Freitag, Oktober 18

Der Nahrungsmittelhersteller Nestlé will die Ära Mark Schneider so schnell wie möglich vergessen machen. Der neue Chef Laurent Freixe schwört den Konzern auf seine traditionellen Stärken ein. Doch für eine erfolgreiche Zukunft reicht dies nicht.

Laurent Freixe ist das, was man im Nestlé-Universum einen «Lifer» nennt – ein Mitarbeiter, der sein gesamtes Berufsleben bei Nestlé verbringt. In 38 Nestlé-Jahren diente er sich vom kleinen Marketing-Angestellten in die Konzernleitung hoch. Vor sieben Jahren beim Rennen um den CEO-Posten noch am Externen Mark Schneider gescheitert, schaffte er es nach dessen Entlassung im August noch nach ganz oben. Doch was kann ein 62-Jähriger im Herbst seiner Karriere noch reissen?

Seit Donnerstagmorgen kennt man die Antwort: sehr viel. Wer mit Freixe eine lahme Ente erwartet hatte, einen, der es sich bis zur Pensionierung geruhsam einrichtet, wird eines Besseren belehrt. Nur zwei Monate im Amt, leitet Freixe gleich bei seiner ersten Präsentation der Quartalszahlen tiefgreifende Veränderungen ein.

Er legt die Regionen Nord- und Südamerika zusammen und integriert China in das Asiengeschäft. Damit radiert Freixe zwei von seinem Vorgänger Mark Schneider verantwortete Reformen aus. Zudem wechselt er die HR-Chefin und den Leiter Strategische Projekte aus. Die Chefs der wichtigen Bereiche Nespresso, Informatik und Nachhaltigkeit lässt er künftig direkt an ihn rapportieren.

Zum zweiten Mal die Gewinnziele kassiert

Die Stossrichtung der Massnahmen ist klar: Mit Freixe will Nestlé die Ära Mark Schneider so schnell wie möglich vergessen machen. Zunächst als Heilsbringer gefeiert, verzettelte sich Schneider mit seinen Vorstössen in neue Geschäftsfelder und verlor das Vertrauen von Belegschaft und Verwaltungsrat. Dass sein Nachfolger Freixe derart vehement zur Tat schreitet und nicht einmal den Kapitalmarkttag in einem Monat abwartet, demonstriert seine Entschlossenheit. Das angeschlagene Tempo zeigt aber auch: Die Probleme von Nestlé reichen tiefer als befürchtet.

Zum zweiten Mal seit Anfang hat Nestlé die Wachstums- und Gewinnziele nach unten korrigiert. Für einen Supertanker, der sich sonst auch angesichts von konjunkturellen Stürmen unbeeindruckt durch die Weltmärkte pflügt und dank seiner legendären Preissetzungsmacht auch hohe Wogen zu glätten vermag, kommt dies einer Havarie gleich. Kein Wunder, ist die Nestlé-Aktie auf den tiefsten Stand seit mehr als fünf Jahren gefallen.

Nestlé weist zwar in den Sparten Tierfutter, Kaffee sowie Vitamine und Medizinalernährung ein ansehnliches Wachstum aus. Auch das Wassergeschäft ist nach der Straffung des Portfolios wieder besser unterwegs. Doch in seinen angestammten Geschäften zeigt Nestlé eklatante Schwächen: Die Umsätze mit Tiefkühlprodukten schrumpfen ebenso wie die Verkäufe von Milchprodukten. Die Sparte Säuglings- und Babynahrung weist nur ein anämisches Wachstum auf.

US-Geschäft leidet unter Inflation und Ozempic-Effekt

Geografisch stechen die Umsatzverluste im wichtigsten Markt, Nordamerika, ins Auge. Nestlé zahlt den Tribut für die Preiserhöhungen. Dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger der USA zu Abnehmspritzen greifen, dürfte das Geschäft mit Fertigpizzen in Zukunft noch stärker belasten. Die von Nestlé forcierten Eiweiss- und Vegan-Produkte vermögen dies nicht wettzumachen. Auch hier ist die Konsumwelt aber nicht schwarz und weiss: Die Süsswarensparte weist ein robustes Wachstum auf. Auch wer auf Ozempic ist, gönnt sich offenbar ab und zu einen Kitkat-Riegel.

Freixe ist zweifellos der richtige Mann, um die Scharten im Kerngeschäft auszuwetzen. Für ihn sind die angestammten Nestlé-Marken kein verstaubtes Erbe, das es abzustossen gilt, sondern Perlen, die man nur polieren muss, damit sie wieder strahlen. Ein Marketing- und Verkaufsprofi ist genau das, was Nestlé braucht, um wieder auf Touren zu kommen. Gleichzeitig darf man sich nichts vormachen: Nestlé ist noch immer viel zu stark von Produkten abhängig, die ihren Zenit überschritten haben. Mit Tiefkühlfood und Schokoladeriegeln wird der Konzern noch lange gutes Geld verdienen, aber zukunftsträchtig sind sie nicht. Ob Freixe auch hier die richtigen Antworten findet, muss er erst noch beweisen.

Exit mobile version