Donnerstag, Oktober 10

Zwei Nobelpreise gehen dieses Jahr an KI-Forscher. Einer davon ist verdient, der andere ein gescheiterter Versuch, zeitgemäss zu sein.

Jetzt hätte man nur noch den Nobelpreis an Chat-GPT verleihen müssen. Dieser Gedanke kam einem, nachdem gestern verkündet worden war, dass der diesjährige Chemienobelpreis an Entwickler von künstlicher Intelligenz (KI) geht – nur einen Tag nachdem der Nobelpreis für Physik an zwei KI-Forscher verliehen wurde.

In der scherzhaften Bemerkung schwingen zwei ernsthafte mit: Wer verdient die Lorbeeren, wenn durch Technologie ein Durchbruch gelingt? Und ist es nicht etwas übertrieben, gleich zwei KI-Preise zu vergeben?

Tatsächlich muss man zwischen den beiden Preisen unterscheiden. Einer ist absolut verdient. Beim anderen ist die Begründung zweifelhafter.

Der Chemiepreis prämiert einen echten Durchbruch

Der Nobelpreis für Chemie ging an Forscher, die eines der grössten Rätsel der Biochemie gelöst haben. Sie haben den räumlichen Bauplan der Proteine entschlüsselt und es geschafft, künstliche Proteine zu erzeugen. Die bringen etwa die Medizin voran. Der Nutzen für die Menschheit, also das, was Alfred Nobel prämieren wollte, ist eindeutig.

Die Forscher David Baker, Demis Hassabis und John M. Jumper haben dafür unter anderem künstliche Intelligenz benutzt. Doch es wäre falsch, zu sagen, dass eine KI den Nobelpreis bekommen hat.

Man kann sich KI als Werkzeugkasten mit vielen Instrumenten vorstellen. Einige der Instrumente haben die Chemiepreisträger klug und mit viel Fachwissen eingesetzt, um das Rätsel der Proteine zu lösen. Damit haben sie den Nutzen von KI-Methoden bewiesen und die Wissenschaft vorangetrieben. Der Preis ist also gut begründet.

Die Begründung für den Physikpreis ist vage und willkürlich

Bei dem Physiknobelpreis sieht die Sache anders aus. Die prämierten Forscher Geoffrey Hinton und John Hopfield haben kein Physikproblem gelöst. Sondern sie haben dazu beigetragen, einige der Instrumente im KI-Werkzeugkasten zu entwickeln.

Die Verleiher betonten, wie wichtig diese Werkzeuge für die heutige Physik seien. Doch mit dieser Begründung hätte man den Forschern genauso gut den Nobelpreis für Medizin verleihen können.

Es wirkt, als habe das Nobelkomitee relevant sein und beim durch Chat-GPT ausgelösten KI-Hype mitmachen wollen – und dann beschlossen, dass Physik die geeignetste Kategorie für einen KI-Nobelpreis sei.

Immerhin kann man den Verleihern zugutehalten, dass einer der beiden prämierten Forscher ursprünglich Physiker war. Und beide nutzten Konzepte aus der Physik für ihre Arbeit an künstlichen neuronalen Netzen – der mathematischen Entdeckung, auf welcher der Grossteil der modernen KI aufbaut.

Man hat den Eindruck, dass unter den vielen Forscherinnen und Forschern, die zu KI beigetragen haben, genau jene ausgewählt wurden, die sich am ehesten in der Physik bedient haben, damit die Preiskategorie passt. Denn aus Sicht der Informatik waren es nicht unbedingt die prämierten Konzepte, die den wichtigsten Beitrag zu KI geleistet haben. Spätere Entdeckungen haben sehr viel besser funktioniert. Aber die hatten noch weniger mit Physik zu tun.

Der Preis will aktuell wirken – und sieht doch alt aus

Viele Physiker haben missmutig auf die Prämierung von KI regiert. Das ist verständlich. Schliesslich gäbe es in ihrem Fachbereich genug Arbeiten, die man hätte belohnen können.

Und im Fachbereich Informatik gibt es eigene Preise. Den berühmtesten davon, den Turing-Award, hat der KI-Forscher Geoffrey Hinton schon im Jahre 2018 gewonnen. Das Komitee des Turing-Awards hatte den Nutzen von neuronalen Netzen und KI eben schon vor Chat-GPT erkannt.

Das Nobelkomitee hoffte wohl, mit dem Physikpreis für KI den Zeitgeist zu treffen. Das Gegenteil ist der Fall. Wie Leute über dreissig, die «cringe» sagen, um hip zu sein, wirkt die Prämierung eher verzweifelt. Das Komitee täte besser daran, sich auf die eigene Aufgabe und Kompetenz zu besinnen und Leute auszuzeichnen, die Grosses zur Physik beigetragen haben.

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