Donnerstag, Oktober 3

Die Taliban setzen ihr Drogenverbot das dritte Jahr in Folge mit harter Hand durch. Ausser im Nordosten wird kaum noch Mohn angebaut. Auf die Opium- und Heroinmärkte hat dies bis jetzt aber erstaunlich wenig Auswirkungen.

Als die Taliban im April 2022 ihr Drogenverbot verkündeten, wurde in Afghanistan auf rund 220 000 Hektaren Schlafmohn angebaut. Dieses Jahr betrug die Fläche in den wichtigsten Anbaugebieten laut Experten nur noch 4000 Hektaren. Ausser im entlegenen Nordosten des Landes, wo die Kontrolle der Taliban weniger stark als in ihren Kerngebieten im Süden ist, ist der Mohnanbau damit praktisch zum Erliegen gekommen. Erstmals seit Jahrzehnten ist nicht Afghanistan, sondern Myanmar der grösste Opium- und Heroinproduzent der Welt.

Nun würde man annehmen, dass sich der Einbruch bei der Opium- und Heroinproduktion auch auf den Drogenmärkten in Europa bemerkbar macht. Vor 2022 war Afghanistan der mit Abstand wichtigste Lieferant für Heroin in Europa: 80 Prozent stammten vom Hindukusch. Sollte das Heroin ausbleiben, könnte dies dramatische Folgen haben. Viele Experten befürchten, dass die europäischen Konsumenten dann auf andere, noch gefährlichere Opiate wie Fentanyl umsteigen.

In ihrem jüngsten Bericht schrieb die Drogenagentur der Europäischen Union im Juni jedoch, es gebe keine Anzeichen, dass sich das Anbauverbot stark auf den Heroinschmuggel nach Europa auswirke. Zwar könnten sich die gestiegenen Preise für Opium und Heroin in Afghanistan künftig bei der Reinheit und den Preisen in Europa niederschlagen. Bisher sei dies aber nicht zu bemerken. Grundsätzlich gebe es keine Verknappung des Angebots von Heroin in Europa.

Vor dem Verbot verzeichneten die Bauern Rekordernten

Wie kann dies sein? Die Erklärung liege in den grossen Vorräten an Opium in Afghanistan, sagt Jelena Bjelica, die für die Denkfabrik Afghanistan Analysts Network (AAN) seit Jahren die Drogenproduktion am Hindukusch verfolgt. «Die Ernten in den vergangenen zwanzig Jahren waren unglaublich.» In den Jahren vor dem Drogenverbot der Taliban 2022 habe die Opium- und Heroinproduktion in Afghanistan weit über der weltweit konsumierten Menge gelegen.

So habe Afghanistan sechs Jahre lang mehr als 6000 Tonnen Opium produziert, während nur 3700 Tonnen konsumiert worden seien, sagt Bjelica. Es sei daher davon auszugehen, dass noch riesige Bestände an Opium in Afghanistan sowie entlang der Schmuggelrouten in Iran, der Türkei, Tadschikistan und Russland existierten. Opium lasse sich ohne Probleme bis zu zehn Jahre lagern, besonders im trockenen Klima Afghanistans, sagt Bjelica. Auch Heroin werde nicht schlecht.

Da nach dem Drogenverbot der Taliban im April 2022 die Preise für Opium massiv gestiegen sind, lohnte es sich für Bauern und Händler, einen Teil der Ernte zurückzuhalten, um ihn dann gewinnbringend zu verkaufen. Ein Bauer in der südlichen Provinz Helmand, wo bis zum Verbot der Grossteil des Opiums produziert wurde, sagte Bjelica und ihren Kollegen, er habe noch nie so viel mit Opium verdient und so gut gelebt wie nach dem Verbot der Taliban.

Die Taliban gingen erst mit Verzug gegen den Mohnanbau vor

Der Experte David Mansfield, der den Drogenanbau in Afghanistan seit 1997 beobachtet, weist darauf hin, dass die Taliban ihr Drogenverbot erst mit Verzögerung umgesetzt hätten. Das Regime habe im Frühjahr 2022 die Bauern noch ihre Ernte einbringen lassen. Erst im Herbst 2022, als die Bauern die Saat für das nächste Jahr hätten ausbringen wollen, seien die Sicherheitskräfte eingeschritten und hätten den Anbau verhindert. Dadurch hätten viele Bauern ihre Ernte von 2022 mit ungewöhnlich hohen Gewinnen verkaufen können.

