Donnerstag, Mai 8

Indien hat als Vergeltung für den Anschlag auf Touristen in Kaschmir Luftangriffe in Pakistan geflogen. Nun ist Islamabad am Zug. Wie die Antwort ausfällt, bestimmt ein Mann, der als religiöser Hardliner bekannt ist.

In der gegenwärtigen Eskalation zwischen Indien und Pakistan kommt einem Mann eine besondere Bedeutung zu: Asim Munir, Pakistans Armeechef. Nach den indischen Luftangriffen von Mittwoch entscheidet zwar offiziell Premierminister Shehbaz Sharif über das weitere Vorgehen, doch ist es kein Geheimnis, dass die wahre Macht im Land beim Armeechef liegt. Der General gilt als Hardliner und hat den Konflikt mit Indien als eine Art Zivilisationskrieg zwischen Hindus und Muslims beschrieben. Es wird vermutet, dass er die Krise nutzen will, um die geschwächte Legitimität des Militärs in Pakistan wiederherzustellen.

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Der 57-Jährige wird als «Mullah-General» bezeichnet. Er gilt als streng religiös und zitiert regelmässig aus dem Koran und anderen islamischen Schriften. Anders als frühere Armeechefs stammt er nicht aus einer Offiziersfamilie. Vielmehr war sein Vater Schuldirektor und Imam einer Moschee in der Garnisonsstadt Rawalpindi. Dort besuchte er zunächst eine Koranschule, bevor er in die Armee eintrat. Während einer Entsendung als Militärattaché in Saudiarabien hat Munir den Koran auswendig gelernt und spricht fliessend Arabisch.

Seine Offizierskarriere begann er 1986 unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq. Der für seinen religiösen Eifer und seine Frömmigkeit bekannte General leitete während seiner Herrschaft (1977 bis 1988) in Pakistan eine umfassende Islamisierung von Staat und Gesellschaft ein. Auch das Militär wurde damals stärker religiös geprägt. So wurden Offiziere angehalten, sich einen Bart wachsen zu lassen. Heute wird Munir oft als Wiedergänger von General Zia ul-Haq bezeichnet.

Munir pflegt eine tiefe Feindschaft mit Imran Khan

Anders als viele seiner Offizierskollegen hat Munir nie eine britische oder amerikanische Militärakademie besucht. Einen wichtigen Teil seiner Karriere verbrachte er an der Grenze zu Indien. 2016 wurde er zum Chef des militärischen Nachrichtendiensts ernannt, zwei Jahre später rückte er an die Spitze des mächtigen Militärgeheimdiensts ISI auf. Nach nur acht Monaten hätte seine Karriere aber fast ein Ende gefunden, als der damalige Premierminister Imran Khan ihn absetzen liess.

Laut Medienberichten wollte Munir vor seiner Absetzung Ermittlungen gegen Khans Ehefrau Bushra Bibi wegen Korruption einleiten. Dahinter steckte ein Machtkampf zwischen dem Premierminister und dem Militär. Dieses hatte Khan zunächst unterstützt, ihm aber im Streit um die Besetzung von Posten die Gunst entzogen. In dem Machtkampf konnte sich Khan letztlich nicht durchsetzen, und im April 2022 wurde er vom Parlament durch ein Misstrauensvotum gestürzt.

Mit dem Sturz von Khan war der Weg frei für Munir, der im November 2022 zum Armeechef ernannt wurde. Als der frühere Premierminister sechs Monate später wegen Korruption festgenommen wurde, gab er Munir dafür die Schuld. Seine Partei bezichtigt den Armeechef seither, einen persönlichen Rachefeldzug gegen Khan zu führen. Bis heute bestimmt dieser Konflikt zwischen der Armeeführung und Khans Partei die Politik in Pakistan und lähmt das Land.

