Dienstag, Februar 4

Luis Rubiales muss sich wegen seines Übergriffs gegen die Fussballerin Jenni Hermoso vor Gericht verantworten. Seine Getreuen wollen den Kuss und seine Folgen herunterspielen – doch die Staatsanwaltschaft ist hartnäckig.

Der Trainer des Fussball-Europameisters Spanien ist am Dienstag offenbar mit einer klaren Mission vor den Nationalen Gerichtshof gekommen: Luis de la Fuente stellte sich maximal ahnungslos. «Darüber spreche ich hier nicht», sagte er einmal, woraufhin der Richter ihm die Leviten las: «Sie beantworten hier, wonach Sie gefragt werden.»

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Doch nach etlichen Versuchen der Anklage, den Coach in Widersprüche zu verwickeln, richtet sich der Richter genervt an die Advokaten: «Dieser Zeuge sagt jetzt seit zehn Minuten, dass er nichts wisse. Und wir strengen uns an, ihn als Lügner hinzustellen. Ich sage nicht, dass er es nicht ist, ich weiss es nicht. Aber wenn Sie ihn für einen halten, dann erstatten Sie doch Strafantrag!»

Die psychologische Betreuung bezahlte Hermoso selbst

Tatsächlich ist de la Fuente nur als einer von 27 Zeugen zu Spaniens erstem Prozess-Spektakel im neuen Jahr geladen. Angeklagt sind der frühere Verbandspräsident Luis Rubiales und drei seiner Gefolgsleute. Es geht um den berüchtigten Kuss auf den Mund der Fussballerin Jenni Hermoso während der Siegerehrung am 20. August 2023 in Sydney, nachdem die Spanierinnen den WM-Titel gewonnen hatten. Und um den Vorwurf von Nötigungen der Spielerin durch Rubiales und seine Entourage. Für den einstigen Verbandschef fordert die Staatsanwaltschaft zweieinhalb Jahre Haft. Für Jorge Vilda, damals Frauen-Nationaltrainer, Albert Luque, Sportdirektor der Männer, und Rubén Rivera, Marketingchef, jeweils anderthalb Jahre.

Zum Auftakt am Montag legte Hermoso in ihrer über zweistündigen Aussage dar, wie viel «Ekel» sie bei Rubiales’ Übergriff empfand, wie sie die folgenden Einschüchterungsversuche durch den Verband um ihre Karriere bangen liessen und wie sie in jenem Sommer wegen des medialen Rummels und wegen Drohungen gegen sie aus Spanien flüchten musste. Für die Verhandlungen sind rund zwei Wochen angesetzt, ab nächstem Mittwoch wird Rubiales selbst aussagen, das Urteil ist bis spätestens Mitte März zu erwarten.

Die Verteidigung wird versuchen zu beweisen, was Rubiales von Anfang an behauptet hat: dass es sich um einen freundschaftlichen, quasi einvernehmlichen Kuss gehandelt habe, dem Hermoso erst später auf Druck feministischer Kreise eine grössere Bedeutung zugemessen habe. «Ziemlich beeinflussbar und manipulierbar» nennt sie am Dienstag ein Zeuge, der damalige Kommunikationsdirektor des Verbands, Pablo García Cuervo. Er ist einer von vielen Rubiales-Getreuen, die im Zuge der Affäre später ihren Job verloren. Er hatte der Spielerin in einer Pressemitteilung wenige Stunden nach dem WM-Final einige Sätze in den Mund gelegt, die Rubiales entlasten sollten – ohne mit Hermoso gesprochen zu haben.

Verhandelt wird letztlich ein ganzes System, und das macht den Prozess so brisant und voluminös. Vor Gericht geklärt werden müssen zum einen Fragen wie jene, wer auf dem Podest von Sydney wie die Lippen bewegt und wie viel Gewalt Rubiales angewendet hat. Laut Hermoso packte er sie an beiden Ohren; sie habe auf dem Podest viel Kraft aufwenden müssen, um vom Druck des Präsidenten nicht rückwärts vom Podest zu fallen. Jenseits solcher Fragen geht es zum anderen um Machtstrukturen, Chauvinismus und blinde Gefolgschaft in einem Verband, dem Hermoso nach ihrer Aussage «komplett ungeschützt» ausgeliefert war. Die psychologische Betreuung während und nach der Affäre bezahlte sie selbst.

