr 2023 gerade 4316 abgewiesene Asylsuchende die Schweiz verlassen. Die Bevölkerung subsumiert diese Eindrücke unter dem Begriff Zuwanderung – und reagiert verständlicherweise mit zunehmender Ablehnung. Deshalb braucht es unbedingt einen Politikwechsel vor allem im Asylbereich.

Geraten Sie hier nicht in den Konflikt mit der humanitären Tradition der FDP?

Im Gegenteil. Die Schweiz versucht immer noch, der Wirtschaftsmigration junger, muslimischer Männer mit dem humanitären Asylrecht, das nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde, zu begegnen. Der Flüchtlingsbegriff muss den heutigen Realitäten angepasst werden. Wer tatsächlich an Leib und Leben bedroht ist, soll selbstverständlich Asyl erhalten. Wir müssen aber bei der ganz grossen Mehrheit, die ohne Asylgrund illegal in die Schweiz einreist, viel härter durchgreifen. Die schiere Masse junger Männer aus muslimischen Ländern kann unsere freiheitliche Gesellschaft zersetzen. Zustände wie in Frankreich, in England oder in Deutschland müssen wir in der Schweiz vermeiden. Liberal kann nicht bedeuten, illegale Migration zu dulden. Als die Partei, die sich für unser liberales Gesellschaftsmodell einsetzt, werden wir hart gegen diese übermässige und illegale Migration ankämpfen.

Was kann die Schweiz inmitten von Europa allein tun?

Die Arbeitsverweigerung der Behörden ist untragbar. FDP-Forderungen werden von Bundesrat Beat Jans mit dem Vorwand bekämpft, dass es nicht gehe oder gar nicht so schlimm sei. Beispielsweise werden die vom Parlament gewollten Rückführungen auf dem «Seeweg» nicht durchgeführt, obwohl es Frankreich macht. Oder Deutschland schiebt 28 Straftäter nach Afghanistan ab, unsere Behörden bleiben passiv.

Dass der Staat die bestehenden Gesetze umsetzen muss, ist das eine. Aber reicht das?

Schweden geht mit gutem Beispiel voran. Zum Beispiel dürften anerkannte Flüchtlinge kein dauerndes Aufenthaltsrecht bekommen. Man könnte regelmässig überprüfen, ob der ursprüngliche Flüchtlingsgrund noch gegeben ist. Wenn nicht, müssten sie wieder zurück in das Ursprungsland.

Jetzt sagten Sie aber, dass Sie bei jenen ansetzen wollen, die keinen Asylgrund vorweisen können.

Genau. Abgewiesenen Asylsuchenden, die vorläufig aufgenommen werden, muss der Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem deutlich eingeschränkt werden. Der Status des vorläufig Aufgenommenen darf nicht nach fünf Jahren automatisch in ein dauerndes Bleiberecht übergehen. Aber auch bei anerkannten Flüchtlingen müssen wir den Zugang zu unserem Gesundheit- und Sozialsystem auf ein notwendiges Minimum beschränken. Andernfalls bleiben wir als Zielland viel zu attraktiv. Der Missbrauch unseres Systems nimmt ja extreme Züge an, wie das kürzlich publik gewordene Beispiel der kranken Georgier zeigt, die in der Schweiz einen Asylantrag stellen, um auf unsere Kosten behandelt zu werden. Wir müssen aber auch beim Familiennachzug ansetzen und dieses Recht auf das absolute Minimum einschränken. Zudem soll der aufgenommene Bleibeberechtigte seine engsten Familienmitglieder erst dann nachholen dürfen, wenn er hier in der Schweiz für diese aufkommen kann.

Das sind weitgehende Forderungen. Werden diese von der Partei mitgetragen?

Wir werden an der kommenden Delegiertenversammlung ein entsprechendes Papier verabschieden. Es wird noch einige Forderungen mehr beinhalten. Ich gehe von einer grossen Zustimmung aus. Das Thema brennt unseren Mitgliedern unter den Nägeln. Die lasche Schweizer Asylpolitik ist nämlich auch ein Sicherheitsproblem. Ich höre immer wieder von Frauen, dass sie sich abends in den Zügen und an den Bahnhöfen nicht mehr sicher fühlen. Das sind Zustände, die eine liberale Gesellschaft nicht tolerieren darf. Zudem sind die Kantone mit der Bewältigung der enormen Asylmigration mittlerweile überfordert. Es braucht jetzt zwingend Korrekturen.

