Mittwoch, März 19

Entgegen dem Willen des Bundesrats wird es keine landesweite Pflicht für Vermieter geben, bei Mieterwechseln den Preis der Vormieter offenzulegen. Es gibt gewisse Anzeichen, dass eine solche Pflicht eine Hemmschwelle für Preiserhöhungen sein kann.

Die Nachfrage wächst stärker als das Angebot – deshalb steigen die Preise. Das ist die Kurzfassung der Lage am Wohnungsmarkt in der Schweiz. Wegen der Einwanderung und des zunehmenden Flächenverbrauchs pro Einwohner würde es laut Marktbeobachtern für ein stabiles Preisniveau pro Jahr etwa 50 000 zusätzliche Wohnungen brauchen, doch in letzter Zeit wurden pro Jahr nur etwas mehr als 40 000 Wohnungen neu gebaut, und die sinkende Zahl der Baubewilligungen zeigt noch keine Trendwende an.

Der Begriff «Markt» ist hier allerdings eine krasse Übertreibung. Zum einen sind die Mietpreise vor allem für Altmieter stark reguliert. Das bremst die Investitionslust und führt zu massiven Preisdifferenzen zwischen Altmietern und Neumietern. So beläuft sich zum Beispiel laut Analyse der Zürcher Kantonalbank (ZKB) in der besonders stark regulierten Stadt Genf der Bonus für Altmieter auf über 50 Prozent, in der Stadt Zürich auf 26 Prozent. Deshalb bleiben viele Altmieter in zu grossen Wohnungen, da sich ein Wechsel in kleinere Wohnungen nicht lohnt. In Genf sind gemäss ZKB 72 Prozent der grossen Wohnungen unterbelegt, in der Stadt Zürich 65 Prozent. Die starke Regulierung der Preise für Altmieter schafft auch Anreize für die Vermieter, bei den Neumietern möglichst hohe Anfangsmieten zu verlangen.

Auch auf der Angebotsseite spielt der Markt nur begrenzt. Die Baulandfläche wird künstlich verknappt, und Projekte für verdichtetes Bauen sind wegen der langen Bewilligungsverfahren und der häufigen Einsprachen ein sehr unsicheres Geschäft.

Preisanstieg um 10 Prozent

Gemäss jüngsten Marktanalysen und Prognosen stiegen und steigen die Mietpreise der angebotenen Wohnungen von 2021 bis 2024 im Landesmittel total um gut 10 Prozent. Die Leerwohnungsziffer sank 2023 im Schweizer Durchschnitt von 1,3 Prozent auf 1,15 Prozent und lag damit noch leicht unter dem langfristigen Mittel von etwa 1,1 Prozent. Die Ziffer dürfte aber heuer laut Prognosen unter 1 Prozent fallen. Hinter dem Landesdurchschnitt stecken zudem starke Unterschiede zwischen den Regionen. An beliebten Wohnorten wie etwa den Grossstädten, ihren Agglomerationen und gewissen Tourismusgebieten ist die Nachfrage definitionsgemäss besonders gross, und die Leerwohnungsziffern liegen weit unter dem Landesmittel.

Was tun? Vor gut zwei Wochen hat ein runder Tisch mit Exponenten von Bund, Kantonen, Bauwirtschaft und Interessenverbänden einen Aktionsplan mit Empfehlungen vor allem an Kantone und Gemeinden vorgelegt. Im Zentrum stand die Idee eines Abbaus von Hindernissen für Bauprojekte. Ob sich das wohlklingende Postulat in der Praxis wirkungsvoll umsetzen lässt, ist allerdings eine ganz andere Frage. Vor allem linke Kreise zeigten sich enttäuscht, weil ihre Forderungen (Stossrichtung: noch mehr Regulierung) keinen Konsens erreichten.

Mehr Transparenz gefordert

Eine dieser Forderungen stand am Mittwoch im Nationalrat in Form einer Motion zur Debatte: die Einführung einer landesweiten Pflicht für Vermieter, bei neuen Mietverträgen dem potenziellen Neumieter den Mietzins der vorangegangenen zwei Jahre bekanntzugeben. Der Jargon spricht von «Formularpflicht», weil die offiziellen Formulare nebst der Mitteilung des Anfangsmietzinses und anderen Informationen auch die Angabe des früheren Mietzinses vorsehen. Dies soll eine Hemmschwelle für Vermieter schaffen, den Mieterwechsel für eine starke Preiserhöhung zu nutzen.

Das Bundesrecht schreibt zurzeit diese Angabe nicht vor, gibt aber den Kantonen die Möglichkeit, im Fall eines Wohnungsmangels eine solche Vorgabe zu machen. Zurzeit haben sechs Kantone eine volle Formularpflicht (BS, FR, GE, LU, ZG, ZH), und zwei Kantone kennen die Formularpflicht für gewisse Bezirke/Gemeinden (NE, VD). Der Föderalismus hat drei zentrale Vorteile: Er erlaubt das Eingehen auf unterschiedliche Umstände und Präferenzen, er lässt einen gewissen Standortwettbewerb zu, und er ermöglicht kantonale Lernlabors – von denen auch andere Kantone und der Bund profitieren können.

