Mittwoch, April 16

Hubacher ist ein Sonderling des Schweizer Sports, ein seltenes Multitalent. Er erklärt zum 85. Geburtstag, warum ihn das Bob-Gold von Sapporo gar nicht so gefreut hat und wie er mit dem Verschwinden seines Sohnes umgegangen ist.

Es kommt vor, dass Edy Hubacher eine Nachricht mit den kryptischen Worten einleitet: «Auch du, mein Brutus?» Ja, Hubacher wurde in der Schweiz nicht nur bekannt als Bob-Olympiasieger von 1972, sondern auch als «Rätselonkel der Nation». In den vergangenen sechzig Jahren hat er für Zeitschriften wie den «Nebelspalter» unzählige Kreuzworträtsel kreiert.

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Der Berner war zudem Co-Moderator der Sendung «Radio-Musik-Box». Und spielte einen Leibwächter in der Verfilmung von Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker». Von alldem konnte Hubacher seine Familie aber nicht ernähren, also arbeitete er die meiste Zeit als Dorfschullehrer. Und machte in etlichen Vereinen mit. Ein echtes Multitalent eben.

Die NZZ wollte mehr aus diesem Leben erfahren. Auch, weil Brüche Hubachers Biografie kennzeichnen, die Fragen aufwerfen. Warum freute er sich nicht bedingungslos über seinen Olympiasieg, bei dem er mit dem noch berühmteren «Hausi» Leutenegger im Schlitten sass? Und wie geht er damit um, dass sein Sohn Marc seit knapp vierzig Jahren als verschollen gilt?

Hubacher lädt nach Moosseedorf in die «Villa Kunterbunt», wie er das Viergenerationenhaus seiner Familie nennt. Er redet gut vier Stunden lang, kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Es gibt Annekäti-Tee, ein Spezialgetränk seiner Frau, und es scheint ein unterhaltsames Interview zu entstehen.

Doch es wäre untypisch für Hubacher gewesen, hätte er beim Gegenlesen der Zitate den Journalisten auf Anhieb die Lösungen für seine Problemstellen präsentiert. Die Verhandlungen mit ihm über Begrifflichkeiten erstrecken sich über dreizehn Monate – er gibt immer noch gerne Rätsel auf. Doch nun, pünktlich zu seinem 85. Geburtstag am Dienstag, hat Hubacher seine Aussagen endlich gutgeheissen.

Erzieher des kantigen Ski-Weltmeisters Peter Müller

Manchmal scheint sich Hubacher als Grossvater oder Hirte des Schweizer Sports zu verstehen, der immer noch über Gepflogenheiten wacht. Und einmal hatte er einen besonders kniffligen Fall zu lösen, als er an einem Tennismatch auf den kantigen früheren Skirennfahrer Peter Müller traf. Hubacher sagt: «Ich habe ihn erzogen.»

Und das soll sich so zugetragen haben: Müller fluchte nach jedem verlorenen Punkt. Und das sei ihm, Hubacher, auf den Geist gegangen. Also sagte er Müller, so mache es keinen Spass. Der Abfahrtsweltmeister beschwichtigte, sein Ärger gelte nur ihm selbst. Und der Match sei besser geworden. Am Ende sei sogar so etwas wie eine Freundschaft entstanden, nachdem Müller den Parkschein verloren und ihm vorgeschlagen habe, sie könnten ja beide mit seinem Ticket unter der Barriere hindurchfahren. Das habe wunderbar funktioniert.

Emotionaler wird Hubacher, als es um einen anderen Prominenten geht. Zu seinem Verhältnis zu Hausi Leutenegger möchte er zunächst eines klarstellen: «Ich bewundere ihn.» Er sei über hundert Mal auf der Strasse angesprochen worden: «Gället, dir syt mit em Housi Bob gfahre?», und das hätten Leute gefragt, die Leutenegger als Patron seines Unternehmens gekannt hätten und voll des Lobes für ihn gewesen seien. Nur kläre er dann jeweils auf, wer wirklich mit wem Bob gefahren sei.