Wie sieht es mit den Flüchtlingen aus der Ukraine aus? Bundesrat Jans hat mal darüber nachgedacht, diese vom vorübergehenden Schutzstatus S in einen Aufenthaltsstatus zu transferieren.

Der Schutzstatus S ist ein Spezialfall, und vor allem ist er klar rückkehrorientiert. Auch die Ukrainer müssen zurück, sobald es die Situation dort zulässt. Zumal es nicht in den Interessen der Schweiz sein kann, für diese Menschen aufzukommen, die dann wiederum fehlen, um dereinst die Ukraine wieder aufzubauen. Der Status S sollte in absehbarer Zeit in das reguläre Asylverfahren übergeführt werden.

Für die Finanzierung des Schutzstatus S muss der Bund für 2025 bereits zum vierten Mal hintereinander ausserordentliche Ausgaben von über einer Milliarde Franken vorsehen. Man wird den Eindruck nicht los, dass in Bundesbern die Ausnahme tendenziell zum teuren Normalfall wird.

Umso mehr braucht es jetzt dringend einen Politikwechsel in der Asylpolitik. Wenn wir dieses Thema nicht ernsthaft angehen, wird dies die Wahl- und Stimmbevölkerung zu Recht quittieren.

In der FDP hat man sich immer davor gehütet, die Asylmigration als Thema aufzugreifen, weil man Angst hatte, dadurch nur die SVP stärker zu machen. Warum brechen Sie nun damit?

Wir zeichnen unsere konsequente und harte Politik mit «Hart, aber fair» gezielt weiter. In Bern und in den Kantonen haben unsere Vertreter in den letzten Jahren Vorstösse eingereicht. Mitte-Links hat uns aber die Unterstützung versagt. Die Migration beschäftigt alle Teile unserer Gesellschaft. Somit wird das Thema nicht kleiner, wenn wir es der SVP überlassen – ganz im Gegenteil, denn diese Partei präsentiert oft nicht umsetzbare Vorschläge. Es gibt keine Themen, die allein einer Partei vorbehalten sind. Und eine Volkspartei wie die FDP muss alle relevanten Themen abdecken. Zumal die Asylmigration eben auch die Sicherheitspolitik betrifft, die Wirtschaft oder aber auch die Bildung. Wir könnten ein Interview nur über die Auswirkungen der Asylmigration auf das Niveau der Volksschule machen.

Wird die FDP die Grenzschutzinitiative der SVP unterstützen.

Nein, denn sie ist in dieser Form Augenwischerei. Ein derart umfassender Grenzschutz, wie es sich die SVP vorstellt, ist gar nicht möglich. Ich unterstütze jedoch die Forderung, wonach die Kontrolltätigkeit an den Grenzen insbesondere in Bezug auf die illegale Migration verstärkt werden muss. Ziel muss sein, die illegale Migration an den Grenzen frühzeitig zu stoppen und die Sicherheit im Inland zu gewährleisten.

Bundesrat Jans hat immer gesagt, dass das wenig bringe. Über den Sommer hinweg hat er aber die Kontrollen im Hinblick auf die Terrorgefahr anlässlich der Fussball-EM sowie der Olympischen Spiele verstärkt. Soll er dieses Regime aufrechterhalten?

Ich unterstütze jede sicherheitsrelevante Massnahme und fordere Bundesrat Jans auf, die Grenzen über die angedachte Frist hinaus verstärkt zu kontrollieren. Die Lage wird sich für die Schweiz ohnehin zuspitzen, weil die Deutschen nach Solingen ihre Asylpolitik verschärfen werden, ihren Grenzschutz bereits verstärkt haben und die Italiener keine Dublin-Fälle zurücknehmen. Das bedeutet, dass illegale Migranten vermehrt in der Schweiz «stranden» könnten. Umso mehr müssen wir dringend reagieren.

In Deutschland ist der islamistische Terror wieder zurück. Müssen wir uns Sorgen machen?

Attentate wie in Solingen sind auch in der Schweiz nicht auszuschliessen. Teilweise ist es auch schon vorgekommen – ich erinnere an das Attentat auf einen jüdischen Mitbürger in Zürich, die Geiselnahme in einem Regionalzug bei Yverdon oder die Eritrea-Ausschreitungen in Gerlafingen und Opfikon. Je mehr illegale Migranten sich in der Schweiz aufhalten, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass Einzeltäter oder kleine Gruppen zur Tat schreiten. Migration ist auch einfach eine Frage der Menge. Die Weichen wurden in den letzten Jahren völlig falsch gestellt.

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