Der Wirtschaftswissenschafter und Gründer der Mikrokredit-Bank Grameen hat sich schon früh politisch betätigt, ein politisches Amt hatte er bisher aber nicht. Nach der Flucht der Premierministerin übernimmt er nun die Übergangsregierung.
Er hatte erst zugesagt, eine Übergangsregierung zu beraten. Nun wird Muhammad Yunus die Übergangsregierung gleich selber leiten – bis in wenigen Monaten in Bangladesh wieder ordentliche und hoffentlich faire Wahlen stattfinden können.
In Bangladesh hat kaum einer eine so hohe Glaubwürdigkeit wie der Wirtschaftswissenschafter, Unternehmer und Friedensnobelpreisträger von 2006. Den Preis erhielt er für die Gründung der Grameen Bank, die er 1983 ins Leben gerufen hat – ein Institut, das mitten in einer Hungerkrise anfing, Mikrokredite an Bangladeshs Arme zu vergeben, damit diese Saatgut kaufen konnten.
Die Grameen Bank entwickelte sich zu einem weltweiten Milliardenunternehmen und wurde dutzendfach kopiert, auch von solchen, die weniger moralische Absichten hegten. Auch Yunus wurde Profitgier vorgeworfen. Doch waren diese Vorwürfe hauptsächlich politisch motiviert. «Ein Blutsauger» sei er, behauptete auch Bangladeshs langjährige Premierministerin Sheikh Hasina, die am Montag fluchtartig das Land verlassen hat. Sie liess jahrelang nichts unversucht, einen ihrer schärfsten und prominentesten Kritiker zu desavouieren und zum Schweigen zu bringen.
Die Regierung drängte ihn aus der Grameen Bank
Immerhin hat sie keines ihrer berüchtigten Todesschwadronen auf ihn angesetzt. Doch die korrumpierte Justiz führte fast zweihundert Prozesse gegen Muhammad Yunus. Im Januar kam es zu einer Verurteilung wegen Verstössen gegen das Arbeitsrecht. Schon 2011 hatte Hasinas Regierung dafür gesorgt, dass Yunus die Geschäftsleitung der Grameen Bank abgeben musste, weil der damals 70-Jährige das ordentliche Rentenalter für Staatsangestellte überschritten habe. Yunus wehrte sich vergeblich dagegen und argumentierte, dass die Bank nicht dem Staat gehöre, sondern dieser lediglich eine kleine Beteiligung habe.
Der Rauswurf war ein Anzeichen dafür, was in den kommenden Jahren in Bangladesh geschehen würde: Hasinas Awami League versuchte für ihre Anhänger eine Pfründe nach der anderen zu sichern. Dafür wurde die Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und die Justiz zur willigen Gehilfin der Regierung degradiert. Schon 2014 konnte von fairen und freien Wahlen keine Rede mehr sein.
Im Juli aber kam es zu Protesten der Studenten gegen eine Quote, die Anhänger der Regierung bei der Vergabe von Stellen im Staatsdienst bevorzugte. Über Wochen stützte der Sicherheitsapparat die Premierministerin. Es gab Hunderte von Toten. In der Nacht auf Montag dann liess das Militär die Premierministerin fallen. Während die Menge Hasinas Amtssitz in Dhaka stürmte und ihren Sturz ausgelassen feierte, floh die Premierministerin nach Indien.
Der Anfang einer «goldenen Ära»?
Wen Yunus ins Kabinett beruft, ist noch nicht bekannt. In einem Gastbeitrag im «Economist» äusserte er die Hoffnung, dass die vielen Studierenden nicht vergeblich ihr Leben gelassen hätten und die Proteste der Anfang für eine «goldenen Ära von Demokratie, Wohlstand und Einigkeit in Bangladesh» sein würden. Er rief dazu auf, dass die Anführer der Studentenproteste nun in der Politik Verantwortung übernehmen sollten. Die jüngste Protestwelle bezeichnet Yunus als die zweite Befreiung Bangladeshs nach der Unabhängigkeit von Pakistan 1971.
Damals hatte Yunus den Kampf im Ausland mitverfolgt. Dank einem Stipendium konnte er in den USA studieren und später doktorieren. Zusammen mit anderen Bangalen gründete er ein Bürgerkomitee. Er habe, schreibt Yunus in seiner Autobiografie, auch auf dem Capitol Hill in Washington für die Unabhängigkeit demonstriert. Kurz nach der Gründung der Republik zog es den Wirtschaftswissenschafter heim. Er nahm eine Professur in seiner Heimatstadt Chittagong im Osten des Landes an und engagierte sich in der neuen Planungskommission zur Bildung einer Regierung.
Es schaute aber kein Posten heraus, der ihn in der Politik behielt. Die Motivation jedoch blieb, sich für das Land zu engagieren. So wandte er sich zunehmend der Erforschung von Armut zu und gründete soziale Unternehmen, um sie zu bekämpfen. Nun, so scheint es, ist seine Zeit in der Politik gekommen.