Laut Hubacher war es so: Sie seien ein eingespieltes Viererbob-Team gewesen, der Pilot Jean Wicki und die drei Anschieber, die sich aus dem Leichtathletik-Zehnkampf kannten, Roland Sedleger, Werner Camichel und er. Vor Beginn der Olympiasaison, am Anlass der «Nacht des Schweizer Sports» im Zürcher Hallenstadion, massen sich die Bobfahrer dann auf altmodischen Velos auf der Rennbahn, bei einer Art Jux-Wettkampf. Prompt stürzte Sedleger und verletzte sich am Ellenbogen.

Hubacher berichtet, «Sedi» habe sich gut erholt. Und für die Winterspiele in Sapporo hätte kein Risiko bestanden. Die dortige Bahn sei vergleichsweise einfach zu befahren gewesen. Doch dann sei dieses Arztzeugnis aufgetaucht, das besagte, Sedleger dürfe in Japan «aus Sicherheitsgründen» nicht starten. Sein Ersatzmann: Hausi Leutenegger.

Hubacher tat dies weh, weil er Sedleger einiges zu verdanken hatte. Als Hubacher seine erste Fahrt in einem Viererbob auf der Bahn in St. Moritz absolviert hatte, erlitt er in der Horseshoe-Kurve, in der starke g-Kräfte auf den Körper einwirken, ein Blackout. Der vor ihm sitzende Sedleger sei geistesgegenwärtig auf seinen Schoss gehockt, um im Ziel den Schlitten zu bremsen, sonst wären sie in Celerina vermutlich auf dem Dach eines Porsches oder Ferraris gelandet.

In Sapporo vermisste Hubacher Sedleger. Und er machte sich Sorgen um den Fitnesszustand des nachgerückten Leutenegger. «Hausi war gesundheitlich angeschlagen. Beim Aufwärmen wurde er nie gesehen», erzählt Hubacher.

Leutenegger bestätigte 2022 in der «NZZ am Sonntag», dass er sich vor der Reise nach Japan bei Stürzen in St. Moritz Prellungen und Verbrennungen zugezogen habe, der kleine Finger an der linken Hand sei zertrümmert gewesen – seither trägt er dort keinen Ring mehr. Kam hinzu, dass der Wicki-Vierer ausgerechnet an Olympia erstmals in dieser Besetzung zu einem Wettkampf antrat. Doch es geschah, was manche kaum für möglich gehalten hatten: Das Team gewann Gold.

Leutenegger sagte später, seine Lockerheit habe Wicki, der hie und da Nervenschwäche offenbarte, womöglich gutgetan. Und Hubacher gesteht Leutenegger zu: «Wenn wir im Bus auf den Mount Teine fuhren, an dem die Bobrennen stattfanden, wusste uns Hausi mit seinen Geschichten zu unterhalten. Auch ich musste lachen.»

Doch Hubachers Freude war gedämpft, auch weil er sich ärgerte, dass er mit Wicki im kleinen Schlitten nur Bronze errungen hatte. «Wir hätten auch im Zweier siegen müssen», sagt er. Im ersten Lauf sei Schnee gefallen, und er frage sich noch heute, weshalb die Jury vor ihrem Einsatz das Rennen unterbrochen und in acht Sprachen verkündet habe, wer später zur Dopingkontrolle müsse. Dadurch hätten sich die Bedingungen für sie arg verschlechtert. Wicki sei darob nervös geworden und er selbst dermassen wütend, dass er den Bob beim Anschieben aus der Spur gehoben habe. Das kostete Zeit.

Zeuge bei Beamons Jahrhundertsprung

Nach den Spielen 1972 schenkte Hubacher sein Vierer-Gold dem Olympischen Museum in Lausanne. Leutenegger fing sich noch in Japan eine doppelte Lungenentzündung ein und konnte erst mit Verspätung heimreisen. Zurück in der Schweiz, wollte er seinen Triumph ausschlachten, sein Team wurde in einem goldenen Mercedes durchs halbe Land kutschiert.