Auch wenn das Taliban-Regime anderes behauptet, gibt es bis heute keine Anzeichen, dass es auch den Handel mit Opium zu unterbinden versucht. Auf den grossen Opiummärkten in Musa Qala und Kandahar laufe der Handel in aller Offenheit weiter, sagt Bjelica. Auch der Drogenschmuggel aus Afghanistan hält offensichtlich ungebrochen an. So würden in den Nachbarländern Pakistan, Tadschikistan und Iran weiterhin grosse Mengen Opium beschlagnahmt, schreibt Mansfield.

Von dieser Situation profitieren allerdings vor allem die Händler und die Grossbauern im Süden, die es sich erlauben konnten, Vorräte an Opium anzulegen und ihre Ernte erst mit Verzögerung zu verkaufen. Die meisten Kleinbauern waren dagegen gezwungen, ihr Opium sofort zu Geld zu machen, um ihre Auslagen für Saatgut und Dünger wieder hereinzuholen und ihre Familien zu ernähren. Sie haben nun durch das Anbauverbot eine wichtige Einkommensquelle verloren.

Nichts bringt den Bauern so viel ein wie Opium

«Opium ist ein perfektes Cash Crop», sagt Bjelica. Alternativen existierten praktisch nicht. Im trockenen Klima Afghanistans gebe es keine andere Feldfrucht, die auch nur annähernd so viel Geld einbringe. Granatäpfel, Mandeln, Pistazien oder Weintrauben könnten zwar relativ lukrativ sein, seien aber anspruchsvoller und würden meist nicht auf den gleichen Feldern wachsen, auf denen bisher Mohn angebaut worden sei. Auch brauchen sie Jahre, bis sie wirklich Erträge abwerfen.

Mangels besserer Alternativen bauen die meisten Bauern nun Weizen an der Stelle von Mohn an. Der Ertrag pro Hektare ist um ein Vielfaches geringer als beim Opium. In Helmand sei der Unmut deshalb gross, sagt Bjelica, die mit ihren Kollegen im Frühjahr Bauern in der Provinz befragt hat. Viele Bauern warteten ab, ob das Anbauverbot Bestand habe. Die Erwartung sei, dass es über kurz oder lang fallen werde. Sie scheuten daher davor zurück, in Weinstöcke und Obstbäume zu investieren.

Die Taliban hätten das Drogenverbot aus ideologischen Gründen erlassen und überstürzt verkündet, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken, sagt Bjelica. Das Regime habe das Verbot mit Gewalt durchgesetzt, den Bauern aber keine Hilfe angeboten, um auf andere Feldfrüchte umzustellen. Erst mit langer Verzögerung hätten sich die Taliban an die Vereinten Nationen gewandt, um Unterstützung zu erhalten, sagt die Drogenexpertin. Eine Umstellung der Landwirtschaft sei aber höchst komplex und werde Jahre brauchen.

Tausende Bauern widersetzten sich den Taliban

In Badakhshan, wo die mehrheitlich tadschikische Bevölkerung den Taliban grossteils ablehnend gegenübersteht, regt sich schon jetzt Widerstand gegen das Anbauverbot. In der Provinz im äussersten Nordosten Afghanistans ist es den Taliban bisher nicht gelungen, das Verbot komplett durchzusetzen. 2023 und 2024 seien weiterhin grosse Flächen mit Mohn bestellt worden, schreibt Mansfield in einem Bericht. Trotz öffentlichen Appellen und Drohungen sei selbst auf leicht einsehbaren Feldern an Strassen Mohn angebaut worden.

Das Regime in Kabul tauschte zunächst den Gouverneur der Provinz aus und holte dann zusätzliche Truppen aus dem paschtunischen Kernland im Süden. Als die Taliban im Mai gegen den Mohnanbau vorgingen, stellten sich ihnen jedoch Tausende aufgebrachte Dorfbewohner entgegen. Bei Zusammenstössen gab es mehrere Todesopfer. Nach aussen demonstrierten die Taliban Härte, doch blieb ihre Anti-Opium-Kampagne laut Mansfield letztlich eine Show.

Es bleibt abzuwarten, ob auch die Bauern in anderen Provinzen sich dem Anbauverbot widersetzen werden. Besonders Kleinbauern haben Mühe, ihre Familien zu ernähren. Immer mehr Familien auf dem Land sehen keinen anderen Ausweg mehr, als ihre Söhne zum Geldverdienen ins Ausland zu schicken. Wann das Anbauverbot auch für die Drogenkonsumenten in Europa spürbar wird, ist derweil offen. Niemand könne wissen, sagt Bjelica, wie lange die Opiumvorräte in Afghanistan und entlang der Schmuggelrouten noch halten würden.

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