Zu deren Ironien gehörte, dass sich der 47-jährige Rubiales letztlich selbst demontierte. Nach der Siegerehrung verzichtete er auf die Chance, sein Verhalten mit einer aufrichtigen Bitte um Entschuldigung als Fauxpas darzustellen. Stattdessen bezeichnete er Kritiker als «Loser» und «Dummärsche». Ähnlich plump ging es weiter. Seine Resistenz gegen Beratung gipfelte darin, dass er fünf Tage nach dem WM-Final an einer Sondersitzung des Verbands nicht – wie allseits erwartet – seine Demission einreichte. Sondern unter dem Applaus von Fuente und Vilda zu einem politischen Rundumschlag ausholte, in dem er sich zum Opfer «des falschen Feminismus, einer grossen Plage in diesem Land», stilisierte.

Fünfmal nacheinander rief der selbsternannte Don Quijote: «Ich werde nicht zurücktreten!» Erst der Weltfussballverband (Fifa) beendete die Farce und suspendierte Rubiales von seinen Ämtern, derweil Hermosos Teamkollegin Alexia Putellas in den sozialen Netzwerken den Satz prägte, der global zu einem Leitmotiv der Frauenbewegung wurde: «Se acabó» – «Schluss damit!»

Der Verband erstellt einen Untersuchungsbericht – ohne die Spielerinnen zu befragen

Vor Gericht interessiert die Staatsanwaltschaft nun vor allem, was zwischen dem Kuss und jener Sondersitzung des Verbandes geschehen ist. Schon auf der Rückreise sollen Hermoso und ihre Vertrauten von Rubiales und Vilda unter Druck gesetzt worden sein. Sie sollten den Funktionär entlasten.

An der folgenden Feier des Frauen-Teams auf Ibiza sollen dann Luque und Rivera Druck auf die Spielerinnen ausgeübt haben. Zu keinem Zeitpunkt aktivierte der Verband sein eigenes Protokoll für Fälle sexueller Belästigung, das er auf Anordnung der Regierung kurz vor der WM in seine Statuten hatte aufnehmen müssen. Die Spielerinnen waren über die Existenz des Protokolls nicht einmal informiert worden, wie Hermoso erklärte.

Stattdessen liess der damalige Direktor der Integritätsabteilung des spanischen Fussballverbands, Miguel García Caba, in den Tagen nach dem Kuss einen internen Untersuchungsbericht anfertigen. «Nachdem wir mit ihr (Hermoso) gesprochen haben, sind wir uns einig, dass es sich um eine Fussnote handelte, einen Moment gemeinsamer Freude», soll darin stehen.

Allerdings musste García Caba am Dienstag vor Gericht zugeben, für diesen Bericht selbst nie mit Hermoso gesprochen zu haben. Auch sonst hat das offenbar niemand getan. Stattdessen wurden Mitarbeiter unter Druck gesetzt und ihre Aussagen verfälscht – oder sogar erfunden. Die damalige Pressechefin des Frauen-Teams, Patricia Pérez, und weitere Zeugen erklärten vor Gericht, wie sie am 23. August in Rubiales’ Büro zitiert worden seien. Dort hätten allerlei Gefolgsleute und Führungskräfte des Verbands einen einschüchternden Krisenstab gebildet. Drei Stunden, so Pérez, sei sie dort bearbeitet worden, bis sie «ihr» Statement unterschrieben habe. Rubiales persönlich habe einem Mitarbeiter seine Änderungswünsche in den Entwurf diktiert.

Zu den Anwesenden an jenem Tag im Präsidententrakt gehörte auch Luis de la Fuente. Fünf Stunden will er dort verbracht haben, um mit Rubiales über das nächstes Aufgebot des Männer-Nationalteams und die bevorstehende Länderspielreise zu sprechen. Von anderen Themen habe er nichts mitbekommen. Laut dem Radiosender Cadena Ser erwägt die Staatsanwaltschaft nun sogar eine Anzeige gegen de la Fuente. Wegen Falschaussage.

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