Hubacher erzählt: «Hier ein Fest, da ein Empfang. Dabei hätte ich lieber für den kommenden Sommer Leichtathletik trainiert. Die Olympischen Spiele in München standen an.» Er hatte überdies einen Job im Aussendienst seines Ausrüsters Puma übernommen, in dem er oft auf der A 1 unterwegs war. Das zehrte an seiner Energie, die Olympiaqualifikation für München verpasste er.

Doch da war kein Gram. Denn vier Jahre zuvor hatte er in Mexiko Sommerspiele als Kugelstösser und Diskuswerfer erlebt – und da war er mittendrin, als sich Historisches ereignete. Als Bob Beamon direkt vor seinen Augen im Weitsprung der Jahrhundertsatz auf 8 Meter 90 gelang.

Links: Der amerikanische Weitspringer Bob Beamon fliegt an den Sommerspielen 1968 in Mexiko-Stadt 8 Meter 90 weit und stellt damit einen Weltrekord auf.

Rechts: Kurz danach setzt der Regen ein – die amerikanischen Weitspringer Bob Beamon (links) und Ralph Boston schützen sich mit Decken.

Hubacher schildert es so: Durch die Höhenlage von Mexiko-Stadt seien die Verhältnisse ohnehin schon gut gewesen. Dann sei auch noch ein Sturm aufgezogen, der sich angefühlt habe, als herrsche ein Rückenwind von acht Metern pro Sekunde. Beamon habe den richtigen Moment erwischt, bevor der Regen eingesetzt habe.

Wie so oft interessierte sich Hubacher aber auch für denjenigen, der das Nachsehen hatte. Er litt mit Ralph Boston mit, der sich mit Bronze begnügen musste und seinen Weltrekord verlor. Seit einem Meeting in St. Gallen waren die beiden befreundet.

Doch weshalb wurde der Weltrekord homologiert? Hubacher sagt: «Es hiess, die Mexikaner hätten nicht gewollt, dass jemand quasi wegen einer Formalität unglücklich ihr Land verlasse. Deshalb wurde bei allen Rekorden der gerade noch zulässige Rückenwind von 2 Metern pro Sekunde angegeben.»

Mexiko-Stadt 1968, das waren auch jene Spiele, an denen die Sprinter Tommie Smith und John Carlos auf dem Podest den Black-Power-Gruss zeigten. Smith sei er davor einmal an einem Meeting begegnet, sagt Hubacher, «aber er redete kaum mit Weissen. Ich akzeptierte das.»

Hubachers Frau erwartete während der Spiele ihr drittes Kind und bekam zunächst wenig mit von den Abenteuern ihres Gatten, die Familie hatte noch keinen Fernseher. Doch es fand sich eine Möglichkeit zum Austausch: Die Athleten in Mexiko erhielten Kassetten, die sie besprechen konnten und die per Luftpost in die ganze Welt versandt wurden. Im Schulhaus Iffwil hörte Hubachers Familie die Tonbändli ab – und schickte Antworten zurück ins olympische Dorf.

Vier Jahre später in Sapporo war es gemäss Hubacher so: In der Schweiz sei es morgens um 6 Uhr gewesen, als ein Bekannter seine Frau angerufen habe, um mitzuteilen: «Si hei de gwunne!» Annekäti habe sich daraufhin eine TV-Aufzeichnung des Rennens angeschaut. Sie sei vor allem froh gewesen, dass alle heil im Ziel angekommen seien.

Hubacher verrät, dass er noch in einer anderen Sportart hätte Karriere machen können. Vor den Spielen 1968 wollte ihn offenbar ein Agent in die NFL vermitteln, in die höchste Liga im American Football. Infrage gekommen sei ein Engagement als Wide Receiver bei den Dallas Cowboys oder den Los Angeles Rams.

