Donnerstag, Dezember 26

Er muss dafür sorgen, dass die AHV immer genug Geld hat, um alle Renten auszuzahlen: Eric Breval, der Direktor von Compenswiss. Kurz vor den Abstimmungen über das Sozialwerk ist er beunruhigt.

Wie weiter mit der AHV, den Renten und dem Rentenalter? Der lebhafte Abstimmungskampf um die beiden Initiativen, die am 3. März an die Urne kommen, illustriert die enorme Bedeutung der AHV für die soziale Sicherheit in der Schweiz, für die Generationengerechtigkeit – ja, für die Identität des Landes überhaupt.

Doch die AHV ist nicht nur ein grosses Sozialwerk, sondern auch eine imposante Maschine. Jeden Werktag überweisen die Ausgleichskassen im Durchschnitt 180 Millionen Franken an Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz und im Ausland. Man stelle sich vor, die AHV hätte eines Tages ein Problem mit der Liquidität. Sie könnte nicht alle Renten pünktlich auszahlen. Ein Horrorszenario.

Der Mann, der das verhindern muss, heisst Eric Breval. Er ist der Direktor von Compenswiss, einer unabhängigen Anstalt des Bundes in Genf. Breval und seine Leute verwalten die Vermögen der drei grossen Sozialversicherungen: AHV, Invalidenversicherung (IV) sowie Erwerbsersatz bei Mutterschaft und Militärdienst (EO). Im Zentrum stehen zwei Aufträge: Es müssen immer genügend flüssige Mittel vorhanden sein. Und die 40 Milliarden Franken, die sich heute gesamthaft in den drei Ausgleichsfonds befinden, sollen optimal angelegt werden.

Und wenn die Zeit nicht reicht?

Was sind nun aus Sicht der Techniker im Maschinenraum der AHV die Folgen, wenn am 3. März die eine oder andere Vorlage angenommen wird? Realistisch ist dies vor allem bei der Initiative der Gewerkschaften, die wollen, dass die AHV allen heutigen und künftigen Pensionierten dreizehn statt zwölf Monatsrenten auszahlen muss.

Compenswiss muss politisch neutral sein, darf keine Stellungnahme für oder gegen eine Abstimmungsvorlage abgeben. Auf Anfrage der NZZ erklärt sich der Direktor Breval jedoch bereit, die technischen Konsequenzen zu erläutern, mit denen zu rechnen ist, wenn diese Initiative tatsächlich angenommen wird.

Eines schickt er voraus: Entscheidend sei nicht, wie viele Renten die AHV auszahlen müsse, sondern das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Initiative der Gewerkschaften äussert sich nur zum einen Teil: zu den Ausgaben. Diese würden mit der zusätzlichen Monatsrente am Anfang um etwa 4 Milliarden Franken im Jahr zunehmen, danach würden die Mehrausgaben rasch 5 Milliarden und mehr betragen. Woher das Geld kommen soll – höhere Mehrwertsteuer, höhere Lohnbeiträge, höheres Rentenalter? –, lässt die Initiative offen. Das sei «sehr beunruhigend», sagt Breval. «Höhere Renten zu beschliessen, ohne die Finanzierung zu regeln, ist gefährlich.»

Bei einer Annahme der Initiative müssten Bundesrat und Parlament entscheiden, wer für den AHV-Ausbau aufkommen muss. Viel Zeit bliebe nicht: Der Initiativtext legt verbindlich fest, dass die zusätzliche Rente spätestens ab 2026 ausbezahlt werden muss. Ob Bundesbern bis dahin eine mehrheitsfähige Vorlage zustande bringen würde, ist ungewiss. Normalerweise brauchen solche Reformen mehr Zeit. Zudem müsste die Vorlage nicht nur die Finanzierung der dreizehnten Rente festlegen, sondern auch der Fehlbeträge, die schon heute – ohne Ausbau – absehbar sind.

AHV-Fonds müsste Wertpapiere abstossen

Und damit nicht genug: Gegen die Vorlage könnte das Referendum ergriffen werden. Es gäbe eine erneute Volksabstimmung. Je nach Ausgang wären längere Verzögerungen denkbar. Die AHV aber wäre derweil verpflichtet, die höheren Renten auszuzahlen. Keine einfachen Aussichten für die AHV-Vermögensverwalter. Es sei seine Pflicht, alle Szenarien durchzuspielen, sagt Eric Breval.

