Die Verantwortlichen einer Primarschule im Kanton St. Gallen haben nach Elternprotesten auf die Einstellung einer Lehrerin mit Kopftuch verzichtet. Die Aktivistin Saïda Keller-Messahli schreibt dabei von einer richtigen Entscheidung.

Der Fall sorgte in den letzten Tagen für Schlagzeilen. Die Primarschule in Eschenbach, Kanton St. Gallen, wollte eine Lehrerin einstellen, die darauf bestand, mit einem sogenannt islamischen Kopftuch zu unterrichten. Einige Eltern lehnten dies ab. Die Verantwortlichen lenkten ein, die Lehrerin darf nun doch nicht dort unterrichten.

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Die Schule rechtfertigte die Kehrtwende mit der Angst vor einem langwierigen Gerichtsverfahren, sollten die opponierenden Eltern standhaft bleiben. Dabei handelt es sich bei der Kopftuchfrage nicht nur um eine rechtliche, sondern vor allem um eine philosophische, pädagogische und gesellschaftliche Frage von grundlegender Bedeutung.

Es sei daran erinnert: Die Lehrerin hätte in Eschenbach unterrichten können, wenn sie bereit gewesen wäre, ihr Kopftuch abzulegen. Ihre Weigerung, dies zu tun, zeigt einmal mehr, dass es sich beim Kopftuch nicht um ein Accessoire wie jedes andere handelt: Sie folgt der Überzeugung, das Kopftuch immer dann tragen zu müssen, wenn die «Gefahr» besteht, einem Mann zu begegnen, der nicht zur Familie gehört. Es handelt sich um ein zutiefst patriarchales Gebot, das die Lehrerin jeden Tag vor den Schülerinnen und Schülern sichtbar einhalten möchte.

Lehrerinnen sind auch Vorbilder

Säkularität und Neutralität sind Teil der Schweizer Tradition. Staatsangestellte werden dazu verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Aufgaben auf jegliche religiöse Bekundung zu verzichten. Dies gilt insbesondere für Lehrerinnen und Lehrer. Diese Anforderung soll die Gleichbehandlung und Gewissensfreiheit der Schüler gewährleisten.

Das Tragen eines Kopftuchs an öffentlichen Schulen ist kein Menschenrecht: Im Jahr 2001 wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Klage einer Genfer Lehrerin zurück, die das Verbot des Tragens eines Kopftuchs bei der Ausübung ihrer Tätigkeit angefochten hatte. Auch diese Entscheidung stützt sich auf die Notwendigkeit, die Neutralität des öffentlichen Bildungswesens zu gewährleisten, ein Grundprinzip in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft. Der Gerichtshof befand, dass das Genfer Kopftuchverbot an Schulen einem legitimen Zweck diene und verhältnismässig sei, da es den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, insbesondere der Gewissensfreiheit von Kindern, zum Ziel habe.

Die religiöse Neutralität der Schule zielt nämlich darauf ab, einen gemeinsamen Raum zu bewahren, der frei von jeglichem konfessionellen Einfluss ist und in dem jeder Schüler, unabhängig von seiner Herkunft, sich von seiner Kultur und Religion emanzipieren kann, um ein aufgeklärter Bürger zu werden. Die Lehrer sind nicht nur Vermittler von Wissen, sondern auch Vorbilder sowie Autoritäts- und Bezugspersonen. Ihr Aussehen und ihr Verhalten müssen jede offensichtliche Bekundung religiöser Zugehörigkeit vermeiden, um die Schüler, die in diesem jungen Alter besonders empfänglich sind, nicht zu beeinflussen. Ihre Unparteilichkeit, auch in ihrer Kleidung, ist daher von grösster Bedeutung.

Die Frau wird zum Objekt der Begierde degradiert

Darüber hinaus ist die Frage des Schleiers eng mit der Frage der Gleichstellung verbunden. Der Schleier wurde vor einigen Jahrtausenden in einer patriarchalischen Gesellschaft eingeführt, lange vor den monotheistischen Religionen. Die muslimischen Extremisten (allesamt Männer), die ihn heute vorschreiben, setzten die Regel noch restriktiver um: Er macht aus der Frau ein Objekt der Begierde, das vor den Blicken der Männer verborgen bleiben muss, um die Männer nicht zu erregen.

In diesem patriarchalischen Modell ist es nicht Aufgabe des Mannes, zu lernen, seine Leidenschaft zu zügeln. Es ist Aufgabe der Frau, ihre natürliche Schuld auf sich zu nehmen. Sie ist also dafür verantwortlich, die männliche Libido zu kontrollieren, indem sie sich unter einem Schleier versteckt. So verhüllt, wird sie den Mann nicht in Versuchung führen. Die Frau ist dann «geschützt». Die Befürworter des Schleiers bezeichnen dies mit einem Euphemismus, der als wertschätzend angesehen wird: «die Schamhaftigkeit der Frau».

Der Schleier ist das Zeichen dafür, dass Frauen ein untergeordneter Platz zugewiesen wird. Das Tragen des Schleiers durch eine Lehrerin zuzulassen, würde bedeuten, im schulischen Umfeld eine Praxis zu legitimieren, die der Gleichstellung der Geschlechter zuwiderläuft.

Schliesslich kann das Tragen eines solchen religiösen und frauenfeindlichen Zeichens als Aufforderung – wenn auch unbeabsichtigt – zur Annahme eines Glaubens aufgefasst werden. Diese Befürchtung ist keineswegs unbegründet. Muslimische Extremisten haben den Sexismus des Schleiers zu ihrem identitären, politischen und missionarischen Instrument gemacht. Einige sagen es ganz offen: «Wir brauchen nicht zu sprechen, der Schleier spricht für uns.» Der Schleier sendet eine Werbebotschaft aus, die der Ideologie, die ihn fördert, und der Ungleichheit der Geschlechter zugutekommt.

Einer Lehrerin das Tragen eines Kopftuchs zu gestatten, würde bedeuten, die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen individuellem Glauben und kollektiver Bildungsaufgabe zu verwischen. Ein Verbot des Kopftuchs für Lehrerinnen in Grundschulen hingegen steht in der republikanischen Tradition der Neutralität der Schule, schützt die Gewissensfreiheit der Kinder und fördert die Gleichstellung der Geschlechter. Es handelt sich dabei keineswegs um eine willkürliche Einschränkung oder um eine Diskriminierung, sondern um die Garantie eines emanzipatorischen und respektvollen Schulraums für alle.

Saïda Keller-Messahli ist eine tunesisch-schweizerische Romanistin und Menschenrechtsaktivistin. Sie ist Gründerin und Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam.

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