Das Militär in Pakistan steckt in einer Legitimitätskrise

Obwohl Imran Khan seit zwei Jahren in Haft sitzt, ist er weiterhin der populärste Politiker Pakistans. General Munir gilt dagegen als eher unbeliebt – selbst in den Reihen des Militärs. Viele Pakistaner geben dem Militär eine Mitschuld an der politischen Blockade sowie an der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes. Vor allem aber machen sie die Armee für die Krise in den Provinzen Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa verantwortlich, wo die Anschläge islamistischer Rebellen und Separatisten einen wachsenden Blutzoll fordern.

In dieser Situation ist ein Krieg mit Indien eigentlich das Letzte, was Pakistan braucht. Denn ein Krieg könnte nicht nur die Wirtschaft in den Abgrund reissen, sondern das Land international auch weiter isolieren. Allerdings könnte ein Krieg gegen den Erzfeind durchaus im Interesse der Armeeführung sein. Denn durch eine militärische Konfrontation könnte sie ihre Legitimität als Verteidigerin der Nation stärken und dafür sorgen, dass sich die Pakistaner hinter sie scharen.

Indiens Regierung bezichtigt Pakistans Armee, hinter dem Anschlag am 22. April in Kaschmir zu stecken, der am Anfang der gegenwärtigen Krise steht. Auch die indischen Medien werfen Munir vor, den Anschlag in Auftrag gegeben zu haben, um einen Krieg mit Indien zu provozieren. Konkrete Beweise dafür gibt es nicht. Allerdings ist seit langem dokumentiert, dass Pakistans Armee islamistische Terrorgruppen wie Jaish-e Mohammed und Lashkar-e Toiba im Kampf gegen Indien unterstützt.

Der erste wahrhaft islamische Staat seit dem Propheten

Eine Eskalation mit Indien würde auch zur religiös unterlegten Ideologie von Pakistans Generalstabschef passen. Nur eine Woche vor dem Anschlag in Kaschmir stellte Munir bei einer Rede in Islamabad den Konflikt mit Indien als eine ewige, geradezu zivilisatorische Konfrontation zwischen Hindus und Muslims dar. Dies seien zwei Nationen, die sich durch ihre Religion und ihre Sitten grundlegend unterschieden, sagte Munir. Pakistan werde Kaschmir nie aufgeben, denn es sei die «Halsschlagader» des Landes.

Pakistan, so sagte der General in seiner Rede in Islamabad, sei der erste wahrhaft islamische Staat seit der Herrschaft des Propheten Mohammed in Medina. Zuvor hatte er wiederholt gesagt, das Motto der Armee sei «Glaube, Frömmigkeit und Jihad auf dem Weg Allahs». Diese aggressive, religiöse Rhetorik ist im Militär allerdings nicht unumstritten. Ein Krieg mit Indien würde auch die wirtschaftlichen Interessen der Armee gefährden. Diese ist in Pakistan an vielen Unternehmen beteiligt. Ein Kollaps der Wirtschaft träfe daher auch direkt die Generäle.

Zwar ist kaum vorstellbar, dass die pakistanische Armee nach den indischen Luftangriffen auf einen Gegenschlag verzichtet. Der bisherige Verlauf des Konflikts erlaubt es ihr aber, es bei einer eher symbolischen Antwort zu belassen. Denn bei dem Einsatz in der Nacht zu Mittwoch hat Indiens Luftwaffe offenbar mehrere Kampfjets verloren. Bis jetzt schweigt sich die Regierung in Delhi dazu aus. Auch die indischen Medien sind auffällig still bei dem Thema.

Mehrere Medien zogen Berichte über die Abstürze wieder zurück –offenbar auf Druck der Regierung. Zwei Abstürze sind aber mit Fotos dokumentiert. Vertreter indischer Behörden haben zudem bestätigt, dass mindestens zwei Maschinen in Kaschmir niedergegangen seien. Wenn sich diese Informationen erhärten, wäre es ein rechtes Debakel für Indiens Luftwaffe. Pakistan bietet sich damit die Chance, es bei dieser Demütigung seines Feindes zu belassen. Es ist nun an General Munir, zu entscheiden, ob er diese Chance ergreift.

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