Donnerstag, Dezember 26

Unternehmen verkaufen nicht mehr profane Dinge wie ein Darlehen, Reinigungsmittel oder Katzenstreu, sondern Umweltschutz, Toleranz und Antirassismus. Das merkt man der Bewerbung ihrer Produkte an. Doch es ist nicht die Aufgabe der Werbung, die Welt zu verbessern.

Nachdem der Mensch im vergangenen Jahrhundert seinen Glauben an Gott, den Kommunismus und die Ehe verloren hat, bleibt ihm heute der Glaube an Coca-Cola, BMW und das Gerber-Käsefondue. Die Marke ist heute eine der letzten Bastionen, die ein Gefühl von Gemeinschaft vermitteln können.

Es war ausgerechnet Karl Marx, der den Fetischcharakter der Ware in Worte fasste und damit als Erster das eigentliche «Wesen» der Marke beschrieb: «Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.» Das Produkt ist also nicht einfach, was es ist, sondern es ist das, was die Menschen glauben, was es ist. Heute sprechen wir von «Image».

Das Image wurde in dem Moment relevant, als man glaubte, die Leistungen der Produkte seien austauschbar. Die These: Wenn Sie eine Tasche kaufen, dann kaufen Sie in erster Linie keine Tasche, sondern ein «Lebensgefühl». Die Werbung nutzte diese psychologische Finte konsequent und bespielte zeitgenössische Idealbilder in der individuellen Vorstellung eines «Wie müsste ich sein?». Und so wuschen adrette Frauen freudig die Oberhemden ihrer Gatten und brühten strahlend lächelnd den Mokka auf. Das werbliche Ich reflektierte auf das «Alltags-Ich» und verbeulte das Selbstwertgefühl einer ganzen Generation.

In der Folgezeit setzte Werbung auf Aufmerksamkeitsstrategien. Alles durfte «emotional übersetzt werden» – ausser das Produkt. Dieses schrumpfte zum «Absender». Die möglichen Images beschränkten sich nun auf zwei Dutzend «Grundemotionen» wie Freude, Aufregung oder Überraschung. So wurde ein Grossteil der Werbung vollkommen austauschbar und irrelevant.

Der Wert des Vertrauten

Seien wir ehrlich: Die meisten Marken sind nicht stark wegen, sondern trotz ihrer Werbung. Und auch der Mythos Ferrari entsteht immer noch in einer Werkhalle in Maranello. Emotionen entstehen nicht durch Emotionen, sondern immer durch konkrete Erfahrungen.

Im Kern macht die Marke aus, dass sie leistet, was wir erwarten. Manchmal über Generationen. «Zusageverlässlichkeit» nennt dies die Markensoziologie. Das ist altmodisch und ziemlich langweilig und hat deshalb in der Werbung keinen guten Ruf. Vertrauen muss man sich durch gute Leistungen über die Zeit erarbeiten. Jedoch bleiben die meisten Menschen einfach bei dem, was sie kennen: weil es einfacher ist, weil es Zeit spart, weil uns andere Dinge beschäftigen und weil uns die Marke Orientierung bietet im universellen Lebenschaos. Das ist und war die Aufgabe einer Marke, deswegen ist sie nicht totzukriegen.

Heute verkaufen die meisten Unternehmen nicht mehr Profanitäten wie ein Darlehen, Tee, Reinigungsmittel oder Katzenstreu, sondern Umweltschutz, Toleranz und Antirassismus. Die Konsumeinstellungen der Bevölkerung hätten sich verändert, so dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssten – der sogenannte «conscious capitalism» erlebte seinen Siegeszug. Dass Meinungs- und Marktforscher klar zwischen «Einstellung» und «Handlung» unterscheiden, wurde zur Randnotiz.

Das ist im besten Fall merkwürdig, denn jede Statistik beweist, dass «grüne» Warenangebote weiterhin Minoritätenmärkte sind – trotz massivem werblichem Einsatz. Die Vorstellung des «purpose», also des Sinns, in der Marketing- und Werbebranche bewegte grosse Wellen und noch grössere Kreativbudgets. Interessanterweise begann die «Purpose-Kommunikation» 2008 mit der Finanzkrise, also just zu dem Zeitpunkt, als der Glaube an die Wirkmächte des Kapitalismus seinen Tiefpunkt erreicht hatte.