Dünne Beweislage

Die Frage liegt deshalb auf der Hand: Was hat die Formularpflicht in den Kantonen gebracht, die das Instrument schon kennen? Dazu gibt es wenig handfestes Material. Eine Masterarbeit an der Universität Zürich von 2013 zur Formularpflicht in der Stadt Zürich ortete mit einer eher kleinen Stichprobe einen schwachen statistischen Einfluss in Richtung leicht sinkender Preise. Der statistische Zusammenhang könne aber bei Ausweitung der Stichprobe auch wieder verschwinden, mahnte die Autorin. Der Einfluss auf die Bautätigkeit liess sich derweil laut der Analyse wegen des kurzen Beobachtungszeitraums nicht schlüssig messen.

Eine weitere Masterarbeit an der Universität Zürich von 2016 bezeichnete es als «fraglich», ob die Formularpflicht die gewünschten Ziele erreiche. Die Autorin ortete tendenziell eine überdurchschnittliche Zunahme der Anfechtungen in einigen Kantonen mit Formularpflicht. Das kann man negativ werten (mehr Rechtsunsicherheit und mehr Ärger), oder man kann es als einen Nebenzweck der Formularpflicht sehen. Laut einer Analyse der Immobilienberatungsfirma IAZI von 2014 hat die Formularpflicht «tendenziell eine bescheidene preisdämpfende» Wirkung: Bei durchschnittlichem Wohnungswechsel alle acht Jahre seien die Mieten im Landesmittel um 2 Prozent weniger gestiegen.

Die Formularpflicht habe «keinerlei beweisbare signifikante preisdämpfende Wirkung», urteilte 2018 eine Parlamentskommission aus dem Kanton Basel-Stadt. Die Kommission fand keine schlüssigen Studien und musste sich deshalb auf einige Hinweise beschränken. Die Kommission verwies unter anderem darauf, dass Kantone mit Formularpflicht nicht durch besonders tiefe Preise oder ein besonders grosses Wohnungsangebot auffallen.

Der Regierungsrat des Kantons Schwyz offerierte im August 2023 bei seiner Analyse der Frage keine neuen Befunde und kam zum Schluss, dass es keine Nachweise einer preissenkenden Wirkung der Formularpflicht gebe.

Bundesrat will Transparenz

Der Bundesrat hatte 2015 die Einführung einer landesweiten Formularpflicht vorgeschlagen, war damit aber im Parlament gescheitert. In ihrer Botschaft ans Parlament hatte die Regierung ebenfalls keine schlüssigen Belege für eine preissenkende Wirkung vorgelegt. Laut der damaligen Botschaft hatte ein befragter Experte einen geringen positiven Effekt geortet, während ein zweiter Befragter keinen signifikanten Effekt gefunden habe. Das Fazit der Regierung: «Gesamtwirtschaftlich dürfte die Einführung der Formularpflicht keinen grossen Effekt auf Preise, Investitionen, Konsum oder Staatsausgaben haben.» Der Bundesrat begründete seinen Vorschlag vor allem mit dem Anliegen einer grösseren Markttransparenz, was die Preise dämpfen könne. Zudem führe die Einführung der Formularpflicht «nicht notwendigerweise» zu mehr Anfechtungen.

Der Bundesrat ist bis heute bei seiner Haltung geblieben. Wirtschaftsminister Guy Parmelin offerierte am Mittwoch im Nationalrat ebenfalls keine schlüssigen Belege für eine preisdämpfende Wirkung. Er sprach sich aber für zusätzliche Transparenz aus und erklärte, dass sie eine «präventive» Wirkung haben könne.

Es ist gut vorstellbar, dass die Angabe des Mietzinses für die Vormieter die Hemmung der Vermieter für starke Preiserhöhungen vergrössert. Zu fragen ist aber, ob diese mögliche Tendenz genügt als Rechtfertigung für den zusätzlichen Eingriff des Bundes und für das Eingehen des Risikos, dass die Hemmung gegenüber Preiserhöhungen mittel- bis längerfristig auch die Hemmung gegenüber Investitionen in neue Wohnungen verstärkt.

Gegen den Vorstoss für eine nationale Formularpflicht sprach im Nationalrat der Walliser FDP-Vertreter Philippe Nantermod. Er bezeichnete die Formularpflicht als ineffizient bis kontraproduktiv. Im Übrigen argumentierte er vor allem mit dem Föderalismus: Unterschiedliche Kantone hätten unterschiedliche Voraussetzungen, weshalb eine nationale Einheitslösung nicht sinnvoll sei.

Am Ende setzten sich die Skeptiker durch. Der Nationalrat lehnte die Motion mit 117 Nein gegen 73 Ja ab. Das Gros der Nein-Stimmen kam aus SVP, FDP und der Mitte, während die Linke und die Grünliberalen geschlossen oder grossmehrheitlich dafür votierten. Auf nationaler Ebene wird es damit bis auf weiteres nicht zu einer Formularpflicht kommen.

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