Dienstag, Oktober 15

Laurent Freixe spielt seine Stärken als Nestlé-Veteran aus. Er vermag die Belegschaft mitzunehmen. Aber die Anleger warten auf Resultate.

Nestlé hat turbulente Wochen hinter sich. Ende August wurde abrupt der Chef ausgewechselt. Das zeigte, dass beim weltgrössten Nahrungsmittelkonzern etwas aus dem Lot geraten war.

Im Riesenkonzern mit über 270 000 Mitarbeitern herrscht nun aber Aufbruchstimmung. Die Leute seien froh, dass es einen Wechsel gegeben habe, sagt ein Insider. Alle hätten gewusst, dass etwas passieren müsse, vor allem wegen des schwachen Aktienkurses. Nun könne man wieder nach vorne schauen, es schwappe eine positive Welle durch die Firma.

Freixe kommt bei den Mitarbeitern an

Seit einigen Wochen steht nun Laurent Freixe an der Spitze. Der Franzose ist ein Nestlé-Urgestein. Er arbeitet seit 38 Jahren im Unternehmen, hat die wichtigsten Regionen Amerika und Europa geführt und kennt die Firma in- und auswendig. Keiner im Unternehmen habe eine so grosse operative Erfahrung wie er, wird ihm zugebilligt.

Freixe bietet damit auch einen Kontrast zum vormaligen CEO Mark Schneider. Dieser wurde zwar dafür gelobt, dass er bei Nestlé ab 2017 einen strategisch nötigen Umbau vorangetrieben hatte. Aber Schneider kam von aussen, er hatte keine Erfahrung an der Verkaufsfront und die Nestlé-Kultur nicht im Blut.

Freixe scheint von der Belegschaft mit offenen Armen empfangen worden zu sein. Er spreche die Nestlé-Sprache, sagt ein anderer Insider. Die Leute würden sich in ihm erkennen, weil er vertraute Begriffe verwende und das Tagesgeschäft verstehe. Das motiviere die Mitarbeiter. Freixe werde intern zugetraut, dass er Nestlé zurück auf den Wachstumskurs führe.

Konkret hat Freixe noch nicht viel geändert. Die bisherigen Anpassungen drehen sich dem Vernehmen nach um Atmosphärisches: kürzere Sitzungen, weniger Mikromanagement. Freixe hat Town-Hall-Meetings mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgehalten. Er reist um die Welt, um die Belegschaft im weitverzweigten Nestlé-Reich mitzunehmen.

Immerhin hat Freixe schon klargemacht, in welche Richtung er den Konzern steuern will. Zusammen mit dem Verwaltungsratspräsidenten Paul Bulcke hat er die Losung «forward to basics» ausgegeben. Nestlé soll zu den alten Stärken zurückkehren. Das heisst: operative Exzellenz, starkes Marketing, Fokus auf die Kunden, Zurückgewinnung von Marktanteilen.

Skepsis unter den Analytikern

Doch Freixe hat auch ein Problem. Von der neuen Stossrichtung ist man am Aktienmarkt noch nicht überzeugt. Es herrscht ein auffälliger Kontrast zwischen der Aufbruchstimmung innerhalb des Konzerns und den Einschätzungen der Anleger. Seit Freixes Amtsantritt hat sich der Nestlé-Aktienkurs nicht erholt, im Gegenteil: Er hat weiter nachgegeben.

Was erklärt die Zurückhaltung der Anleger? Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass sie ihre Erwartungen an den Nahrungsmittelriesen angepasst haben. Einst war man davon ausgegangen, dass Nestlé an die Erfolge der Vor-Corona-Zeit würde anknüpfen können, wenn der weltweite Inflationsschub, der den Konzern in den Jahren 2022/2023 in Probleme brachte, vorbei ist.

Aber ab Mitte 2023 wurde zunehmend klar, dass sich die Rückkehr zu den gewohnten Wachstums- und Gewinnzahlen verzögern würde. Nestlé verzeichnete einige Quartale mit sinkenden Verkaufsvolumen. Das setzte den Aktienkurs unter Druck. Vom einstigen Höchststand von knapp 130 Franken fiel der Kurs auf unter 90 Franken. Das kostete Mark Schneider schliesslich den CEO-Posten.

Warten auf konkrete Resultate

An der Skepsis hat sich bis jetzt nichts geändert. Das gilt auch mit Blick auf die Geschäftszahlen zum dritten Quartal, die Nestlé am Donnerstag veröffentlichen wird. Der Konsens unter den Aktienanalytikern lautet, dass der Konzern seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr wird nach unten korrigieren müssen. Das bisherige Ziel von mindestens 3 Prozent organischem Umsatzwachstum sei nicht mehr erreichbar, so die Überzeugung der Analytikergemeinde. Unsicherheit herrscht auch darüber, wie sich die Gewinnmargen entwickeln werden.

Dabei geht es keineswegs um dramatische Anpassungen. Sowohl beim Umsatzwachstum als auch bei den Gewinnmargen stehen Korrekturen von wenigen Zehntelprozenten zur Diskussion. Doch bei Nestlé gelten besondere Massstäbe. Der Konzern hat den Ruf, ein Fels in der Brandung zu sein. Dies steht infrage, wenn nur schon Zweifel daran bestehen, ob Nestlé seine bereinigte Betriebsgewinnmarge (von derzeit 17,3 Prozent) im kommenden Jahr wird halten können.

Die Zurückhaltung der Anleger wird wohl bestehen bleiben, solange die Unsicherheit über die weitere Geschäftsentwicklung von Nestlé nicht beseitigt ist. Die Analytiker warten einerseits auf den Investorentag von Mitte November. Dort könnte das Management einen neuen Ausblick bekanntgeben in Bezug darauf, wie sich die Umsatz- und Gewinnzahlen entwickeln sollen.

Anderseits wollen die Anleger Resultate sehen. Laurent Freixe scheint innerhalb des Nestlé-Konzerns für Aufbruchstimmung zu sorgen. Aber am Ende zählt, ob er das Unternehmen auf den Wachstumspfad zurückführen kann.

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