Dienstag, April 22

In Manhattan hat die Firma JP Morgan Chase von Norman Foster, dem Hightech-Star unter den Architekten, einen neuen Bankenturm errichten lassen. Der Betrieb des Turms ist vollelektrisch. Aber ist er auch wirklich so ökologisch, wie er vorgibt?

Nach der Corona-Pandemie kam die Frage auf, ob die grossen Konzernsitze und Bürohochhäuser, die nicht nur in Amerika die besten Lagen in den Innenstädten besetzen, jemals wieder voll genutzt würden – oder ob das Home-Office den Bautypus des Corporate Towers dauerhaft obsolet machen würde. Ebenso wurde diskutiert, ob dies eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Vitalität der Innenstädte wäre.

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Obwohl viele ehemalige Bankhochhäuser an der Wall Street für teure Wohnungen umgenutzt wurden, will man in Midtown Manhattan, dem berühmtesten Geschäftsviertel der Welt, von einer etwaigen Krise des Konzernhochhauses nichts wissen: Auch wenn die neuen ultrahohen Spargeltürme am Südrand des Central Park überwiegend dem Wohnen dienen, spriessen in Midtown neue Bürotürme in den Himmel.

Das prominenteste und höchste Beispiel ist der neue Hauptsitz der grössten Bank der Welt. Die Firma JP Morgan Chase hat den Altmeister der britischen Hightech-Architektur, Lord Norman Foster aus London, gebeten, den Bankenturm zu entwerfen.

Fosters kometenhafter Aufstieg in der zeitgenössischen Architektur hatte mit einem Bankhochhaus für die HSBC in Hongkong begonnen. Angesichts der Tatsache, dass Foster 89 Jahre alt ist, können die beiden Bankhochhäuser in Hongkong und New York also als Alpha und Omega seiner ungewöhnlich erfolgreichen Architektenkarriere gelesen werden.

Und das Omega, der neue Riesenturm für JP Morgan Chase, zeigt nun alle Vor- und Nachteile des Bautypus wie in einem Brennglas. Die Lage zwischen Park Avenue und Madison Avenue sowie 47th und 48th Street könnte nicht besser sein. Um das dichte Geschäftsviertel rund um den Grand-Central-Bahnhof nicht weiter zu verschatten oder die Strassenschluchten visuell zu erdrücken, hat Foster sich für die unteren acht Etagen seines Superhochhauses eine Besonderheit einfallen lassen: Der Turm verjüngt sich nach unten.

Ballerina auf Zehenspitzen

Riesige diagonale Stahlstreben stemmen den Turm in die Höhe und prägen auch dessen Fassaden. Sie steifen das Gebäude aus und geben ihm Stabilität. Sie erinnern dabei an die späten sechziger Jahre, an Bauten wie der John Hancock Tower in Chicago, die derlei ablesbare Tragwerke zu ihrem ästhetischen Höhepunkt führten. Bei Foster tragen 24 gigantische Stützen die Lobby und die Etagen darüber, die sich durch Rücksprünge im Westen und im Osten zur Spitze hin elegant verjüngen. Das Hochhaus, grösser als das Empire State Building, balanciert wie eine Ballerina auf Zehenspitzen.

Heutzutage müssen sich Bauherren und ihre Architekten für den Bau energiehungriger Supertürme rechtfertigen. Das gilt auch für die New Yorker Grossbank und ihren Neubau in Manhattan: Stahl, Glas und Beton, die für den Bau verwendet wurden, verursachen schliesslich hohe CO2-Emissionen. Auch der Betrieb von solchen Bürohochhäusern, ihre Klimaanlagen, die Lifts und das elektrische Licht sind verantwortlich für einen Grossteil des Energieverbrauchs in einer Metropole wie New York.

Foster, dessen Karriere auf der Anwendung von Prinzipien der Biologie und der Physik auf die Architektur moderner Geschäftshäuser gründet, verspricht «Netto-null-Betriebsemissionen» für seinen Riesenturm, denn die neue Unternehmenszentrale ist der « höchste vollelektrische Turm der Stadt». Dieser Begriff soll beschreiben, dass die vom und im Gebäude genutzte «saubere» Energie ausserhalb der Stadt erzeugt wird.

Der elektrische Strom zum Betrieb des JP-Morgan-Chase-Turms kommt aus bestehenden Wasserkraftwerken und hat folglich keine Auswirkung auf die Treibhausgasemissionen der Stromerzeugung in New York. Im Betrieb fallen also keine Emissionen an. Den Staudamm gab es jedoch zuvor schon.

In der Stadt New York wird sonst mit dampf- oder wasserbasierter Fernwärme geheizt, weswegen in jedem New-York-Film malerisch Dampf aus den Gullys strömt. Zur Erzeugung der Fernwärme wurden traditionell fossile Brennstoffe und Müll eingesetzt. Zudem verbietet die Stadt New York die Verwendung von Erdgas in Neubauten.

Kritiker halten das jedoch für Augenwischerei, einen Fall von Greenwashing, denn die graue Energie wird nicht betrachtet. Der Bauherr liess nämlich das riesige Union Carbide Building abreissen, um Platz für seinen Neubau zu schaffen. Der 52-stöckige Turm von 1960 ist das höchste ohne Notwendigkeit abgerissene Hochhaus der Welt.

Zwar wurden fast alle Komponenten des Gebäudes rezykliert, aber auch das erforderte viel Energieaufwand. Der Vorgängerturm war von einer Architektin, Natalie de Blois, entworfen worden und galt lange Zeit als höchstes Gebäude der Welt, das von einer Frau stammt.

Wo schon Nikola Tesla war

In dem 423 Meter hohen Turm ist Platz für 14 000 Mitarbeiter. Das 60-stöckige Gebäude soll nicht nur nachhaltig sein, sondern auch das Wohlbefinden und die Gesundheit seiner Nutzer fördern. Und die Planer argumentieren auch städtebaulich: Mehr als doppelt so viel öffentlicher Raum auf Strassenniveau bietet der Neubau im Vergleich zum abgerissenen Vorgängerbau. Breitere Gehwege und eine tausend Quadratmeter grosse Plaza vor dem Turm sollen ein Beitrag zur Aufwertung der Terminal City sein, wie der Stadtteil am Bahnhof heisst.

Er entstand vor hundert Jahren rund um das 1913 eröffnete Grand Central Terminal. Nur ausgewiesene New-York-Kenner wissen, dass auch der Vorgängerbau des neuen JP-Morgan-Chase-Hauptsitzes, das Union Carbide Building von Natalie de Blois, seinerseits ein schönes Gebäude verdrängte: Im Hotel Marguery von 1917 hatte sich einst der Erfinder, Forscher und Ingenieur Nikola Tesla eingemietet. Die Stadt ist ein Palimpsest, und der ökonomische Druck führt zu immer neuen Überschreibungen des urbanen «Textes».

Der neue Turm für die mächtige Bank ist fast doppelt so gross wie sein Vorgängerbau. Um das zu erreichen, musste der Bauherr allerdings einen himmlischen Trick anwenden: Das Baurecht kaufte er der benachbarten St. Bartholomew’s Church ab, um ein derart hohes Ausrufezeichen in die Skyline von Midtown Manhattan zu pflanzen.

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