Donnerstag, Dezember 26

Die Nasa feiert die erste kommerzielle Landung auf dem Mond als Beginn einer neuen Ära der Exploration. Für private Firmen sind die Mondmissionen allerdings eine riskante Wette auf die Zukunft.

Gross waren die Worte, und gross war die Hoffnung, als vergangene Woche die robotische Landesonde Odysseus des Privatunternehmens Intuitive Machines auf dem Mond aufsetzte. Für den amerikanischen Präsidenten Joe Biden war es «ein bedeutender Schritt in eine neue Ära der Raumfahrt» – ein «Meilenstein». Und Bill Nelson, Chef der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, nahm in einer Videobotschaft sogar Anleihen bei Neil Armstrong und sprach von einem «grossen Sprung für die Menschheit», einem «waghalsigen Mondtransport», der nun die Tür öffne für neue, kommerzielle Unterfangen.

Obwohl die Odysseus-Sonde beim Landeversuch umkippte, war es die erste halbwegs erfolgreiche kommerzielle Landung auf dem Mond. Ob sie auch den Weg ebnet für den erhofften Abbau von Rohstoffen und die Produktion von Gütern, bleibt jedoch fraglich. Für die privaten Firmen sind die Mondmissionen vielmehr eine Wette auf die Zukunft. Und noch dazu eine riskante.

«Im Moment gibt es keine Industrie, kein Geschäftsmodell auf dem Mond, das auf dem Papier wirklich erfolgreich aussieht», sagt Thomas Zurbuchen, Professor für Weltraumwissenschaft an der ETH Zürich, in einem Videogespräch. Der Schweizer, zuvor sechs Jahre lang Wissenschaftschef der Nasa, ist trotzdem hochzufrieden mit den aktuellen Entwicklungen. Denn vom neuen, kommerziellen Ansturm auf den Mond könnte vor allem die Wissenschaft profitieren – und die Raumfahrtagenturen.

Die Nasa greift privaten Firmen unter die Arme

«Commercial Lunar Payload Services», kurz CLPS, heisst das Nasa-Programm, das Zurbuchen 2018 initiiert hat und in dessen Rahmen Intuitive Machines nun im Mondstaub gelandet ist. Umgerechnet knapp 2,3 Milliarden Franken hat die Nasa bis zum Jahr 2028 dafür eingeplant – allerdings nicht für eigene Missionen, sondern als Aufträge und als Anschubfinanzierung für private Firmen. So bekam Intuitive Machines, ein elf Jahre altes Unternehmen aus dem texanischen Houston, im Rahmen des CLPS-Programms gut hundert Millionen Franken.

Einzige Bedingung: Odysseus sollte sechs wissenschaftliche Mini-Experimente der Nasa zum Mond bringen. Wie Intuitive Machines das anstellen würde – mit welcher Technik, welcher Rakete, welchem Team – blieb dem Budget und dem Einfallsreichtum des Unternehmens überlassen. Drei weitere amerikanische Firmen arbeiten an ähnlichen Missionen oder haben, wie das Startup Astrobotic, dessen Mondsonde Anfang Januar kurz nach dem Start von einem Treibstoffleck ausser Gefecht gesetzt worden ist, bereits einen erfolglosen Versuch absolviert.

Die Idee hinter all dem: Die Firmen sollen Erfahrung sammeln, sie sollen sich bewähren, und sie sollen eines Tages günstige Transportdienstleistungen zum Mond anbieten können – für die Nasa aber auch für jeden anderen, der über genügend Kleingeld verfügt. «Dieser kommerzielle Ansatz wird viel billiger sein», hofft Zurbuchen. «Wir sprechen über die Hälfte oder ein Drittel, vielleicht sogar nur ein Viertel dessen, was vergleichbare Missionen mit traditionellen Raumfahrtagenturen kosten würden.» Insbesondere in der Schweiz gäbe es viele gute Ideen für robotische Missionen zum Mond. Statt den mühsamen, langen Weg über die Europäische Raumfahrtagentur ESA zu gehen und dort eigene Missionen durchzusetzen, könnten sich die Institute künftig bei kommerziellen Anbietern einkaufen. Schneller und günstiger.

Wobei günstig relativ ist. Nur 100 Kilogramm Nutzlast kann Intuitive Machines mit seiner Sonde zum Mond transportieren, während allein die Startkosten für die Falcon-9-Rakete, die die Mission auf den Weg bringt, mit etwa 60 Millionen Franken zu Buche schlagen – zumindest laut offizieller Preisliste. Die Ausgaben sollen zwar sinken, sobald die Nachfolgerakete von SpaceX einsatzfähig sein wird, das Starship. Bisher hat die neue Rakete allerdings nur ein paar Testflüge absolviert, die mit einer Explosion endeten. «Selbst wenn Raumfahrt zuletzt deutlich billiger geworden ist, werden wir auch in Zukunft bei Mondmissionen über Kosten in Höhe von Dutzenden Millionen Franken reden », sagt Zurbuchen.

