Dienstag, Oktober 22

Nach mehr als 34 Jahren hat das japanische Leitbarometer heute Donnerstag auf einem neuen Allzeithöchst geschlossen. Trotz erster warnender Stimmen dürfte die Erfolgsgeschichte noch nicht vorbei sein.

12’473 Tage. Das sind 34 Jahre, ein Monat und 24 Tage. So lange dauerte es, bis das japanische Leitbarometer Nikkei 225 sein bisheriges Allzeithöchst überwinden konnte. In Berlin fiel kurz davor die Bauer, in der US-Hitparade stand Phil Collins mit «Another Day in Paradise» zuoberst, als der Nikkei am 29. Dezember 1989 im Tagesverlauf auf 38’957,44 Punkte vorstiess.

Was damals angesichts der herrschenden Partystimmung niemand ahnte: Es war der Beginn einer langen Leidensgeschichte für die japanische Wirtschaft und Börse. Mit dem heutigen Vorstoss auf über 39’000 Punkte hat der Nikkei dieses Kapitel nun beendet.

Nach dem Platzen der Aktienmarkt- und der gleichzeitig auftretenden Immobilienblase erlebte das Inselreich Jahrzehnte des deflationären Drucks und der Stagnation. Bis zu seinem vorläufigen Tiefst im April 2003 büsste der Nikkei rund 80% ein. Ein erster längerer Erholungsversuch folgte erst, als der damalige Premier Junichiro Koizumi in den Nullerjahren Reformen einleitete, den riesigen staatlichen Schuldenberg abbauen wollte und die Post privatisierte.

Zwischen 2003 und 2007 legte der Nikkei 140% zu, nur um danach während der globalen Finanzkrise auf ein neues Tiefst einzubrechen. Während sich der von MSCI berechnete Weltaktienmarkt, angetrieben von den US-Börsen, ab 2009 erholen konnte, dümpelte das japanische Leitbarometer vier Jahre auf tiefem Niveau vor sich hin.

Die Wende kam mit Premier Shinzo Abe, der kurz nach Amtsantritt im September 2012 seine nach ihm benannte Politik der drei Samurai-Pfeile ankündigte, die auf einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik sowie Strukturreformen beruhte. Während die ersten beiden Pfeile sofort abgeschossen wurden und die Börse anfänglich auch belebten, haperte es lange mit dem Umsetzen der so dringend benötigten Strukturreformen.

Strukturreformen wirken

Das änderte sich 2014 mit Einführung des Stewardship Code und des Corporate Governance Code im Folgejahr. Nachdem sich japanische Unternehmen wegen ihrer Kreuzbeteiligungen jahrzehntelang um die Interessen der Publikumsaktionäre foutiert, haufenweise Cash gehortet und sich nicht um eine ansprechende Verzinsung des eingesetzten Kapitals gekümmert hatten, begannen sie, überschüssige Mittel über Dividenden und Aktienrückkäufe an die Aktionäre zurückzuführen. Und dies, ohne dass sie ihre Bilanz strapazieren, wie das in den USA teilweise geschehen ist.

Im Januar 2023 hat die Tokyo Stock Exchange nachgelegt und die kotierten Firmen aufgerufen, eine aktivere Rolle bei der Restrukturierung der Unternehmenslandschaft zu spielen. Zudem wurden Gesellschaften, deren Aktien unter Buchwert notieren, angewiesen, Massnahmen zur Erhöhung ihrer Bewertung vorzuschlagen. Auch dieser Aufruf zielte ziemlich direkt auf eine effizientere Kapitalallokation, indem nicht benötigte Barmittel an die Aktionäre zurückgeführt werden.

Nikkei erneut in einer Blase?

Die erzielten Fortschritte werden nun endlich auch von der Börse gewürdigt. Allerdings gibt es bereits Stimmen, die vor einer neuerlichen Blase in Japan warnen. Zwar hat sich der Kursauftrieb des Nikkei in letzter Zeit stark beschleunigt, und die japanische Börse erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Doch zumindest die Bewertung ist mit einem für dieses Jahr geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 23,7 noch meilenweit vom Niveau von 1989 entfernt. Damals betrug das vorwärtsgerichtete KGV um die 60, und das Grundstück des Kaiserpalasts in Tokio war mehr wert als ganz Kalifornien.

Natürlich schliesst das neue Allzeithöchst einen baldigen Dämpfer nicht aus. Sollte die japanische Notenbank von ihrer ultraexpansiven Geldpolitik abrücken, droht ein sprunghafter Anstieg des Yen, der die Börse ziemlich sicher in Mitleidenschaft ziehen würde.

Dennoch scheint es, als ob in Japan ein neues Zeitalter angebrochen ist, das die dortige Börse über die nächsten Jahre noch weit höher tragen könnte. Dafür spricht, dass ausländische Investoren trotz der Rekordjagd bis vor kurzem Geld aus japanischen Aktien abgezogen haben, und im Inland horten institutionelle Anleger trotz Niedrigstzinsen weiterhin massenhaft Regierungsanleihen, die dereinst in besser rentierende Aktien umgeschichtet werden könnten.

Gut möglich also, dass der aktuelle Billboard-Hot-100-Hit «Lovin On Me» von Jack Harlow nicht das Ende der japanischen Aktienmarktparty einläutet.

Exit mobile version