Freitag, September 12

Ob bei der Mohrenkopf-Debatte oder bei Verstrickungen mit dem Kolonialismus, der Historiker Bernhard C. Schär ist immer zur Stelle, wenn es darum geht, der Schweiz moralische Verfehlungen vorzuhalten. Nun weist ihm ein Forscher schwere wissenschaftliche Fehler nach. Nicht zum ersten Mal.

Die historischen Inschriften auf Zürcher Altstadthäusern «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» sind für manche Menschen hochgefährlich. Das zumindest besagt ein Gutachten, das die Stadt Zürich bei der ETH in Auftrag gegeben hat. «Inwiefern es in Zukunft separater Schutz- und Rückzugsräume für Schwarze Menschen in Zürich und der Schweiz bedarf, hängt auch davon ab, ob im öffentlichen Raum in Zürich und der Schweiz weiterhin abwertende oder rassistische Symbole toleriert werden», heisst es darin. Deshalb, so die indirekte Aussage, müssten die alten Beschriftungen weg.

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Die Stadt Zürich sah sich durch das Gutachten in ihrem Entscheid bestätigt, die zwei Häusernamen abzudecken. Dagegen wehrte sich der Zürcher Heimatschutz und gab beim Historiker Martin Illi ein Gegengutachten in Auftrag. Illi gehört zu den besten Kennern der Zürcher Stadt- und Kantonsgeschichte. Sein Bericht, der der NZZ vorliegt, ist brisant: Er weist gravierende Fehler im ETH-Gutachten nach. Die Autoren hätten zum Beispiel ein Familienwappen nicht korrekt zugeordnet und einen Namen verwechselt. Dies habe zu falschen Schlüssen geführt: Beim Haus «Zum Mohrenkopf» könne – anders als im Gutachten behauptet – ein rassistischer Hintergrund nicht nachgewiesen werden. «Aufgrund des grossen Feldes von Möglichkeiten darf man das Haus auf keinen Fall von Anbeginn als ‹rassistisch konnotiert› betrachten», schreibt Illi.

Was nicht ins Bild passt, wird weggelassen

Das Gutachten der ETH stammt von der Historikerin Ashkira Darman und von Bernhard C. Schär, Professor an der Universität Lausanne. Letzterer ist bei Rassismus- und Kolonialismusdebatten in der Schweiz seit Jahren omnipräsent.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Fachperson Schär vorwirft, wissenschaftlich unsauber zu arbeiten. In seinem Buch «Tropenliebe» ging Schär der Geschichte der Basler Naturforscher Paul und Fritz Sarasin nach, die um 1900 für eine Expedition in die niederländischen Kolonien Indonesiens reisten. Der Historiker zeichnet ein Bild von zwei homosexuellen Sextouristen, die Freude an der Grosswildjagd hatten, durch ihre «Rassenforschung» der NS-Ideologie Vorschub leisteten und den Niederländern dabei halfen, die Insel Celebes (heute Sulawesi) zu erobern. Schärs Buch wurde in den Medien hoch gelobt und veränderte die Sicht auf die zuvor in Basel angesehenen Forscher und Mäzene.

Die im Juni verstorbene Ethnologieprofessorin und Sarasin-Kennerin Brigitta Hauser-Schäublin widersprach heftig. In der «Basler Zeitung» warf sie Schär «selektives Lesen und Zitieren» vor, «um die These der Kolonialkomplizenschaft und den gewaltgeprägten, paramilitärischen Charakter ihrer Celebes-Expeditionen ‹belegen› zu können». Wichtige Fakten, die nicht ins Bild passten, habe Schär weggelassen. Sie sprach von einem «Rufmord» an den zwei Forschern.

Schär wurde zum gefragten Experten

Die NZZ hätte gerne mit Bernhard C. Schär über seinen Forschungsansatz diskutiert, über die Verbindung von politischem Aktivismus und Wissenschaft. Er lehnte ab. Auch zu den mutmasslichen Fehlern in seinem Gutachten möchte er keine Stellung beziehen, er habe den Bericht von Illi noch nicht zu Gesicht bekommen, sagt er.

Schär gehört zu den aktivsten Vertretern des Postkolonialismus in der Schweiz, jenes Forschungsansatzes, der sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus und der «weissen Dominanz» bis in die heutige Zeit befasst. Vor allem im Zuge des Tods von George Floyd 2020 in den USA und der «Black Lives Matter»-Bewegung erlebte dieser stark politisierte Forschungszweig ein Hoch. Studien, die sich mit Rassismus und «Whiteness» befassten, wurden vom Nationalfonds grosszügig unterstützt, viele Museen machten Ausstellungen zu dem Thema.

Schär war plötzlich ein gefragter Experte, sei es für Gutachten, auf Podien, in den Medien. Er lieferte, was der Zeitgeist hören wollte: dass wir in einer eurozentristischen, strukturell rassistischen und von Ausbeutung geprägten Gesellschaft leben. Und gab Ratschläge ab wie: «Schule und Erziehung im 21. Jahrhundert brauchen (. . .) mehr Postkolonialismus, Intersektionalität und Feminismus.»

Wie stark das postkoloniale Dogma gewisse Universitätsbereiche durchdrungen hat, wurde einer breiteren Öffentlichkeit nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 bewusst. Viele Uni-Angehörige stellten sich reflexartig auf die Seite der Palästinenser; zum Teil bejubelten sie das Blutvergiessen gar als Akt des legitimen Widerstands. In der postkolonialen Weltsicht steht Israel für die weissen, kolonialistischen Unterdrücker, die Palästinenser für die indigenen Unterdrückten. Dass dies historisch kaum haltbar ist oder zumindest eine starke Vereinfachung darstellt, spielt keine Rolle. Man sieht sich in der Pflicht, sich auf die richtige Seite zu stellen, für die Sache der Palästinenser zu kämpfen, auch in den Hörsälen und Seminarräumen.

