Donnerstag, Oktober 10


Stilkritik

Weder Fisch noch Vogel: Modehybriden wie der neue Loafer von New Balance und Junya Watanabe polarisieren. Und sie sagen einiges darüber aus, was für Ansprüche heute an die Mode gestellt werden.

Eine Zeitlang war die Mode ehrlich bis ins Mark. Die Leute, Corona-erschöpft und Home-Office-verwöhnt, verlangten nach Schlafanzügen, Daunendecken und kuscheligen Hausschuhen für draussen. Sollten sie haben. Dann drehte sich der Wind aber wieder. Was zu erwarten war.

Statt wie ein wohlhabender Digital Nomad auszusehen, wollte man plötzlich den distinguierten, klassischen «Old Money Look», wie ihn britische Adelige oder Familien wie die Kennedys tragen. Zu diesem Stil gehören etablierte Stücke wie ein Trenchcoat, Lederloafer und Anzüge, denen man im besten Fall ansieht, dass sie aus dem Schneideratelier stammen, nicht von der Stange. Als Beispiel für den Look wird gerne auch die HBO-Serie «Succession» genannt. Typische Brands sind Ralph Lauren, Tommy Hilfiger, Loro Piana.

Das sind alles gute Investitionen, die Teile halten lange und kommen sicher wieder einmal aus der, aber genauso sicher auch wieder in Mode. Das Problem nur: Sie haben ein anderes Tragegefühl als die Schluffi-Klamotten, an die sich viele mittlerweile gewöhnt haben. Ein rahmengenähter Lederschuh braucht seine Zeit, bis das Leder weich ist, bis er sich dem Fuss angepasst hat. Und er wird sich nie so wolkig anfühlen wie ein gefederter Laufschuh. Auch Anzüge aus klassischen Wollstoffen fühlen sich anders an als eine Jogginghose, sie verlangen nach einer anderen Haltung, nach anderen Bewegungen.

Hybride zwischen Sport und Klassik sind gefragt

Das scheint einige Menschen vor ein Dilemma zu stellen. Man will nicht verzichten, weder auf den Look noch auf den Komfort. Man hat sich daran gewöhnt, dass die Kleidung sich dem Körper anpasst, nicht umgekehrt. Und man erwartet, stets zu bekommen, was man will. Schliesslich ist vieles, worauf man früher warten musste, heutzutage problemlos verfügbar: Die nächste Folge der Lieblingsserie wird gestreamt, das ersehnte Sushi geliefert, und die Kleidungsstücke und Accessoires grosser Marken sind am Tag nach Bestellung im Briefkasten, selbst im kleinsten Dorf.

Diese Anspruchshaltung bringt die Modebranche einerseits dazu, ihre Produkte künstlich zu verknappen. Und andererseits, Hybride zu kreieren. Das neuste Beispiel: der «New Balance × Junya Watanabe»-Sneaker, der gerade auf den Laufstegen für Herbst/Winter gezeigt wurde. Er verschmilzt das Design und den Aufbau des etablierten Sneakermodells «New Balance 1906R» mit der Form eines klassischen Pennyloafers.

Funktional und bürotauglich

Vom Prinzip her ist das nicht neu. Gerade in der Herrenmode wird schon lange versucht, ebenso funktionale wie bürotaugliche Kleider und Accessoires zu entwickeln. Man denke an den klassischen Herrenmantel mit herauszippbarem Daunenkragen, Businesshemden aus knitterfreiem Stretchstoff oder traditionelle Herrenschuhe mit sportlicher Sohle. Auch die Verbindung von High Fashion und Sport gab es bei Schuhen schon: Isabel Marant kreierte einen Sneaker mit Keilabsatz, und Marni setzte auf Sneaker-Mary-Janes.

Damals ging es aber vor allem darum, modische Aussagen zu hinterfragen. Zu provozieren, zu spielen. Obwohl der Keilabsatz natürlich an sich schon ein Schritt hin zu mehr Bequemlichkeit war, war das oberste Ziel nicht, die Komfort-Ansprüche einer an die Fluffigkeit von UGG-Boots gewöhnten Kundschaft zu befriedigen.

Heute spielt der Anspruch an Bequemlichkeit mit, und die Auswahl dafür passender Schuhhybriden wird immer grösser: Man hat die Wahl zwischen Puma-Ballerinas, Mules von Nike × Martine Rose oder Spangenschuhen von Ganni mit Outdoor-Sohle. Zur Selbstverständlichkeit sind sie dennoch längst noch nicht geworden. Die Reaktionen auf den neuen «New Balance × Junya Watanabe»-Sneaker zeigen einmal mehr, dass die Verbindung von sportlichen zu klassischen Elementen zwar nicht mehr schockiert, aber tatsächlich noch immer polarisiert.

«Das muss aufhören!»

Begeisterte schreiben auf Instagram, sie hätten auf diesen Schuh gewartet, hoffen darauf, dass er bald lanciert wird, wollen ihn unbedingt haben. Laut sind aber auch die negativen Stimmen: Chris Black, Kreativ-Consultant und Host des populären Podcasts «How Long Gone», vermeldet auf X : «This has to stop». Und auf Instagram findet jemand, sie sähen aus wie von einem Dorfmarkt.

Nun ja, da ist etwas dran: Aus dem Zusammenhang, also dem Outfit gerissen, ist das Modell tatsächlich nur etwas für Fortgeschrittene im Ugly-Chic. In Kombination mit der geradlinigen Mode des Japaners Junya Watanabe weckt er durchaus Begehrlichkeiten. Was darauf hinweist, dass die Zeit des Ugly-Chics noch nicht vorbei ist.

Gut möglich, dass der avantgardistische Designer den fragwürdigen Look des Sneakers ironisch meint. Diese Modebewegung ist eng verknüpft mit dem «Athleisure»-Trend. Sie will aber mehr als nur bequem sein: Seit bald Jahrzehnten reizt sie aus, was guter Geschmack ist. Das hat durchaus etwas Elitäres: Wer die oft seltsam anmutende Mode versteht, gehört dazu.

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