Donnerstag, Februar 13

Während die Waffenruhe im Gazastreifen wankt, suchen die arabischen Staaten händeringend nach einem Umgang mit dem radikalen Vorschlag des US-Präsidenten. Es gäbe durchaus Spielraum. Doch es stellt sich die Frage, welches Kalkül Israel verfolgt.

Nach nur dreieinhalb Wochen steht die Waffenruhe im Gazastreifen bereits auf Messers Schneide. Am Montag hatte die Hamas angekündigt, die Übergabe weiterer israelischer Geiseln vorerst auszusetzen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu drohte daraufhin am Dienstagabend damit, die «intensiven Kämpfe» wieder aufzunehmen, sollte die Hamas bis Samstagmittag keine Geiseln freilassen. Zuvor hatte der amerikanische Präsident Donald Trump Israel geraten, die Waffenruhe zu beenden, falls bis Samstag nicht «alle Geiseln» freigelassen würden.

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Zwar ist es denkbar, dass sich Israel und die Terrororganisation doch noch einig werden, zumal die Vorwürfe der Hamas eher obskur sind und durchaus lösbar erscheinen. Doch spätestens in zwei Wochen wird sich die Frage nach einer Wiederaufnahme des Krieges erneut stellen, wenn die erste sechswöchige Phase des Abkommens ausläuft. Die Chancen, dass eine zweite Phase vereinbart werden kann, stehen eher schlecht – auch deshalb, weil die rechtsextremen Kräfte in der Regierung Netanyahu mit dem Koalitionsbruch drohen, sollte es dazu kommen.

Das jüngste Manöver der Hamas, die sich im Gazastreifen verzweifelt an ihre Macht krallt, ist deshalb auch als Panikreaktion zu werten. Das hat allerdings weniger mit angeblichen Verstössen Israels zu tun als vielmehr mit dem radikalen Plan von Donald Trump, der eine permanente Umsiedlung der Bevölkerung des Gazastreifens vorsieht. Mit seinem Vorschlag hat er unverhofft eine völlig neue Dynamik in der Debatte um den «Tag danach» ausgelöst. Nicht nur für die Hamas, sondern auch für die arabische Welt und manche westliche Staaten stellt sich nun die dringende Frage, wie und ob dieser Plan noch abgewendet werden kann.

Kommen die arabischen Staaten Trump entgegen?

Klar ist, dass Trumps Vorschlag nicht einfach ohne weiteres umgesetzt werden kann. Ein Grossteil der Palästinenser wird sich weigern, den Gazastreifen ohne Garantie auf Rückkehr zu verlassen. Eine Vertreibung durch militärische Gewalt wäre ein klares Kriegsverbrechen, Israel würde international zum Paria. Die für die regionale Stabilität so wichtigen Friedensabkommen mit Jordanien, Ägypten und anderen arabischen Staaten wären gefährdet. Zudem wäre mit einer Zwangsumsiedlung das Hamas-Problem nicht gelöst, sondern lediglich geografisch verschoben.

Viele Beobachter gehen deshalb davon aus, dass es sich bei Trumps Gaza-Plan um einen klassischen Winkelzug des selbsternannten Dealmakers handelt: Indem er überrissene, disruptive Ideen aufstellt, zwingt er alle anderen dazu, sich zu bewegen und ihm entgegenzukommen. Der Präsident hat die arabischen Staaten kalt erwischt. Nun versuchen sie händeringend, eine Antwort auf seinen Vorschlag zu finden.

Jordaniens König Abdallah II. hat sich bislang mit einer symbolischen Geste begnügt und angekündigt, 2000 kranke Kinder aus Gaza aufzunehmen. Ägypten will offensichtlicher weiter gehen: Wie das Aussenministerium am Dienstagabend mitteilte, will Kairo Trump eine «umfassende Vision» für den Wiederaufbau des Gazastreifens präsentieren und mit den USA kooperieren, um einen «vollständigen und gerechten Frieden» in der Region zu erreichen.