Die Ideologie zeigt sich bereits in der Sprache

Die Universitäten von Bern und Basel leiteten gegen zwei Institute, die durch ihren politischen Aktivismus besonders stark aufgefallen waren, eine Untersuchung ein. Die Resultate waren besorgniserregend. In beiden Abteilungen – dem Urban-Studies-Institut in Basel und dem Nahost-Institut in Bern – sei nicht angemessen zwischen Wissenschaft und politischem Aktivismus unterschieden worden. In Basel gab es laut Untersuchungsbericht gar Formulierungen, «die nicht anders als antisemitisch verstanden werden können». Für Schlagzeilen sorgte auch eine vom Nationalfonds geförderte Studie, in der die unbewiesene Behauptung aufgestellt wurde, Israel setze im Westjordanland Wildschweine als Waffe gegen die Palästinenser ein.

Beide Universitäten erachteten die Missstände als so gravierend, dass sie die Institute kurzerhand auflösten und die entsprechenden Fächer in andere Einheiten integrierten.

Im Zürcher «Mohren»-Gutachten kommt die ideologische Herangehensweise allein schon durch die Sprache zum Ausdruck. Im Bericht wird das Wort «Mohr» nicht ausgeschrieben, stattdessen steht nur «M*****». Die beiden Inschriften, um die es bei dem Gutachten geht, werden konsequent mit «Zum M*****kopf» und «Zum M*****tanz» wiedergegeben. Dies tue man in der Hoffnung, «dass diese [rassistischen] Kategorien dereinst obsolet werden», schreiben die Autoren. Damit zeigen sie ungewollt, wie voreingenommen sie die Sache angingen: Wenn man diese Begriffe so schlimm findet, dass man sie nicht einmal in einer wissenschaftlichen Arbeit ausschreiben darf, so steht auch das Resultat von Anfang an fest: dass die alten Inschriften verschwinden müssen.

Alles Unliebsame soll weg

Vor einigen Jahren diskutierte Bernhard C. Schär in einer Radiosendung mit seinem Historikerkollegen André Holenstein über das Wappen der Berner Zunft zum Mohren. Holenstein sagte: «Sie unterstellen dieser Zunft permanent ein rassistisches Motiv, deuten in diesem Kopf einen Sklaven beziehungsweise eine abschätzige, negative Deutung eines schwarzen Menschen.» Dabei handle es sich bei dem schwarzen Kopf um «ein heraldisches Symbol mit einer ganz speziellen Geschichte, das alles andere im Sinn hatte, als einen Sklaven darzustellen». Schär ging nicht darauf ein. Ein weiteres Mal zeigte sich: Gegen moralische Argumente ist mit Fakten kaum anzukommen. Die Zunft wechselte später ihren Namen, seit 2022 heisst sie Zunft zur Schneidern.

André Holenstein, emeritierter Professor für ältere Schweizer Geschichte an der Universität Bern, sagt heute: «Diese Idee, alles Unliebsame aus der Geschichte tilgen zu wollen, erinnert mich an Donald Trump.» Er verweist auf einen zweiten Fall in Bern, ein Schulhauswandbild aus dem Jahr 1949, das nach einer Rassismusdiskussion entfernt wurde. Auch da gehörte Bernhard C. Schär zu den treibenden Kräften. Das Bild zeigte das Alphabet, jeder Buchstabe war mit einem Gegenstand, einem Tier oder einem Menschen illustriert. Bei C wurde ein Chinese gezeigt, bei I ein Indianer, bei N ein Afrikaner. «Der Künstler Emil Zbinden war ein bekennender Linker, der sich stark für die Arbeiterschaft einsetzte, und sicher kein Rassist», sagt Holenstein. Man hätte den Kindern im Schulhaus erklären können, dass das Bild aus einer Zeit stammt, als gewisse Wörter noch anders aufgefasst wurden, findet er. Doch mit dieser Haltung steht er in der heutigen Zeit auf verlorenem Posten.

Hat eine Sklavin die moderne Schweiz mitgeformt?

Die postkoloniale Welle hat aber auch Positives bewirkt. So wurde in den letzten Jahren viel über die globalen Handelsbeziehungen der Schweiz im 18. und 19. Jahrhundert geforscht und damit auch über die Verstrickungen unseres Landes mit dem Kolonialismus und der Sklaverei. Bernhard C. Schär hat in diesem Bereich durchaus seine Verdienste. So erforschte er zum Beispiel die Geschichte des Nidwaldner Landammanns Louis Wyrsch, der im 19. Jahrhundert 15 Jahre lang Offizier der holländischen Kolonialarmee in Borneo war. Dort hatte er eine Haushälterin namens Ibu Silla, womöglich eine Sklavin, mit der er mehrere Kinder zeugte, zwei von ihnen holte er in die Schweiz, eines wurde dann Nationalrat.

Alles äusserst interessant. Bloss: Schär stellt auf abenteuerliche Weise einen Zusammenhang her zur Gründung der modernen Schweiz. Weil Wyrsch nach einer Kriegsverletzung wahrscheinlich von der Haushälterin gepflegt worden war, kommt der Historiker zu dem Schluss: Ibu Silla, die mutmassliche Sklavin aus Borneo, habe Wyrschs spätere Karriere als einer der Gründerväter der modernen Schweiz und als Unternehmer ermöglicht – und so das Land geprägt.

Damit passt auch diese Geschichte perfekt ins postkoloniale Weltbild: dass die westlichen Gesellschaften und ihr Wohlstand auf Ausbeutung, Sklaverei und Rassismus beruhen.

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