In Werbespots helfen wir jetzt unseren migrantischen, alten oder gebrechlichen Nachbarn. Unterscheidungsfähigkeit von Werbeauftritten, Inhalten und Botschaften? Nebensächlich. Missionarisch werden Statements verlautbart, die wie eine Fusion von Evangelien und «Kommunistischem Manifest» klingen. Werbeprospekte setzen sich neben Milch und «WC-Power-Steinen» für Gleichberechtigung ein. Flugzeuge und sogar einstmals tiefblaue Crèmedosen zieren grossflächige Regenbogenflaggen, so dass das Eincremen der strapazierten Wangen zu einem politischen Statement wird – ob man möchte oder nicht.

Firmen schämen sich für Profit

Die Nutzung von zeitgeistigen Stimmungen in der Werbung ist kein neues Phänomen. So wurde die Zigarette für die Frau bereits vor 120 Jahren zur «Fackel der Freiheit» werblich stilisiert. Jedoch: Die werbliche Inszenierung glorifizierte das individuelle Verhalten und versuchte nicht, generelle gesellschaftliche Standards zu definieren. Und: Sie war an Zielgruppen orientiert.

Heute dagegen hat «profit shaming» eingesetzt. Unternehmen müssen zwar die Welt retten, aber eines dürfen sie absolut nicht: klar benennen, dass sie einen Gewinn erzielen wollen. Sie gerieren sich wie Non-Profit-Organisationen, obwohl sie «For-Profit-Organisationen» sind. Es ist trivial zu betonen, dass es der Gewinn ist, auf dessen Basis Mitarbeiter anständig entlohnt werden, Lieferanten faire Preise erzielen können und Steuern gezahlt werden, die ein funktionierendes Gemeinwesen finanzieren. Das gibt keine Werbepreise, schafft nicht das Paradies auf Erden – ist aber Teil der profanen Lebenswirklichkeit.

Heute veranschaulicht Werbung gesellschaftliche Idealbilder und kommuniziert sie täglich millionenfach. Von der Politik, von Medien, ja sogar von einem Kindergarten fordern wir einen Diskursprozess ein. Menschen, die Kaugummi, WC-Reiniger und Käsefondue verkaufen, wollen hingegen die Deutungshoheit haben, was gut für Mensch und Welt ist. Eine kleine Gruppe kosmopolitischer, sehr junger und eher gutsituierter Menschen gibt dem Konsumenten das Gefühl, seine Sicht der Dinge sei irrelevant, mehr noch: Sie spiegle die Vorliebe eines unaufgeklärten Gesindels.

Hauptsache, feine Pasta

Inzwischen wird «sinnhafte Werbung» von vielen Menschen als anmassend oder gar ärgerlich erlebt. Kein Wunder, dass Unilever, das 2009 als erstes multinationales Unternehmen den «purpose» in das Zentrum der Aktivitäten rückte, nun über seinen CEO Hein Schumacher verlautbaren liess: «Die Debatte um Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren mehr Schatten geworfen denn Licht gebracht.»

Hinzu kommt: Wenn Unternehmen Position beziehen sollen, stellt sich die Frage, ob jede Position Sinnhaftigkeit realisiert. Als Guido Barilla vor gut zehn Jahren sein konservatives Familienbild kundtat, brach die Unbill der Welt auf ihn ein. Aktivisten und einige Medien vereinten sich zu einer globalen Empörungsgemeinschaft. Einige Zeit später nahm die Marke ihre Position zurück und druckte ein stilisiertes Frauenpärchen auf seine Spaghetti-No.-5-Verpackung. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses sogenannten Skandals waren überraschend: Im Jahr des Aufruhrs und danach wuchs der Umsatz. Wahrscheinlich weil Menschen von Barilla vor allem solide Pasta erwarten und kein politisches Statement.

Letztlich umgibt sich Werbung mit einem Heiligenschein, der ihr nicht zusteht und der vorgebrachten Intention schadet. Denn indem Werbung eine Wirklichkeit zeichnet, die es ausserhalb der schicken Agenturlofts nicht gibt, suggeriert sie, es sei alles bereits gut gelöst. So verhindert sie den Wandel, den sie eigentlich – ob zu Recht oder zu Unrecht – intendiert. Ist halt nur Werbung.

Oliver Errichiello ist Werber, Berater und Professor für Markensoziologie. Vor kurzem ist sein Buch «Werbung für den Zeitgeist – Wenn bunte Kampagnen in Wirtschaft und Politik die Wirklichkeit ignorieren» erschienen (Verlag Langen Müller).

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