Für die arabischen Regierungen ist ein Entgegenkommen gegenüber Trump riskant, weil ihre Bürger eisern hinter der palästinensischen Sache stehen. Bislang waren sie kaum mit konstruktiven Vorschlägen aufgefallen und hatten sich vielmehr hinter der Maximalforderung nach einem palästinensischen Staat versteckt. Doch der Wirbelwind im Weissen Haus könnte die Staatschefs in Nahost und am Golf nun tatsächlich dazu bringen, ihre Strategie der Zurückhaltung zu überdenken.

Mahmud Abbas will sich beliebt machen

Tatsächlich hätten die arabischen Staaten einigen Spielraum, um auf Trump und Israel zuzugehen und sich als Partner mit Gestaltungswillen zu präsentieren. So könnten sie unmissverständlich festhalten, dass eine Fortsetzung der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen ausgeschlossen ist. Sie könnten von ihren Genozid-Vorwürfen gegen Israel zurücktreten und geloben, ihr Sperrfeuer der Kritik gegen den jüdischen Staat auf der internationalen Bühne einzustellen. Und sie könnten konkrete Vorschläge unterbreiten, inwiefern sie sich an einer Stabilisierung der Lage im Gazastreifen und in der Region beteiligen würden.

Gleichzeitig könnten sie den Druck auf die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) erhöhen, die Teile des besetzten Westjordanlands kontrolliert. Arabische Staatschefs haben – wie viele Nahostexperten auch – stets betont, dass die PA die einzige Alternative zur Hamas sei. Doch in ihrer jetzigen Form kommt die korrupte, schwache und unbeliebte Behörde keineswegs als Ordnungsmacht im Gazastreifen infrage; Netanyahu hat eine Beteiligung der PA bislang kategorisch ausgeschlossen.

Der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat mehrfach versucht, sich beliebt zu machen. Ende Dezember startete er etwa einen Grosseinsatz gegen militante Gruppen im nördlichen Westjordanland. Am Montag schaffte Abbas umstrittene Zahlungen an die Familien getöteter Terroristen ab. Damit scheint der greise Präsident bisher aber weder Trump noch Israel beeindruckt zu haben. Sollte es aber den arabischen Staaten gelingen, einen echten Reformprozess in der PA anzustossen, sähe die Lage vielleicht wieder anders aus.

Was, wenn der Krieg nicht endet?

Letztlich lautet aber die entscheidende Frage, welches Kalkül Israel verfolgt. Mit seiner Äusserung vom Montag («lasst die Hölle ausbrechen») scheint Trump, der vielen Experten als Verfechter der Waffenruhe galt, grünes Licht für eine Wiederaufnahme des Krieges gegeben zu haben. Für Netanyahu wäre eine Fortführung der Kämpfe zwar eine Gelegenheit, seine Koalition zu stabilisieren und an der Macht zu bleiben. Gleichzeitig nähme er den Tod der verbleibenden Geiseln in Kauf und riskierte, dass die öffentliche Meinung gegen ihn kippt.

Aus Sicht des Ministerpräsidenten sind dies allerdings kurzfristige Überlegungen. Längerfristig könnte sich Netanyahu auch auf ein Szenario einlassen, in dem der Krieg gar nie wirklich endet, Israel die Grenze der Küstenenklave besetzt und mit gezielten Militäroperationen die Hamas in Schach hält. Die Islamisten würden zwar den Trümmerhaufen regieren, aber keine grosse Bedrohung für Israel darstellen. Die Leidtragenden wären die zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens.

Und: Die von Netanyahu und Trump angestrebte Normalisierung der Beziehungen mit Saudiarabien wäre vom Tisch – ebenso der Friedensnobelpreis, den der Präsident der USA so gerne hätte. Aus diesem Grund sind die Verhandlungen um die Zukunft des Gazastreifens wohl noch lange nicht abgeschlossen. Den arabischen Staaten bietet sich jetzt die Gelegenheit, sie mitzugestalten.

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