Hubacher hätte Gardemasse mitgebracht: Er war damals etwas über 2 Meter gross, 108 Kilogramm schwer, er lief die 100 Meter in 10,5 Sekunden und stiess die Kugel über die 19-Meter-Marke. «Doch ich wusste schon nach einer Viertelstunde, dass ich absagen würde. Ich war fragil. Aus der Rekrutenschule wurde ich mit einem Rückenleiden entlassen. Nach dem ersten Training in der NFL wäre ich im Spital gelandet.» Seine Sportlerlaufbahn stimmt ihn trotzdem zufrieden, zumal er ursprünglich wegen seines Körpers als «Gstabi» verspottet wurde.

Suchaktion auf den Philippinen

Die grösste Prüfung sollte auf Hubacher aber erst noch warten. Sein damals 23-jähriger Sohn Marc arbeitete mit einer Jugendgruppe an einer Missionsstation auf den Philippinen, um ein Reisfeld anzulegen, ehe er das Inselreich erkunden wollte. Er plante die Besteigung des Vulkans Mount Iriga – was in ein Unglück gemündet haben muss.

Seit dem Valentinstag 1986 gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Bis dahin hatte er jede Woche seine Tagebuchnotizen an die Familie in der Schweiz geschickt, doch plötzlich hörte der Versand auf. Edy Hubachers Stimme wird schwächer, er sagt: «Die Version, mit der wir heute leben, lautet, dass er auf dem Mount Iriga von einem Unwetter überrascht wurde und in den Krater stürzte.»

Damals ging Hubacher in den darauffolgenden Sommerferien den Sohn suchen, begleitet von Journalisten. Er sprach bei einem Kardinal vor und bei amerikanischen Besetzern, die Suchaktion kam ins philippinische Fernsehen – und Hubacher stiess tatsächlich auf Spuren.

Einheimische Jugendliche erzählten ihm, dass sie mit einem freundlichen, grossen, blonden Mann Volleyball gespielt hätten. Weiter oben am Vulkan traf Hubacher auf einen pflügenden Bauern, der berichtete, dass Marc seinem Sohn den Volleyball geschenkt habe. An Marcs Gedenkfeier in Jegenstorf wurde dann die Kollekte für diesen Buben bestimmt. Dieser habe sich damit später ein Studium finanzieren können, sagt Hubacher.

Für Marc steht heute eine Gedenktafel am Ortsrand von Bangerten, wo seine Familie einst wohnte. Direkt neben einer Linde, die Edy Hubacher erhielt, nachdem er als Olympiasieger aus Sapporo zurückgekehrt war. Der damals neunjährige Marc musste beim Empfang die junge Linde halten, damit sein Vater die Hände frei hatte, um Gratulationen entgegenzunehmen.

Hunderternötli ins Gilettäschli

Hubacher betont, seine Familie sei in schweren Stunden sehr von Hausi Leutenegger unterstützt worden. Er sei manchmal vorbeigekommen und habe ihm für jedes Kind ein Hunderternötli ins Gilettäschli gesteckt. Oder er habe sie zu einem Konzert von Udo Jürgens eingeladen. Die Agenda, die Leuteneggers Firma jedes Jahr herausgibt, erhält Hubacher noch immer.

Auch Hubacher engagierte sich wohltätig, aber er hatte ein anderes Verständnis davon, wie man Hilfsbedürftige unterstützt. Er liess sich irgendwo einspannen, auch wenn dabei nur ein Fünfliber herausschaute. Mit Leutenegger verbindet ihn dafür eine Vorliebe fürs Golfen. Obwohl Hubacher seit langem wegen zusammengewachsener Halswirbel rechtsseitig gelähmt ist.

Bei einer solchen Vita erstaunt, dass Hubacher keine Biografie herausgegeben hat. Er sagt, es sei eine geplant gewesen, unter dem Titel: «Ein Leben voller Rätsel». Doch leider sei es mit dem Verlag zu Differenzen gekommen.

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