SpaceX macht vor, wie es gehen kann

Vorbild für CLPS sind ganz ähnliche Programme, die die Nasa in den vergangenen zehn Jahren für den kommerziellen Transport von Fracht und Menschen in den niedrigen Erdorbit aufgelegt hat, wenn auch mit gemischten Ergebnissen. SpaceX zum Beispiel hat die staatliche Anschubfinanzierung und die garantierten Transportaufträge zur Raumstation ISS genutzt, um seine Falcon-9-Rakete wettbewerbsfähig zu machen. Längst dient sie nicht mehr nur ISS-Versorgungsflügen im Auftrag der Nasa, sondern hat sich zur dominierenden Kraft auf dem Raketenmarkt entwickelt. «Unglaublich viele Ökonomen haben damals gemeint, für so etwas gibt es kein Geschäftsmodell», sagt Thomas Zurbuchen.

Beim kommerziellen Transport von Menschen in den Erdorbit sieht die Bilanz anders aus. Boeing, von der Nasa dafür ausgewählt und mit immerhin fast fünf Milliarden Franken bezuschusst, hat es aufgrund grosser Sicherheits- und Qualitätsmängel in zehn Jahren nicht geschafft, Menschen ins All zu bringen. Einen ersten Testflug des Starliner-Raumschiffs mit einer Crew an Bord plant Boeing nun für April. Und SpaceX fliegt dieser Tage zwar zum achten Mal Astronauten im Nasa-Auftrag zur ISS, kann darüber hinaus aber nur bescheidene kommerzielle Erfolge mit bemannten Missionen vorweisen.

Diese beschränken sich auf Ausflüge sehr reicher Touristen und auf den Transport von Astronauten aus Staaten, die sich kein eigenes Raumfahrtprogramm leisten wollen, sondern lieber Geld an ein amerikanisches Unternehmen für Mitfluggelegenheiten überweisen. Das ist kein besonders breit aufgestelltes Geschäftsmodell.

Und nun soll es der Mond richten?

Auch auf dem Mond werde zunächst ohne staatliche Aufträge nicht viel gehen, räumt Zurbuchen ein. «Die kommerziellen Anbieter werden – zumindest in den ersten Jahren – nur überleben, wenn die Regierungen sagen: Flüge zum Mond sind uns wichtig, dafür geben wir Geld aus.» Immerhin: An Ideen, wie darüber hinaus Umsätze generiert werden könnten, mangelt es nicht, auch wenn die Anfänge bescheiden sind. Bei Intuitive Machines hat ein amerikanischer Sportartikelhersteller Stoff zur Isolierung des Treibstofftanks beigesteuert und macht damit nun gross Werbung. Und ein deutscher Logistikanbieter verspricht, mit den Astrobotic-Missionen persönliche Erinnerungsstücke zum Mond zu transportieren: Haarsträhnen, Fotos, Manschettenknöpfe. Startpreis: 3270 Dollar.

Letztlich reichen solche Einnahmen aber nur für die Portokasse. Alles, was darüber hinausgeht, sind Hoffnungen: Im Mondstaub, aber auch an den Polen des Erdtrabanten könnten sich grosse Mengen an Wasser befinden – genug, um damit künftige Siedlungen zu versorgen oder Treibstoff zu produzieren. Mit dem liessen sich Raketen vom Mond aus ins All starten, ganz ohne die störende Erdanziehungskraft. Ob und wie sich das Wasser aus dem Staub oder den steilen, in ewiger Dunkelheit liegenden Kratern der Mondpole gewinnen lässt, ist allerdings völlig unklar.

Das Gleiche gilt für die andere grosse Hoffnung: Helium-3. Die leichte Variante des Edelgases kommt auf der Erde äusserst selten vor, ist im Mondstaub dafür deutlich häufiger anzutreffen. Helium-3 weckt vor allem deshalb Begehrlichkeiten, weil es ein möglicher Treibstoff in möglichen Fusionskraftwerken sein könnte. Eine praktisch nutzbare Kernfusion ist auf der Erde allerdings noch viele Jahrzehnte entfernt, falls sie überhaupt einmal kommen wird. Und auch die Kosten für den Abbau des Stoffes auf dem Mond und dessen Transport zur Erde kann niemand verlässlich voraussagen.

Trotzdem hat sich in den USA ein Startup geformt, das sich genau daran versuchen will. Interlune wirbt bei Investoren damit, eine neue Methode zur Extraktion von Helium-3 entwickelt zu haben, berichtet das amerikanische Magazin «Techcrunch». Bereits 2026 will es die Technik auf dem Mond ausprobieren; im kommenden Jahrzehnt könnten, so das Versprechen, jährliche Einnahmen von 500 Millionen Dollar locken. Angeblich hat Interlune dafür 16 Millionen Franken von Geldgebern und Gründern gesammelt.

Doch sind all diese Hoffnungen – der kommerzielle Transportmarkt, das grosse Geschäft, die Rohstoffe – realistisch? Für Zurbuchen ist das die falsche Frage. «Wer immer nur auf der Ebene des Realismus bleibt, macht nie etwas Mutiges.» Und: «In zehn Jahren werden wir wissen, ob unser kommerzieller Ansatz das richtige Modell war, oder ob er gescheitert ist. Aber ich bin unglaublich froh, dass wir es zumindest probieren.»

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