Der Russe erzielte am Sonntag sein 895. Tor in der weltbesten Eishockeyliga. So beeindruckend Owetschkin auf dem Eis ist, so kontrovers verhält er sich daneben.

Am Sonntag ist im Spiel zwischen den New York Islanders und den Washington Capitals die Eishockey-Geschichte ein Stück weit umgeschrieben worden: Alexander Owetschkin erzielte bei der 1:4-Niederlage der Capitals seinen 895. Treffer in der NHL. Damit löste der 39-jährige Russe Wayne Gretzky als Rekordtorschütze in der weltbesten Eishockeyliga ab.

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Owetschkin feierte die Marke mit einem Sprung auf den Bauch. In Sekundenschnelle stürmten seine Teamkollegen auf das Eis, als hätten sie soeben den Stanley-Cup gewonnen. «Das ist verrückt. Ich werde wahrscheinlich ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen brauchen, um zu realisieren, was es für mich bedeutet, nun die Nummer eins zu sein», sagte der Stürmer an der anschliessenden Zeremonie. Danach folgte der rituelle Dank an die Teammitglieder, seine Familie und alle anderen, die ihm dabei geholfen hätten, den Meilenstein zu erreichen.

Immerhin: Owetschkin widerstand der Versuchung, auch den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin in seinen Dank einzuschliessen. Der Kriegsfürst dürfte aber fraglos unter den zahlreichen Gratulanten gewesen sein, die Owetschkin auf dem Handy erreichten. Putin ist ein bekennender Eishockeyanhänger und zeigt sich immer wieder gerne mit den russischen Stars auf dem Eis. Gerade Owetschkin hat sich mehrmals offen und demonstrativ zu Putin bekannt. Er soll den russischen Präsidenten auch schon in dessen Anwesen am Schwarzen Meer besucht haben.

Die russischen Eishockeyspieler prägen die NHL

Alexander Owetschkin ist einer von mehreren russischen Stars in der NHL. Im Herbst 2005 war er von Dynamo Moskau zu den Capitals gestossen. Seither stürmt und skort die Nummer 8 für das Team aus der amerikanischen Hauptstadt. Nur einmal, während der Lock-out-Saison 2012/13, kehrte er für einige Partien zu seinem Stammklub nach Moskau zurück. 2018 führte Owetschkin die Capitals zum bisher einzigen Stanley-Cup-Triumph. Längst ist er in Nordamerika heimisch geworden.

Und doch ist er im Herzen stets ein stolzer Russe geblieben. Wenn das Nationalteam rief und die Saison in Nordamerika es zuliess, dann eilte Owetschkin jeweils in seine Heimat zurück. Dreimal gewann er mit der russischen Nationalmannschaft den Weltmeistertitel (2008, 2012, 2014). Und die Viertelfinal-Niederlage gegen Finnland an den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi ist eine der bittersten Niederlagen in seiner Karriere. Damals lautete die Mission, Gold für Russland und seinen sportbegeisterten Präsidenten zu erringen.

FULL Alex Ovechkin Celebration Ceremony After Record-Breaking Goal No. 895

Die NHL ging mit Russlands Überfall auf die Ukraine anders um als der Grossteil der Sportorganisationen. Sie schloss die russischen Eishockeyspieler nicht aus, diese durften weiterspielen. Man wolle den Sport und die Politik nicht miteinander vermischen, lautete die offizielle Begründung. Die amerikanische Redensart «money talks» kommt der Wahrheit wohl näher. Der Einfluss der russischen Spieler ist mittlerweile zu gross, als dass man sie einfach aus der Liga ausschliessen würde.

Derzeit sind 62 Russen in der NHL engagiert. Damit sind sie die viertgrösste Gruppe hinter den Kanadiern, den Amerikanern und den Schweden. Die Bedeutung des Eishockeys ist zentral für das Selbstbewusstsein der Nation. Auch deshalb hat der US-Präsident Donald Trump Wladimir Putin in einem ihrer Telefongespräche unlängst vorgeschlagen, Spiele zwischen russischen und amerikanischen Spielern zu organisieren.

Ob es je zu diesen kommen wird, ist zwar offen. Aber Owetschkin wäre ganz sicher dabei. In Russland ist er schon heute eine Sportlegende. Zu Ehren seiner Mutter Tatjana, die während der Zeremonie ebenfalls auf dem Eis stand, trägt er seit dem Beginn der Karriere die Rückennummer 8. Sie hatte als Basketballerin an den Sommerspielen 1976 und 1980 Olympiagold für die Sowjetunion gewonnen und gilt bis heute als eine der besten Basketballerinnen in der Geschichte des Landes.

Der Applaus für Gretzky ist fast grösser

Zu den Gratulanten auf dem Eis zählte auch Wayne Gretzky, der insbesondere in seiner kanadischen Heimat bis heute als Legende verehrt wird. Noch immer hält er 55 NHL-Rekorde, darunter jenen für die meisten Skorerpunkte. Seine Marke von 2857 scheint eine für die Ewigkeit zu sein. Owetschkin steht zurzeit bei 1619 Punkten. Er wird auch in der nächsten Saison noch für die Capitals spielen – obwohl er bald 40. Jahre alt wird.

Einige von Gretzkys Rekorden dürfte er zwar nicht mehr erreichen. Und doch wird Alexander Owetschkin als einer der grössten Eishockeyspieler in die Geschichte eingehen. Aber im Vergleich zur kanadischen Eishockey-Ikone fehlt im die persönliche Perfektion. Gerade in Russland ist ihm immer wieder Egoismus vorgeworfen worden. Slawa Bykow, der seine Karriere bei Fribourg-Gottéron und dem Lausanne HC beendete und Russland als Coach später zu zwei WM-Titeln führte, sparte nicht mit Kritik an seinem Star-Flügel. Zu eigensinnig, zu wenig mannschaftsdienlich, lautete sein Urteil.

Bykows Worte werden Owetschkin nicht gross kümmern. Seit dem Sonntag überstrahlt er sogar den grossen Wayne Gretzky. Zumindest was die Anzahl NHL-Treffer anbelangt. Für viele Kanadier bedeutet die Entthronung ihrer Ikone ein weiterer Schlag ins nationale Selbstverständnis. Wie in Russland ist das Eishockey dort tief in der kollektiven Identität verankert – es ist der kleinste gemeinsame Nenner in einem Land voller Gegensätze. So war es denn auch nicht erstaunlich, dass der Applaus für Gretzky, als dieser das Eis betrat, beinahe grösser war als als jener, der Owetschkin zuteilwurde.

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