Samstag, Oktober 5

Mit Andri Sibiha wird ein erfahrener Berufsdiplomat zum Aushängeschild seines Landes. Vor allem in Polen geniesst er einen hervorragenden Ruf. Präsident Selenski hat hohe Erwartungen an ihn.

Gleich neun neue Ministerinnen und Minister hat das ukrainische Parlament seit Mittwoch auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Es ist die grösste Regierungsumbildung seit Beginn von Russlands Invasion. Der bedeutendste Wechsel erfolgt im Aussenministerium: Dieses leitet neu Andri Sibiha. Der 49-Jährige wird damit neben Wolodimir Selenski zum wichtigsten Repräsentanten seines Landes auf der Weltbühne.

Ganz ohne Nebengeräusche ging der Rücktritt seines Vorgängers nicht vonstatten. Ein erster Versuch, Dmitro Kuleba zu entlassen, war am Mittwoch noch am Widerstand der Parlamentsfraktion von Selenskis Regierungspartei gescheitert. Einzelne Exponenten hatten sich offenkundig am selbstherrlichen Stil und an der mangelnden Kommunikation gestört, mit denen der Präsident und sein Berater Andri Jermak das Kabinett umbauten. Erst nach einem persönlichen Treffen und einigen Anpassungen war der Weg frei für die Abstimmung.

Einflussreicher Aussenpolitiker hinter den Kulissen

Der neue Aussenminister Sibiha ist einer breiteren Öffentlichkeit bis jetzt zwar unbekannt. Hinter den Kulissen laufen bei ihm aber seit drei Jahren viele Fäden zusammen. Damals holten ihn Selenski und Jermak als aussenpolitischen Strategen und Redenschreiber in die mächtige Präsidialverwaltung. Im April 2024 wurde der Westukrainer Stellvertreter von Kuleba. Beobachter in Kiew werteten diesen Wechsel schon damals als Zeichen, dass Sibiha als Nachfolger Kulebas in Position gebracht werde.

Der verheiratete Vater dreier Kinder hat eine klassische Diplomatenkarriere hinter sich. Während seines Studiums in Iwano-Frankiwsk im Bereich internationale Beziehungen spezialisierte er sich auf Übersetzungen und Rechtsfragen. 1997 trat er ins Aussenministerium ein. Sibiha, der perfekt Englisch und Polnisch spricht, diente acht Jahre lang in Warschau und leitete vier Jahre lang die Konsularabteilung des Ministeriums in Kiew. Bis zum Wechsel in die Präsidialverwaltung 2021 war er fünf Jahre lang Botschafter in der Türkei. Skandale produzierte Sibiha keine. Laut seiner öffentlichen Vermögensdeklaration verdiente er letztes Jahr umgerechnet 11 400 Franken und besitzt ein kleines Sparkonto sowie eine Wohnung.

Gerade in Ostmitteleuropa hat der Berufsdiplomat einen guten Ruf. Bartosz Cichocki, ein ehemaliger polnischer Botschafter in der Ukraine, lobte Sibiha als starken Verbündeten, der Polen hervorragend kenne. Ein weiterer Gesprächspartner erzählt, er habe mit dem Ukrainer zu Beginn des Krieges bei der Koordination von Flüchtlingsströmen und Waffentransporten eng zusammengearbeitet. Sibiha traf auch mehrmals Delegationen aus den USA.

Als Ansprechperson, so heisst es, sei er wegen seines direkten Drahts zu Selenski wichtig gewesen. In Kiew wird diese Nähe zur Präsidialverwaltung zwar durchaus kritisch gesehen. Allerdings gilt es als offenes Geheimnis, dass die Aussenpolitik bereits bisher dort konzipiert wurde: Deren Leiter Jermak begleitete Selenski auf seinen Reisen und galt etwa als treibende Kraft hinter der Bürgenstock-Konferenz auf ukrainischer Seite.

Selenski erhofft sich von Sibiha mehr westliche Waffen

Der nun abgesetzte Aussenminister Kuleba war in seinem Wirkungskreis zuletzt ziemlich eingeschränkt. Laut ukrainischen Medien kümmerte er sich noch primär um den sogenannten globalen Süden, während das Trio Selenski, Jermak und Sibiha die Beziehungen zu den wichtigsten westlichen Partnerländern pflegte.

Uneinig sind sich Beobachter, ob die drei Kuleba aus dem Amt drängten oder dieser selber kürzertreten wollte, zumal auch er als sehr loyal gegenüber dem Präsidenten galt. Laut diplomatischen Quellen soll er einen Botschafterposten übernehmen, möglicherweise bei der Nato. Dies würde allerdings jenen gezielt gestreuten Meldungen widersprechen, wonach ihn Selenski entliess, weil er zu wenig erfolgreich um neue Langstreckenwaffen des Westens warb. Von Sibiha erhofft sich der Präsident hier dank dessen guten Beziehungen mehr Resultate.

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