Gegen den Willen des Hizbullah hat der neue libanesische Präsident Joseph Aoun den Juristen Nawaf Salam mit der Regierungsbildung beauftragt. Der muss nun ein Kabinett zusammenstellen, das möglichst alle politischen Blöcke zufriedenstellt.
Gerade einmal vier Tage nach der Wahl des ehemaligen Armeechefs Joseph Aoun zum libanesischen Präsidenten haben sich die Abgeordneten in Beirut auf den Juristen Nawaf Salam als designierten Ministerpräsidenten geeinigt. Nach intensiven Beratungen signalisierten am Montag 84 von 128 Parlamentariern ihre Unterstützung für den ehemaligen Diplomaten und amtierenden Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Salam erhielt damit entschieden mehr Zuspruch als Najib Mikati, der seit mehr als zwei Jahren als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt ist und ebenfalls kandidierte.
Mikati war vom Hizbullah und von der verbündeten Amal-Bewegung favorisiert worden. Doch der schiitische Block im Parlament konnte sich nicht durchsetzen. Das ist nach der Wahl Aouns zum Präsidenten ein weiterer Rückschlag für den Hizbullah. Die schiitische Partei mit angeschlossener Miliz ist ein wichtiger Machtfaktor in der libanesischen Politik und hat diese in den vergangenen Jahren dominiert. Doch nach mehr als fünfzehn Monaten Krieg gegen Israel und einer Waffenruhe, die Ende November in Kraft trat, ist die Organisation sowohl militärisch als auch politisch geschwächt. Im Parlament gelingt es dem Hizbullah offensichtlich nicht mehr, ausreichend Verbündete zu finden, um politische Entscheidungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Regierungsbildung auch ohne Hizbullah möglich
Für den Sunniten Nawaf Salam dürfte die Bildung einer Regierung dennoch eine Herausforderung werden: Gemäss einem ungeschriebenen Gesetz müssen die drei grossen Konfessionen in Libanon im Kabinett vertreten sein – also Schiiten genauso wie Sunniten und Christen. Erst dann ernennt der Präsident die Regierung offiziell. Anschliessend müssen mindestens 65 Abgeordnete der neuen Regierung ihr Vertrauen aussprechen, bevor sie ihren Dienst antritt. Das wäre rein rechnerisch auch ohne Zustimmung von Amal und Hizbullah möglich.
Noch ist allerdings offen, ob Salam die Bildung einer Regierung ohne Beteiligung des Hizbullah anstrebt. Dagegen spricht, dass der Hizbullah Mittel und Wege finden könnte, die Regierungsarbeit zu torpedieren. Darauf deuten Äusserungen des Hizbullah-Abgeordneten Mohammad Raad hin. Nach der Einigung auf Salam als designierten Ministerpräsidenten betonte er, dass eine Regierung, die nicht alle Bevölkerungsgruppen Libanons repräsentiere, keinerlei Legitimität habe – eine Anspielung auf das Jahr 2006, als die fünf Minister von Amal und Hizbullah im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Fuad Siniora zurücktraten und das Land in eine Krise stürzten.
Internationale Karriere als Diplomat und Richter
Obwohl Salam als Hizbullah-Gegner gilt, wird dem ehemaligen Diplomaten zugetraut, die Schiiten erfolgreich in die Regierung einzubinden. Viele seiner Unterstützer hoffen auch, dass es unter seiner politischen Führung gelingt, den Hizbullah zu entwaffnen. Der 71-jährige Salam hatte bereits vor gut zwei Jahren für das Amt des geschäftsführenden Ministerpräsidenten kandidiert, unterlag aber dem schon damals vom Hizbullah favorisierten Mikati.
Vor knapp einem Jahr wurde Salam, dessen Onkel und dessen Cousin bereits Regierungschefs in Libanon waren, zum Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag ernannt. Zuvor war er unter anderem Libanons Botschafter bei den Vereinten Nationen und Mitglied einer Kommission zur Reform des Wahlrechts in Libanon. Sollte es ihm gelingen, eine Regierung zu bilden, steht ihm die vielleicht schwierigste Aufgabe seiner Karriere bevor: Libanon aus der tiefsten wirtschaftlichen und politischen Krise seiner jüngeren Geschichte zu führen. Dass Salam als nicht korrumpierbar gilt, könnte ihm dabei helfen.