«Unsere Sorge ist, dass die Zusatzeinnahmen erst nach einigen Jahren kommen.» Die Erfahrung lehre, dass politische Prozesse hierzulande oft länger dauerten als angenommen, gerade wenn es um die AHV gehe. Breval hält deshalb ein Szenario für plausibel, in dem das Sozialwerk die zusätzlichen Renten in den ersten Jahren auszahlen muss, ohne im Gegenzug höhere Einnahmen zu erhalten. In diesem Fall würde die AHV vom ersten Jahr an mehr ausgeben als einnehmen, die Defizite würden in den folgenden Jahren rasch zunehmen. Die Reserven würden schrumpfen, laut dem Bund von 2026 bis 2033 von 47 auf 29 Milliarden Franken (AHV-Vermögen ohne Schulden der IV).

In diesem Fall müsste Compenswiss handeln, müsste dazu übergehen, Aktiven des AHV-Fonds zu verkaufen, um weiterhin immerwährende Liquidität garantieren zu können. Breval spricht von einem Volumen von mehreren hundert Millionen Franken im Monat. In diesem Umfang müssten die Fondsverwalter Wertpapiere veräussern, auch wenn der Zeitpunkt dafür womöglich nicht optimal wäre.

Weniger Sicherheit, weniger Rendite

«Das wäre eine sehr unangenehme Situation, die wir aber bereits kennen», sagt der Compenswiss-Chef. 2018 und 2019 mussten seine Leute phasenweise Wertpapiere für 125 Millionen Franken pro Monat verkaufen, damit die Ausgleichskassen immer genug Geld hatten. Der Grund damals: Die geplante Reform liess auf sich warten.

«Solche Übungen sind heikel», betont Breval. Nicht nur, weil die AHV die Papiere allenfalls in einem schlechten Augenblick verkaufen muss. «Darüber hinaus müssten wir unsere Anlagestrategie grundsätzlich anpassen und vorsichtiger agieren.» Breval holt aus: Zurzeit ist die kurzfristige Finanzlage der AHV bis 2030 stabilisiert. Das kommt nicht von ungefähr, in den letzten Jahren sind mehrere Schritte gelungen: Zugunsten des Sozialwerks wurden die Lohnbeiträge, die Mehrwertsteuer und das Rentenalter der Frauen erhöht.

All dies führte dazu, dass Compenswiss besser kalkulieren und höhere Erträge anvisieren konnte, weil der Anlagehorizont sich verlängert hat. «Wenn nun aber neue Unsicherheiten und Defizite hinzukommen, müssen wir umdisponieren und auf mögliche Renditen verzichten», sagt Breval. Für die Finanzierung der Renten sind die Renditen zwar nicht entscheidend, da die AHV primär von Lohnbeiträgen und Steuern finanziert wird.

Einen gewissen Beitrag leisten die Kapitalerträge aber durchaus: In den letzten zehn Jahren betrugen sie kumuliert über 8 Milliarden Franken. Mit anderen Worten: Wäre das Vermögen in dieser Zeit nur halb so gross gewesen, hätte die AHV 4 Milliarden weniger eingenommen.

Länger arbeiten und mehr bezahlen

Entscheidend ist letztlich, dass man im Wissen um die Kosten entscheidet. Die aktuellen AHV-Perspektiven des Bundes reichen bis 2033. Um das Sozialwerk inklusive 13. Rente in dieser Zeit zu finanzieren, gibt es realistischerweise drei Möglichkeiten:

  • Mehrwertsteuer: Erhöhung von 8,1 auf etwa 10 Prozent (Normalsatz) 
  • Lohnbeiträge: Erhöhung von 8,7 auf über 10 Prozent 
  • Rentenalter: Erhöhung von 65 auf über 67 Jahre

Das wären schmerzhafte Massnahmen, doch sie würden nicht lange ausreichen, weil die Finanzierungslücken nach 2033 weiter zunehmen. Gemäss Berechnungen des Bundes müsste bis 2050 in einem mittleren Szenario die Mehrwertsteuer von 8,1 auf 11,5 Prozent erhöht werden oder die Lohnbeiträge von 8,7 auf 11,3 Prozent.

«Das kann man alles machen», sagt der Compenswiss-Direktor Eric Breval. Aus einer rein technischen Sicht sei es jedoch besser, man würde gleichzeitig mit dem Ausbau auch über dessen Finanzierung entscheiden.

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