Donnerstag, Oktober 10

Am Dienstag brannte die Börse in Kopenhagen. Vor fünf Jahren hatte der Brand der Pariser Notre-Dame ähnlich emotionale Reaktionen hervorgerufen. Was macht das Gebäude so ikonisch?

Selten wurde in Dänemark so emotional über Architektur gesprochen. Als am Dienstag die Kopenhagener Börse in Flammen stand, war die Bevölkerung bestürzt. Das Gebäude sei überlebenswichtig, hiess es. «Es ist völlig unerträglich. Ich kann es in meiner Brust und in meinem Magen spüren», zitierte die dänische Tageszeitung «Politiken» die ehemalige Stadtarchitektin Camilla Richter-Friis van Deurs. Auch der dänische König meldete sich zu Wort. Ein wichtiger Teil des architektonischen Erbes stünde in Flammen, so König Frederik der X.

Am Dienstag hat ein Feuer fast die Hälfte des 400 Jahre alten Gebäudes zerstört. Grosse Flammen loderten empor, Rauchwolken waren auch in der Ferne zu sehen. Wegen Renovationsarbeiten war das ganze Gebäude von einem Baugerüst umhüllt, das während des Feuers zusammenstürzte. Der Brand der 56 Meter hohen ikonischen Turmspitze schmerzte die Dänen besonders. Sie glühte zuerst rotorange auf, bevor sie auf die Strasse niederstürzte. Ein Journalist schrieb, dass Passanten aufgeschrien hätten, als der brennende Turm zu Boden fiel.

Eine Ikone steht in Flammen

Der Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen nannte den Brand «unseren eigenen Notre-Dame-Moment». Am 15. April 2019, vor fast genau fünf Jahren, war in der Pariser Kathedrale ein Grossbrand ausgebrochen. Auch damals waren die Reaktionen voller Pathos. Macron schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: «Wie alle unsere Landsleute bin ich an diesem Abend traurig, diesen Teil von uns brennen zu sehen.»

Dänemark wirkt ähnlich ergriffen. Am Dienstag begann der Architekturkritiker Karsten Ifverson seinen Artikel in der Zeitung «Politiken» mit den Worten: «Es tut weh, dies zu schreiben.» Und Holger Dahl schrieb in der Tageszeitung «Berlinske», dass die Dänen am Dienstag ihr «nationales Herzblut» verloren hätten. Was macht die Börse zu einer solchen Ikone?

Dänemark ist ein kleines Land. Nur eine Handvoll von Gebäuden bildeten den Kern des baulichen Erbes, so Ifverson. Die Börse sei eines davon. Er schreibt: «Es ist ein Gebäude, ohne das wir nicht leben können.»

Niederländische Renaissance in Dänemark

Die «Børsen», wie das Gebäude auf Dänisch heisst, steht auf der Insel Slotsholmen, mitten in der Innenstadt Kopenhagens. Slotsholmen ist seit dem Mittelalter das Machtzentrum des Landes, das Schloss Christiansborg steht direkt neben der Börse. Das längliche Gebäude wurde 1620 bis 1624 im Auftrag von Christian IV., König von Dänemark und Norwegen, gebaut. Es sollte Kopenhagen in ein Finanz- und Handelszentrum verwandeln. Der König beauftragte Lorenz van Steenwinckel als Baumeister, nach dessen Tod übernahm sein Bruder Hans van Steenwinckel der Jüngere. Beide waren Söhne des flämischen Baumeisters Hans van Steenwinckel, der die niederländische Renaissance nach Dänemark brachte.

Die Börse ist ein opulenter Bau. Obwohl das Gebäude nur viergeschossig ist, wirkt es mit seiner Länge von 127 Metern mächtig. Die rote Fassade aus Ziegelsteinen ist mit Fensterstürzen, Säulen, Bordüren und Ornamenten aus hellem Sandstein verziert. Auf dem kupfernen Satteldach sitzen markante Giebel, die an die Architektur niederländischer Städte erinnern. Besonders auffällig war der Turm, der mittig auf dem Gebäude sass.

Der Drachenturm

Die Dänen tauften den spindelartigen Turm «dragespiret», dänisch für Drachenturm. Am Fuss des Turms sitzen kopfüber die Skulpturen von vier Drachen, deren Schwänze sich umeinander in die Höhe wickeln. Am höchsten Punkt sassen drei Kronen, ein Symbol für die Union zwischen Norwegen, Dänemark und Schweden. Durch den Turm war das Gebäude schon vom Hafen aus sichtbar, er machte die Börse zum Wahrzeichen der Stadt. 1857 wurde sie als erstes Gebäude Dänemarks unter Denkmalschutz gestellt.

Laut Stadtmythologie soll ausgerechnet der Drachenturm, der am Dienstag als glühender Stab in die Tiefe stürzte, die Börse vor Feuer beschützen. Der Drachenturm war einst von einem Feuerwerksmeister entworfen worden, so schrieb man dem Turm besondere Kräfte zu. Er sollte vor Feuer und Feinden schützen. Und tatsächlich überlebte die Börse bisher alle grossen Brände der Stadtgeschichte.

Der Wiederaufbau ist beschlossen

Die Börse wurde bis in das 19. Jahrhundert als Warenbörse genutzt, bis 1974 diente sie als Aktienbörse. Seither beherbergt der Bau Büros der dänischen Handelskammer. Seit Beginn des Jahres 2024 wurde die Börse saniert. Die Arbeiten sollten Schäden einer Restaurierung aus dem 19. Jahrhundert korrigieren und der Fassade ihr historisches Antlitz zurückgeben. Er könne es kaum ertragen, dem Feuer zuzusehen, zitierte «Politiken» den zuständigen Architekten Leif Hansen.

Die Ursache des Brands ist noch immer unklar, die Löscharbeiten waren auch am Mittwoch noch nicht abgeschlossen. Teile der Tragstruktur seien zerstört worden, meldeten die Rettungskräfte. Immerhin aber konnte die äusserste Spitze des Turms gerettet werden. Am Mittwoch wurde sie Brian Mikkelsen, dem Chef der Handelskammer, überreicht. Der metallene Abschluss des Turms überlebte die Flammen und den langen Sturz. Es sei «ein kleines Licht in der Dunkelheit», schrieb Mikkelsen auf X.

Die Frage, ob die Börse wiederaufgebaut werden soll, stellt sich laut Mikkelsen nicht. Der Vorstand habe den Aufbau bereits beschlossen. Die Frage sei einzig, wann, und wie hoch die Kosten seien. Gegenüber der «Politiken» schätzte die ehemalige Kopenhagener Stadtarchitektin Richter-Friis van Deurs, dass zum Wiederaufbau rund eine Milliarde dänische Kronen, rund 134 Millionen Euro, benötigt werden. Der Wiederaufbau von Notre-Dame kostete 846 Millionen Euro. Die Arbeiten an der Kathedrale sind fast abgeschlossen.

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